Stellungnahme zum Regierungsentwurf eines Hauptverhandlungs-Dokumentationsgesetzes
Aufgrund der Fokussierung des vorliegenden Gesetzentwurfs auf eine sachangemessene Dokumentation der erstinstanzlichen Hauptverhandlung vor den Landgerichten und dem Oberlandesgericht und damit auf denjenigen Punkt, der – unseres Erachtens zu Recht – einer Neuregelung bedarf, droht der Gesamtzusammenhang des Regelungsgefüges aus dem Blick zu geraten, und zwar insbesondere, soweit es erstinstanzliche Verhandlungen vor dem Bußgeldrichter, dem Strafrichter und dem Schöffengericht betrifft.
Dieser Gesamtzusammenhang zeichnet sich dadurch aus, dass die Vorschriften, in denen die Fragen der Beurkundung der Hauptverhandlung geregelt sind, zwischenzeitlich durch partielle Gesetzesänderungen so modifiziert wurden, dass sie jetzt kein zusammenhängendes Regelungsgefüge mehr darstellen. So kommt der Regelung des § 226 StPO für die Hauptverhandlungen vor dem Strafrichter, und damit einhergehend vor dem Bußgeldrichter, und damit für die mit Abstand größte Zahl aller Strafverfahren, eine grundlegende Bedeutung zu. Der Strafrichter darf danach von der Hinzuziehung eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle (UdG) absehen. Wenn er dies tut, dann führt er das Protokoll selbst. Die Vorschrift impliziert andererseits, dass insoweit, wie ein UdG nach § 226 Abs.1 StPO ununterbrochen gegenwärtig sein muss, dann dieser die Hauptverhandlung vollständig zu beurkunden hat. Mit der Verpflichtung zur ununterbrochenen Anwesenheit wird an dieser Stelle die Vollständigkeit des Protokolls sichergestellt. Ergänzt wird dies nunmehr durch die Regelung des § 273 Abs.1a StPO, der die Protokollierungspflicht auf bestimmte Gegenstände außerhalb der Hauptverhandlung erstreckt.
Es entspricht der etablierten Praxis, dass der Strafrichter, wenn er von der Hinzuziehung eines UdG absieht, das Protokoll in entsprechender Anwendung des § 160a ZPO vorläufig auf einem Tonträger aufzeichnet. Dieses Diktat wird sodann verschriftlicht. Die Verschriftlichung erfolgt vor allem deshalb, weil es dem bislang – noch – geltenden Grundsatz entspricht, dass Akten in Papier zu führen sind. Wobei sich mit dieser Diktiertechnik die Funktion des Protokolls ändert: Sie stellt keine neutrale Beobachtung durch einen Dritten mehr dar, sondern spiegelt unmittelbar zurück, was der Richter verstanden und für wichtig erachtet hat. Dies eröffnet sowohl dem sich Äußernden als auch allen andren Beteiligten die Möglichkeit, auf diese Protokollierung unmittelbar zu reagieren, etwaige Missverständnisse auszuräumen, nämlich die eigene Aussage zu korrigieren beziehungsweise nachzufragen, soweit das eigene Verständnis eines Verfahrensbeteiligten von der Aufnahme in das Protokoll abweicht.
Diese Art der Tonaufzeichnung (als Diktat) findet in § 273 StPO keine Erwähnung. § 273 StPO befasst sich in Abs.2 S.2 allerdings ausdrücklich mit der Protokollführung vor dem Amtsgericht. Die Regelung ermöglicht es bereits nach geltendem Recht, eine Tonaufzeichnung einer Hauptverhandlung zu fertigen – ihrem Wortlaut nach allerdings nur insoweit, wie es um einzelne Vernehmungen geht. Eine Dokumentation des gesamten Ganges der Hauptverhandlung ist dagegen nicht vorgesehen. Es wird sich dieser Regelung bislang jedoch andererseits auch kein explizites Verbot einer vollständigen Tonaufzeichnung der Hauptverhandlung entnehmen lassen. So, wie die Tonaufzeichnung nach § 160a ZPO analog nicht ausdrücklich geregelt ist, kann auch § 273 Abs.2 S.2 StPO als rudimentär und ergänzungsfähig angesehen werden.
Mit der beabsichtigten Übernahme des unveränderten Normtextes dieser Vorschrift wird diese Art einer ununterbrochenen Dokumentation, die für das Landgericht verpflichtend vorgeschrieben sein wird, vor dem Amtsgericht nunmehr als explizit unzulässig anzusehen sein. Im Rahmen einer Neuregelung erscheint es daher sinnvoll, das bestehende Regelungskonglomerat nicht einfach zu transferieren – und damit zu bekräftigen -, sondern konsistent neu zu fassen.
Eine solche Neufassung könnte wie folgt aussehen:
Alternativ-Entwurf zu Art. 1 Nr. 5 DokHVG
§ 271 Dokumentation der Hauptverhandlung
- Über die Hauptverhandlung ist ein Protokoll aufzunehmen, das den Gang und die Ergebnisse der Hauptverhandlung im Wesentlichen wiedergeben und die Beachtung aller wesentlichen Förmlichkeiten ersichtlich machen muss. Sieht der Strafrichter von der Hinzuziehung eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle nach § 226 Abs. 2 StPO ab und wird entweder von allen zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel verzichtet oder innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so kann es bei einer nach Abs. 2 c) erstellten einfachen Tonaufzeichnung verbleiben.
