Stellungnahme zum Gesetz zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung
Die NRV begrüßt es ausdrücklich, dass die Hauptverhandlung in Strafverfahren in weitem Umfang digital aufgezeichnet werden soll, um dadurch allen professionellen Verfahrensbeteiligten gleichermaßen eine objektive Dokumentation zur Verfügung stellen zu können (1).
Die NRV hat sich bereits in den dem Gesetzesentwurf vorangegangenen Expertenkommissionen für eine verbesserte Dokumentation von strafrechtlichen Hauptverhandlungen eingesetzt und begrüßt die gesetzliche Umsetzung der von den Experten angeregten verbesserten Dokumentation der strafrechtlichen Hauptverhandlungen. Die NRV sieht es als zur Erfüllung des im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Ziels einer Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung als vollständig ausreichend an, wenn entsprechend der Empfehlung zunächst eine allein audiotechnische Dokumentation samt zeitgleicher Transkription erfolgt.
Eine verpflichtende Dokumentation in Ton und Bild ist für die NRV nicht erforderlich. Bedenken gegen eine zusätzliche Bilddokumentation bestehen, weil der damit verfolgte Zweck und Mehrwert nicht deutlich wird (2). Einer möglichst zügigen Einführung einer störungsfreien und zweckdienlichen Aufzeichnungstechnik steht der mit der Bilddokumentation einhergehende Mehraufwand eher entgegen (3).
Insofern geht die NRV davon aus, dass der Gesetzentwurf in mehrfacher Hinsicht hinter den Anforderungen und den Möglichkeiten zurückbleibt, die sich den Erfordernissen einer Dokumentation stellen. Sie sieht insofern Ergänzungsbedarf (4). Das betrifft insbesondere eine Unterscheidung zwischen einerseits einer umfänglichen Ermächtigungsnorm, die es zulässt, auf allen Instanzen Verhandlungen vollständig in Ton und Bild aufzuzeichnen, und andererseits einer Dokumentationspflicht, die auf bestimmte Hauptverhandlungen begrenzt sein sollte (5).
Darüber hinaus sollten einige Regelungen, insbesondere in Bezug auf die darin vorgesehene uneingeschränkte Verpflichtung zur Einsichtsgewährung, noch einmal kritisch geprüft werden (6).
Schließlich möchte die NRV anlässlich dieses Entwurfes, wohl wissend, dass dies nicht Gegenstand der Gesetzgebung ist, eindringlich an Bund und Länder
appellieren, zur Optimierung der notwendigen technischen Entwicklungen nicht wie bisher den Weg der Konkurrenz einzuschlagen. Es bedarf einer unverzüglichen, möglichst einheitlichen Lösung sowohl für die Aufzeichnungstechnik als auch für die Transkriptions-Software (7).
(1) Die Notwendigkeit der Einführung der technischen Dokumentation von strafgerichtlichen Hauptverhandlungen wurde bereits von der Expertinnen- und Expertengruppe zur Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung zutreffend herausgearbeitet. Eine solche Dokumentation verbessert die Grundlage für die Nachvollziehbarkeit der Hauptverhandlung und für die richterliche Überzeugungsbildung aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung. Sie trägt dazu bei, kognitiv bedingte Fehler zu vermeiden und dient so der verbesserten Wahrheitsfindung. Die Richter*innen werden von der Beschäftigung mit der zwingenden eigenen handschriftlichen Dokumentation der Hauptverhandlung befreit und können sich ohne eine sich daraus ergebende Ablenkung mit erhöhter Aufmerksamkeit auf die Wahrnehmung des Geschehens in der Hauptverhandlung konzentrieren. Die Gefahr eines Informationsverlustes und einer Fehlinterpretation von Aussagen durch das Tatgericht werden reduziert.
Eine einheitliche, grundsätzlich allen am Verfahren Beteiligten zur Verfügung stehende Dokumentation der Hauptverhandlung erscheint in jeglicher Hinsicht erforderlich, um eine möglichst wahrheitsgemäße Sachverhaltsaufklärung zu ermöglichen. Die gegenwärtige Praxis, dass nämlich alle Beteiligten jeweils selbst dafür verantwortlich sind, den Inhalt von Einlassungen und Aussagen und etwaige Anmerkungen dazu aufzuzeichnen, so gut sie es können und dürfen, konstituiert eine Uneinheitlichkeit der Wahrnehmung. Eine solche Rechtslage, durch die den Verfahrensbeteiligten unterschiedliche Protokollierungen aufgezwungen werden, gibt es, soweit ersichtlich, nirgendwo sonst. Dem Ziel, Akzeptanz durch die mit der Hauptverhandlung eröffnete Möglichkeit einer gemeinsamen Suche nach Wahrheit zu fördern, ist dies extrem abträglich. Diese dysfunktionale Rechtslage zu ändern und die Grundlagen einer gemeinsamen Wahrnehmung zu schaffen, ist lange überfällig und daher dringend geboten.
