Auch eine repräsentative Demokratie lebt nicht in Hinterzimmern
Ein Appell gegen die Abschaffung des Informationsfreiheitsgesetzes
Dass die Unionspartner CDU und CSU das Informationsfreiheitsgesetz abschaffen wollen, ist sogleich nach Bekanntwerden dieses Planes auf berechtigte Kritik gestoßen, vor allem in den Kommentarspalten der Medien, bei Journalistenverbänden, Bürgerinitiativen, NGO‘s und Einzelaktivisten. Der Berliner Tagesspiegel erkennt darin gar „Ein(en) Hauch von Trump“. Die Neue Richter*innenvereinigung schließt sich dieser Kritik an und appelliert an die SPD, diesem fatalen Ansinnen in den Koalitionsverhandlungen entschieden entgegenzutreten.
Eine entsprechende Absichtsbekundung findet sich in dem Ergebnispapier der Arbeitsgruppe 9 „Bürokratierückbau, Staatsmodernisierung, Moderne Justiz“ vom 24. März 2025 – nachzulesen auf FragDenStaat.de – (S. 4, Zeile 111) unter der Rubrik Staatsmodernisierung(!). Die verhandelnden Koalitionspartner CDU, CSU und SPD sind sich offenbar darin einig, die repräsentative Demokratie stärken zu wollen. Der Bundestag müsse die Regierung und die Verwaltung effektiv kontrollieren können. Im gleichen Atemzug setzen die Unionsparteien – nunmehr in blauer Schrift als Markierung einer nicht geeinten Forderung – hinzu: [Das Informationsfreiheitsgesetz in der bisherigen Form wollen wir hingegen abschaffen]. Die Formulierung „in der bisherigen Form“ lässt in der Tat Raum für Relativierungen. Allerdings ist davon unter der Rubrik „Beteiligung des Bundesrates via Einspruchsgesetz“ (S. 8) nichts mehr zu lesen; aufgeführt wird hier – wiederum in blau – der schlichte Auftrag: [Abschaffung des Informationsfreiheitsgesetzes].
Wie auch immer das zu verstehen ist und am Ende ausgeht: Das Erschreckende an dieser Absichtsbekundung ist das damit zutage tretende Verständnis einer repräsentativen Demokratie, das da lautet: Die Kontrolle der Regierung und ihre Verwaltung ist allein Sache des Bundestages. Die Bürger*innen mögen gern alle vier Jahre zur Wahlurne treten, sollen die Politik ansonsten aber bitte machen (resp. klüngeln und mauscheln) lassen. Eine Stärkung der demokratischen Beteiligungsrechte der Bürger*innen und deren Teilhabe an der politischen Willensbildung bis hin zur Kontrolle der Regierung durch die interessierte – und notwendigerweise informierte – Öffentlichkeit und die Medien, wofür das Informationsfreiheitsgesetz angetreten ist, ist also nicht erwünscht. Anders als die Absichtserklärung der Unionspartner vermuten lässt und anders als Philipp Amthor als Verhandlungsführer der CDU in dieser Arbeitsgruppe offenbar meint, liegt in der parlamentarischen Kontrolle und derjenigen durch eine informierte Öffentlichkeit im Übrigen kein Widerspruch. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht bereits im Jahre 2011 entschieden (Urteil vom 3. November 2011, Az. 7 C 3.11) und sich dabei wie folgt auf das Bundesverfassungsgericht berufen:
In der parlamentarischen Demokratie wird die Herrschaft des Volkes durch die Wahl der Volksvertretung mediatisiert, also nicht dauernd unmittelbar ausgeübt. Die Wahl ist dabei das wesentliche Element des Prozesses der Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen (BVerfG, Urteil vom 3. März 2009 – 2 BvC 3/07, 2 BvC 4/07 -…). Im Wahlakt erschöpft sich dieser Prozess allerdings nicht. Denn das Recht des Bürgers auf Teilhabe an der politischen Willensbildung äußert sich nicht nur darin, sondern auch in der Einflussnahme auf den ständigen Prozess der politischen Meinungsbildung, der Bildung der „öffentlichen Meinung“ (BVerfG, Urteil vom 19. Juli 1966 – 2 BvF 1/65 – …). Die demokratische Ordnung ist deswegen durch einen parlamentsübergreifenden Prozesscharakter gekennzeichnet (…). Die parlamentarische Kontrolle der Regierung, die den demokratischen Verantwortlichkeitszusammenhang gegenüber dem Repräsentationsorgan herstellt, schließt deswegen eine Kontrolle durch die öffentliche Meinung, die auf fundierte Informationen angewiesen ist, nicht aus. Vielmehr können sich diese verschiedenen Kontrollen auch ergänzen (…) …
Die in den letzten Jahren vermittels IFG-Anfragen aufgedeckten Skandale sprechen im Übrigen für sich. Dieser als „Befreiungsschlag“ anmutende Versuch der Unionsparteien hat mit einem modernen Staatsverständnis indes rein gar nichts zu tun. Ganz im Gegenteil: Er ist völlig aus der Zeit gefallen. Wenn die kommende Koalition den Staat grundlegend modernisieren und ihn „insgesamt vom Bürger her denken“ will (Zeile 8), darf sie ihn nicht entmündigen.
Um Vertrauen in die Politik zu erhalten und mehr noch: um verlorenes Vertrauen in die Politik zurückzugewinnen, braucht es nicht weniger, sondern mehr Öffentlichkeit und Transparenz, dafür aber weniger Staatsautorität à la Trump. Die Abschaffung des Informationsfreiheitsgesetzes wäre, wie es Friedrich Schoch, Kommentator des Informationsfreiheitsgesetzes, auf LTO und im ZDF kommentierte, eine „Rolle Rückwärts“ – und dies nicht nur wegen der in den Bundesländern und in Europa gegenläufigen Rechtsentwicklung (hin zu mehr Transparenz), sondern auch in politischer Hinsicht. Sollen Staatsbedienstete wieder „geheime Räte“ werden, wie zu Kaisers Zeiten? Eine informationsfreundliche und offene Regierungspolitik fördert die Akzeptanz und Legitimität staatlichen Handelns, gerade in Zeiten von Fake News und gezielter Desinformation. Fatal wäre es, der populistischen Stimmungsmache von rechts gegen die „Eliten“ noch Nahrung zu liefern, indem sich bestätigt, dass „die da oben sowieso machen was sie wollen“. Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands, Mika Beuster, bringt es auf den Punkt: „Wer die Transparenz einschränken möchte, hat offensichtlich etwas zu verbergen und gefährdet damit den Journalismus und die Demokratie zugunsten von Machterhalt und undurchsichtigen Machenschaften.“
Schließlich bedürfte der gegenüber dem Spiegel formulierte Versuch Philipp Amthors, die Abschaffung des Informationsfreiheitsgesetzes „in der bisherigen Form“ bzw. dessen „Neujustierung“ nachträglich als Maßnahme des Bürokratierückbaus zu erklären, erst einmal einer Plausibilisierung. Dass das Informationsfreiheitsgesetz seit seiner Verabschiedung im Jahre 2006 bei den betroffenen Bundesbehörden zu einer sonderlichen Belastung, gar einer Überlastung geführt hätte, wäre zu belegen. Der „IFG-Papst“ Friedrich Schoch jedenfalls findet dafür keinen empirischen Nachweis.
Bundesvorstand und
Fachgruppe Verwaltungsrecht der Neuen Richter*innenvereinigung (NRV)