- Die Dokumentation der Hauptverhandlung kann erfolgen durch
- eine ununterbrochene Tonaufzeichnung, die automatisiert in ein elektronisches Textdokument (Transkript) übertragen wird,
- eine die ununterbrochene Tonaufzeichnung ergänzende Bildaufzeichnung,
- eine Tonaufzeichnung,
- die Mitschrift eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle (förmliches Protokoll).
- Eine Hauptverhandlung, die erstinstanzlich vor dem Landgericht oder dem Oberlandesgericht stattfindet, ist nach Maßgabe des § 19 des Einführungsgesetzes zur Strafprozessordnung sowohl nach Abs. 2 d) förmlich zu protokollieren als auch nach Abs. 2 a) als ununterbrochene Tonaufzeichnung zu dokumentieren.
- Die Entscheidung über die Art der Dokumentation trifft das Gericht durch unanfechtbaren Beschluss. Diese Entscheidung kann sich auch auf einzelne Abschnitte der Hauptverhandlung, insbesondere auf einzelne Vernehmungen beziehen. § 174 GVG gilt entsprechend.
Begründung
Die Regelung erlaubt es, sowohl zwischen einerseits dem Protokoll und andererseits einer Dokumentation zu differenzieren, als auch die Frage der Beurkundung hiervon zu lösen.
Der Begriff des Protokolls folgt der traditionellen Verwendung insofern, als es sich dabei konstitutiv um ein Schriftdokument handelt. Im Unterschied zu einer umfassenden Dokumentation enthält ein Protokoll nur das Wesentliche und insofern das Ergebnis einer Selektion. Und als solches ist es notwendig von dem oder den Erstellern zu verantworten und daher zu unterzeichnen. Das Protokoll kann zum Inhalt haben entweder (bestimmte) unmittelbare Wahrnehmungen des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, oder aber den Beweis für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Übertragung einer Tonaufzeichnung.
Eine Tonaufzeichnung kann die vollumfängliche Dokumentation aller von allen Verfahrensbeteiligten in der Hauptverhandlung gesprochenen Worte beinhalten, sie kann aber auch in der Form eines Diktates auf die Aufzeichnung bestimmter Aussagen beschränkt sein, insbesondere der vom Vorsitzenden solchermaßen zu Protokoll gegebenen Feststellungen, Erklärungen und Wiedergaben der Aussagen Dritter. Ein solches Diktat in Anwesenheit der Beteiligten unterliegt, bezogen auf die inhaltliche Richtigkeit und Vollständigkeit, deren Eigenkontrolle. Soweit eine Feststellung oder die Wiedergabe einer Aussage unrichtig oder hinsichtlich ihres wesentlichen Inhaltes unvollständig diktiert worden sein sollte, sind die unmittelbar Anwesenden dazu berufen, dies in das Protokoll berichtigen und etwaige Widersprüche aufnehmen zu lassen.
Im Gegensatz zu einer Protokollierung bedarf die Dokumentation der Hauptverhandlung einer gesetzlichen Grundlage. Denn eine Dokumentation tangiert die in ihr zur Anwesenheit Verpflichteten in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung.
Soweit das Gesetz nicht eine einzige Art der Dokumentation verbindlich festschreibt, muss das Gericht eine Entscheidung darüber treffen, wann was wie dokumentiert werden soll. Soweit es eine Art der Dokumentation anordnet, die über das gesetzlich vorgeschriebene Mindestmaß hinausgeht, bedarf es einer gesetzlichen Ermächtigung, diese überschießende Dokumentation verbindlich anzuordnen.
Einer Beurkundung bedarf es, um die Richtigkeit und Vollständigkeit einer Transformation des gesprochenen Wortes in die Schriftform feststellen zu können. Soweit jedoch auf eine Schriftfassung verzichtet werden kann, weil dies künftig weder für die Veraktung in der digitalen Akte technisch erforderlich sein wird, noch im Falle eines Rechtsmittels als einzig zulässiges Beweismittel erstellt werden muss, reicht die ordnungsgemäße Veraktung zur Gewährleistung der Authentizität und Integrität vollkommen aus.
Dieser Differenzierung folgend, sollte der Entwurf des Gesetzes 4 Formen der Dokumentation/Protokollierung unterscheiden.
(a) Die Grundform der Dokumentation ist die ununterbrochene Tonaufzeichnung. Der Begriff „ununterbrochen“ verweist auf § 226 Abs.1 StPO, der dort die ununterbrochene Anwesenheit von Personen vorschreibt. Nur eine ununterbrochene Tonaufzeichnung verbürgt deren Vollständigkeit.