Nur so kann der Vorwurf aus der Anwaltschaft ausgeräumt werden, es bestünden teilweise erhebliche Diskrepanzen zwischen der tatsächlichen Beweisaufnahme und deren Wiedergabe in den Urteilsgründen.
(2) Bedenken bestehen in Bezug auf den Umfang der dazu nach dem Entwurf vorgesehenen Dokumentationspflicht. Eine Tonaufzeichnung sollte alle Anforderungen erfüllen, die erforderlich sind, um die Einlassungen und Aussagen der Angeklagten und Zeugen und Sachverständigen in ihren Zusammenhängen, insbesondere im Kontext zu etwaigen Fragen und deren Formulierung und in ihrem Aussageverhalten inhaltlich interpretieren und schlussendlich würdigen zu können. Welcher Mehrwert mit einer Videoaufzeichnung verbunden sein soll, wird – jedenfalls in der Begründung des Gesetzentwurfs – nicht deutlich.
Allein der Umstand, dass sich etwas technisch umsetzen lässt, stellt gemeinhin keinen Grund dafür da, dies auch zu machen. Insofern kann das Argument, dass Anderes als eine umfängliche Aufzeichnung in Ton und Bild nicht zeitgemäß wäre, kaum geeignet sein, grundrechtsrelevante Bedenken von Personen, die durch eine obligatorische Aufzeichnung erfasst wären, abzutun. Vorbehalte, wie sie mutmaßlich nicht nur zur Wahrung ihres Status quo und zur Abwehr von Ungewohntem vor allem aus der Richterschaft gegenwärtig vorgetragen werden, sollten daher ernst genommen werden. So dürfte die Aufzeichnung des Zuschauerraums in Hinblick etwa auf die Kontaktaufnahmen zwischen Zuschauern und sowohl Angeklagten als auch Zeugen, oder in Hinblick auf die Anwesenheit späterer Zeugen an vorangegangenen Verhandlungstagen für eine Auswertung durchaus von Belang sein – weit mehr als der Blick auf die Richterbank. Die eine Kameraeinstellung unterliegt Bedenken in Bezug auf die Gewährleistung des Öffentlichkeitsgrundsatzes, die andere lässt sich dienstrechtlich anordnen.
Der Gesetzentwurf geht offenkundig davon aus, dass die Grundlage der von allen Beteiligten vorzunehmenden Beweiswürdigung, soweit es um die Einlassungen von Angeklagten und um die Aussagen von Zeugen geht, wie bislang jeweils in erster Linie das gesprochene Wort sein soll. Selbstverständlich fließt in die Bewertung einer Aussage immer auch das nonverbale Verhalten des Sprechenden mit ein, aber auch das Verhalten der Anwesenden in Reaktion auf Aussagen und das Verhalten Dritter. Es besteht die Gefahr, dass dann, wenn auch diese flüchtigen Eindrücke dokumentiert werden sollten, im Rahmen der Urteilsbegründung in unvergleichlich größerem Umfang als bislang eine inhaltliche Auseinandersetzung mit nonverbalem Verhalten erwartet wird. Die Anforderungen, die durch die Rechtsprechung an die Begründung erstinstanzlicher Urteile gestellt werden (können), könnten damit weiter wachsen.
Der „Verzicht“ auf eine Bilddokumentation hätte dagegen keine erhebliche Auswirkung auf die Qualität der Wahrheitsfindung. Mimik und Gestik können zwar im Zusammenspiel mit einer Äußerung einen Eindruck hinterlassen, der, zum Teil unreflektiert, der intuitiven Beurteilung der Glaubhaftigkeit einer Aussage zugrunde gelegt wird. Um dies aber wiederum als verlässliche Beurteilungsgrundlage einer Glaubwürdigkeitsbewertung einer Aussage zugrunde legen zu können, müsste als Referenz zumindest das unbeobachtete Normalverhalten einer Person zur Verfügung stehen.