(c) Von dieser vollständigen Aufzeichnung zu unterscheiden ist die bloße Tonaufzeichnung. Dieser Begriff umfasst alle von (a) abweichenden Formen: Die ununterbrochene Tonaufzeichnung, soweit diese nicht transkribiert wird, das diktierte Protokoll (in der nach § 226 Abs.2 StPO i.V.m § 160a ZPO üblichen Weise), und die Aufzeichnung einzelner Passagen der Hauptverhandlung, insbesondere einzelner Vernehmungen, wie dies aktuell nach § 273 Abs.2 S.2 StPO am Amtsgericht ermöglicht ist.
(b) Die Bildaufzeichnung setzt, soweit sie erfolgt, eine ununterbrochene Tonaufzeichnung voraus. Sie setzt nicht voraus, dass diese transkribiert wird und kann insofern etwa auch zur Aufzeichnung einer einzelnen Zeugenvernehmung im Rahmen einer Verhandlung am Amtsgericht eingesetzt werden, wenn keine Transkription erfolgt.
(d) Das förmliche Protokoll, das lediglich für eine eingeschränkte Vollständigkeit steht.
Soweit der Strafrichter von der Führung eines förmlichen Protokolls absieht, muss er, wie bisher auch, selbst dafür Sorge tragen, dass für den Fall, dass ein Rechtsmittel eingelegt wird, ein Protokoll erstellt werden kann, das den inhaltlichen Anforderungen an ein Hauptverhandlungsprotokoll entspricht. Er muss die zu treffenden Feststellungen selbst diktieren.
Aus dem Gesamtkontext lassen sich 3 Anforderungsniveaus an die Dokumentation/ Protokollierung stellen:
Am umfassendsten sind die Anforderungen, die an die Dokumentation und Protokollierung der Hauptverhandlung gestellt werden, die erstinstanzlich vor dem Landgericht oder dem Oberlandesgericht stattfinden (förmliche Protokollierung und ununterbrochene Tonaufzeichnung, die zu transkribieren ist).
Am geringsten sind die Anforderungen, die an die Dokumentation und Protokollierung von Hauptverhandlungen des Strafrichters gestellt werden. Hier reicht, wie bisher üblich (aber nicht unbedingt mit der Vorschrift über die Zulässigkeit von Tonauszeichnungen kompatibel), ein aufgezeichnetes Diktat aus. Mit der Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen sollte die Pflicht zur Übertragung in die Schriftform entfallen können.
Alle anderen Hauptverhandlungen, nämlich solche vor dem Schöffengericht, zweit- bzw. drittinstanzliche Verhandlungen vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht sowie Verhandlungen vor dem BGH sind einerseits förmlich zu protokollieren, andererseits unterliegen sie keiner umfänglichen Dokumentationspflicht.
Für Hauptverhandlung, die erstinstanzlich vor dem Landgericht oder dem Oberlandesgericht stattfinden, kann fakultativ die Aufzeichnung im Bild angeordnet werden, und zwar ebenso für die gesamte Hauptverhandlung wie für einzelne Passagen, insbesondere für einzelne Vernehmungen.
Da es der normlogischen Konsistenz entbehrt, wenn für Verhandlungen vor bestimmten Gerichten bestimmte umfassende Arten der Dokumentation gesetzlich vorgeschrieben sind, die andernorts nicht zugelassen sind, wird mit dem Entwurf die Möglichkeit eröffnet, dass alle Gerichte eine Bildaufzeichnung anordnen können, soweit ihnen die Technik zu Verfügung steht. Diese Technik steht wiederum in Amtsgerichten durchaus in einzelnen Verhandlungssälen zur Verfügung, weil Bildaufzeichnungen bereits jetzt für bestimmte Konstellationen gesetzlich vorgesehen sind, etwa in § 70c Abs.2 JGG.
Mit der Eröffnung einer oder mehrerer Wahlmöglichkeiten muss diese Entscheidung erörtert werden können. Dazu wird auf das Verfahren nach § 174 GVG verwiesen.
Mit der Neuregelung sollten zudem einzelne bestehende Regelungen in ihren Erfordernissen überprüft werden.
Für die vom Strafrichter zu diktierenden Formalien sollte es ausreichen, dass er Ort und Tag der Verhandlung zu Protokoll gibt, und die Anwesenden einschließlich der Angabe, ob die Verhandlung öffentlich ist. Auf die nach § 272 Nr. 3 StPO vorgesehene Angabe der Bezeichnung der Straftat sollte dagegen als obligatorisches Erfordernis eines solchen Protokolls verzichtet werden können. Dieser Angabe kommt keine elementare Bedeutung zu, weshalb die Ordnungsgemäßheit eines Protokolls hiervon nicht abhängen sollte.
Von einer Übernahme der derzeit in § 273 Abs.2 S.2 StPO vorgesehenen Möglichkeit, einzelne Vernehmungen aufzeichnen zu lassen, kann in Hinblick auf eine generelle Regelung in § 271 Abs.4 StPO (E) abgesehen werden.
Klarstellend sollte zudem bei Übernahme der Regelung des § 273 Abs.3 StPO der Anwendungsbereich auf diejenigen Konstellationen beschränkt werden, in denen keine ununterbrochene Tonaufzeichnung erfolgt.
Für die Neue Richtervereinigung
Ruben Franzen