Ohne einen signifikanten Mehrwert für die Wahrheitsfindung erscheint es vertretbar, wenn das Gesetz nicht zu einer Bilddokumentation verpflichtet. Besteht bei Bildmaterial in unvergleichlich höherem Maße als bei einem Tondokument die Gefahr, dass es unbefugt öffentlich Verbreitung findet, auch wenn dies strafbewehrt verboten ist, so würde das Risiko derartiger Vorfälle mit den damit möglicherweise einhergehenden erheblichen negativen Effekten auf das Aussageverhalten von Verfahrensbeteiligten insgesamt reduziert werden.
Jedenfalls lässt der Entwurf, der sich mit der Begründung dieser Frage, die von der Empfehlung der Expertenkommission abweicht, auf S. 19 der Entwurfsbegründung auf gerade einmal auf 5 Zeilen beschränkt, bislang die erforderliche Verhältnismäßigkeitsprüfung in Bezug auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der unterschiedlich betroffenen Gruppen von Beteiligten vermissen.
Im Falle einer lediglich fakultativen Öffnung der Dokumentation für die – ergänzende – Bildaufzeichnung mag es vernünftig sein, die Auseinandersetzung um die (verfassungs-)rechtlichen Fragestellungen auf die Ebene der Umsetzung zu verlagern und damit der Datenschutz-Folgeabschätzungen und dem Streit um einzelne verfahrensleitende Anordnungen von Vorsitzenden zu überantworten, wie er mit der in § 273 Abs.1 StPO-E gewählten Formulierung vorgezeichnet wird.
(3) Für den Verzicht auf eine obligatorische Bilddokumentation spricht vor allem, dass zu erwarten ist, dass der mit einer Dokumentationspflicht angestrebte Zweck im Ton weit besser umgesetzt werden kann, als wenn sie das Bild mit umfasst. Dies setzt allerdings zunächst voraus, dass das aufgezeichnete Tonmaterial, anders als es die aktuelle Entwurfsfassung vorsieht, den in der Hauptverhandlung Sitzenden nicht erst am Ende eines Verhandlungstags zur Verfügung stehen sollte, sondern dass die Dokumentation bereits in der laufenden Verhandlung zur Verfügung stehen darf – und sollte. Denn in dieser Situation, also nicht erst zum Plädoyer, danach bei der Urteilsberatung und beim Absetzen des Urteils, wird der Rückgriff auf die genaue Wortwahl benötigt, nämlich zur Vermeidung und Aufklärung von Missverständnissen und Widersprüchen. Soll den Beteiligten das Mitschreiben erspart bleiben, dann müssen sie parallel zur laufenden Vernehmung auf ein separat abgelegtes Tondokument zugreifen können, um daraus vorhalten zu können.
Ein solch fachliches Erfordernis dürfte technisch umsetzbar sein. Voraussetzung ist aber, dass der Zugriff auf dieses Dokument nahezu unverzögert erfolgen kann, was umso unproblematischer und ausfallsicherer zu gewährleisten sein dürfte, je geringer die Datenmengen und die Anzahl der Aufzeichnungsgeräte sind, um die es geht.
Die (vorläufige) Beschränkung auf den Ton hätte zudem den Vorteil, dass diese Technik, von dem oben angesprochenen etwaigen Fortentwicklungserfordernis vielleicht abgesehen, in erprobter Weise zur Verfügung steht. Die Technik darf nicht zu einer weiteren Herausforderung werden, an deren Beherrschung sich die Autorität des Gerichts messen lassen muss. Je unkomplizierter der Einsatz der Technik erfolgt, desto besser ist dies in der Außenwahrnehmung.
(4) Aus dem zuvor Bemerkten folgt, dass die in § 273 Abs.6 StPO-E vorgesehene Verpflichtung, den dort genannten Verfahrensbeteiligten nach jedem Verhandlungstag unverzüglich Zugang zu der angefertigten Dokumentation zu gewähren, ergänzt werden sollte um den Halbsatz „…, soweit der Zugang nicht in der laufenden Verhandlung gewährleistet ist.“ Damit sollte auch klargestellt sein, dass es nicht erforderlich ist, das Transkript zu überarbeiten. Wenn dieses nur Hilfsmittel ist, das den Zugriff auf das maßgebliche Tondokument erleichtert, so ist es ohne Relevanz, ob die Transkription überprüft wurde. Dies kann unter Umständen sehr aufwendig sein, je nachdem, welche Anforderungen etwa an das Nachhören kaum verständlich gesprochener Worte oder Passagen gestellt werden.
Die gewählte Gesetzgebungstechnik, nämlich die in § 271 Abs.2 StPO-E vorgesehene schlichte Ergänzung um eine Aufzeichnungspflicht erstinstanzlicher Verfahren vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht, wird dem tatsächlichen Bedarf in der gesamten Justiz nicht gerecht und wirkt in sich inkonsistent. Insofern ist darauf hinzuweisen, dass die bereits bestehende Möglichkeit, bei Verfahren vor dem Amtsgericht einzelne Aussagen auf Tonträger aufzunehmen (§ 273 Abs.2 S.2 StPO), derzeit nach ihrem Wortlaut weder eine Bilddokumentation zulässt, noch auch nur eine Komplettaufzeichnung der Verhandlung. Zu beidem sollte das Gesetz aber ermächtigen. Gleiches gilt für die Möglichkeit der Aufzeichnung etwa von Berufungs- und Revisionsverfahren vor den Instanzgerichten – einschließlich des BGH.
Eine solche gesetzliche optionale Ermächtigung ist erforderlich, um dieser Dokumentation, so sie denn angeordnet wird, dieselbe rechtliche Bedeutung einzuräumen wie im Falle ihrer obligatorischen Erstellung. Damit wird zugleich sichergestellt, dass eine technische Dokumentation, wenn sie denn erstellt wird, allen am Verfahren Beteiligten in gleicher Weise zur Verfügung zu stehen hat.
(5) Im Ergebnis tritt die NRV dafür ein, dass eine Dokumentationspflicht, bezogen auf zumindest den wesentlichen Inhalt von Einlassungen und Aussagen, unabhängig von der Gerichtsbarkeit bestehen sollte. Soweit erstinstanzliche Verfahren vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht geführt werden, hat zumindest eine digitale Aufzeichnung des Tons zu erfolgen. Dies schließt in keinem Fall aus, dass eine umfassendere Dokumentationsart gewählt wird, sei es, dass sie auf die gesamte Verhandlung erstreckt wird, sei es, dass statt einer protokollarischen Aufzeichnung eine Tonaufzeichnung erfolgt, oder eine Dokumentation in Ton und Bild.
(6) Einzelne Regelungen sollten nach Auffassung der NRV verbessert werden:
(a) Die Löschfrist ist in § 273 Abs.4 StPO-E zu rigide geregelt. Sie beinhaltet, strenggenommen, dass im Falle eines allseitigen Rechtsmittelverzichts noch nicht einmal diese Erklärung für die Dauer der regulären Rechtsmittelfrist zu speichern wäre, sondern dass nach Verlesen der Erklärungen aus dem Formalprotokoll abschließend anzuordnen wäre, dass die digitale Dokumentation zu löschen ist. Auch das Gericht könnte in diesem Falle zur Absetzung des Urteils nicht mehr auf die Dokumentation zurückgreifen. Selbst die Transkription ließe sich nicht mehr ordnungsgemäß erstellen.
Schon in Hinblick darauf, dass die in einem Verfahren getätigten Aussagen gegebenenfalls in anderen Verfahren von Bedeutung sein können, sollte das Gesetz eine Höchstdauer vorsehen, innerhalb derer zu klären ist, ob Einwände gegen die Löschung bestehen. Der Fristbeginn sollte an die Absetzung der Entscheidung anknüpfen.
(b) Die Formulierung, unter denen § 273 Abs.5 StPO-E eine Verwendung in anderen Verfahren erlaubt sein soll, ist missverständlich formuliert. Ausweislich der Begründung soll wohl lediglich die Person, deren Aussage verwendet werden soll, dieser Zweckentfremdung widersprechen können dürfen. Der Gesetzestext kann dahin verstanden werden, dass alle Verfahrensbeteiligte ihre Zustimmung erteilen müssten.
(c) Zu § 273 StPO – E Abs. 6 und 7
Mit dem jetzigen Normvorschlag zu § 273 StPO – E Abs.7 wird eine uneingeschränkte Zurverfügungstellung des Hauptverhandlungsinhaltes an jeden vorgeblich Verletzten befürwortet, unabhängig von der Fragestellung, inwieweit bereits seine Zeugenvernehmung abgeschlossen ist. Diese weite Informationsmöglichkeit eines vorgeblich Verletzten über den bisherigen Verhandlungsverlauf entspricht nicht der jetzigen Rechtslage und ist im Hinblick auf die Zeugenqualität eines vorgeblich Verletzten, der noch nicht als Zeuge vernommen wurde, bedenklich.
Auch wenn im Regelfall keine Bedenken gegen eine Information der vorgeblichen Verletzten durch die Dokumentation der Hauptverhandlung bestehen, so gibt es aber eine Reihe von regelmäßig auftretenden Konstellationen, in denen eine derartige Information zu unterbinden ist. So wird insbesondere bei Aussage – gegen – Aussage – Konstellationen auch eine vorherige Aktenkenntnis problematisiert und verweigert, weil sonst eine Beeinträchtigung der gerichtlichen Sachaufklärung (§ 244 Abs. 2) zu besorgen wäre. Entsprechend der in diesen Fällen vertretenen Verweigerung einer Akteneinsicht (Vergleich Schmitt in Meyer – Goßner/Schmitt Rn. 12 zu § 406b StPO 63. Auflage) ist auch die Verweigerung der Zurverfügungstellung der Dokumentation der Hauptverhandlung angezeigt. Auch in der Rechtsprechung wird deutlich problematisiert, dass bei Konstanz-Analysen von Zeugenaussagen etwaige Vorkenntnisse aus Akteninhalt oder anderen Quellen außerhalb der Realereignisse der Tat den Beweiswert einer Aussage (BGH, Beschluss vom 15.3.2016 Strich 5StR52/16, BeckRS 2016,06515) beeinträchtigen.
Entsprechend ist auch bezüglich § 273 Abs. 6 StPO -E in Frage zu stellen, ob einem Rechtsbeistand eines Verletzten zusätzlich zu seinem Anwesenheitsrecht in der Hauptverhandlung uneinschränkbar auch noch eine Dokumentation der Hauptverhandlung, sei es in Audio-, audiovisueller oder verschriftlichter Form, zur Verfügung gestellt wird. Zumindest erscheint eine Einschränkungsmöglichkeit durch das Gericht sinnvoll. Nur dadurch kann die Zeugenqualität erhalten werden und entsprechend § 406b Abs. 2 den überwiegenden schutzwürdigen Interessen des Beschuldigten oder anderen Personen entsprochen werden, sowie die Umsetzung des Rechtsgedanken des § 406e Abs. 2 aufrechterhalten werden.
Die Zurverfügungstellung einer umfassenden Dokumentation der vorangegangenen Hauptverhandlung stellt eine qualitativ wesentlich andere Informationsmöglichkeit für eine noch zu vernehmende Person da, als sie der Bericht ihres Beistandes wäre. Hierfür spricht nicht zuletzt der gesamte Gesetzesentwurf zur Verbesserung der Dokumentation der Hauptverhandlung.
Die NRV schlägt deshalb vor die Abs. 6 und 7 des § 273 StPO-E wie folgt zu ergänzen: „soweit nicht die Gründe im Sinne von § 406b Abs. 2 oder Einschränkungen der Qualität der Zeugenaussage des Verletzten dem entgegenstehen.“
(7) Anlässlich dieses Gesetzesvorhabens möchte die NRV darauf hinweisen, dass ein Gesetz zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung entscheidend auf der technischen Voraussetzung einer guten Verschriftungssoftware basiert. Ohne eine sehr gute Verschriftung der Hauptverhandlung würden die mit diesem Gesetzesvorhaben angestrebten Vorteile nicht erreicht werden, und die Akzeptanz bei den Anwendern würde unzureichend bleiben.
Die Verschriftung ist als einheitliches Digitalpaktprojekt vom Bund und allen Ländern sofort zu entwickeln.
Die NRV fordert, dass die in einzelnen Bundesländern begonnenen Entwicklungen von Verschriftlichungssoftware und Technik massiv und qualitativ deutlich gestärkt wird. Geeignet wäre hierzu ein wesentlich mit Bundesmitteln getragener Digitalpakt-Transkription.
In jedem Fall sollten zeitnah die parallel stattfindenden länderspezifischen Entwicklungsbemühungen zu einer qualitativ besseren Entwicklungsinitiative zusammengeführt werden, um aufgrund einer im Wesentlichen durch den Bund optimierten Mittelausstattung schnell ein wirklich gutes Verschriftlichungsprodukt zu entwickeln.
Die für diese Softwareentwicklung erforderlichen Grunddaten und Erprobungsfelder stehen in Form der in den Landes- und Bundesbehörden bereits stattfindenden audiotechnisch aufgezeichneten Zeugen- und Beschuldigtenvernehmungen bereit. Die dabei aufgewendeten Mittel würden im Übrigen unabhängig von dem hiesigen Gesetzesvorhaben gewinnbringend bei den Vernehmungsaufgaben dauerhaft genutzt werden können.
Für die Neue Richtervereinigung
Ruben Franzen und Ulf Thiele