Referentenentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften

16. November 2020| Stellungnahme, FG Strafrecht

Mit den folgenden Ausführungen soll Stellung zum Reformvorhaben des Bundesministeriums der Justiz zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 06.10.2020 bezogen werden. Die neue Richtervereinigung unterstützt vielfältige Ansätze der Reform, sieht jedoch hinsichtlich einiger Änderungsvorhaben (teils erheblichen) Nachbesserungsbedarf. Aufgrund des Umfangs der Reformbemühungen soll im Folgenden auf einige wesentliche Themenbereiche eingegangen werden.

Reform der Zeugenvernehmung

Begrüßt wird im Grundsatz die Reform des § 68 StPO. Durch die Neufassung des Gesetzes wird ein erhöhter Zeugenschutz erreicht. Einer wie bisher praktizierten eingehenden Überprüfung der Anschrift des Zeugen bedurfte es nur in den seltensten Fällen – bei Erscheinen der Zeugen war auch bisher im Regelfall sichergestellt, dass die Ladungsanschrift noch immer zutrifft. Soweit hier Abweichungen eintraten, erschienen Zeugen bisher nicht oder gaben erfahrungsgemäß eigenständig an, dass sich eine Veränderung ergeben hat.

Allerdings wird diesseits kein Bedarf für die weitgehende Neuregelung in § 68 Abs. 4 S. 4 StPO-E gesehen. Hierdurch soll die Staatsanwaltschaft von Amts wegen zur Eintragung von Auskunftssperren gem. § 51 Abs. 1 BMG veranlassen, sofern dem Zeugen gem. § 68 Abs. 2 S. 1 StPO-E die Angabe einer anderen ladungsfähigen Adresse als den Wohnort gestattet wird und der Zeuge zustimmt. In der Praxis werden Zeugen, die professionell Straftaten aufklären bzw. häufig Zeugen von Straftaten werden (Polizeibeamte, Ladendetektive, Mitarbeiter in Supermärkten etc.) regelmäßig gem. § 68 Abs. 2 S. 1 StPO von der Angabe ihrer Wohnsitzadresse entbunden und können stattdessen ihren Dienst- bzw. Arbeitsort angeben. Für diese Praxis besteht auch nach Änderung des § 68 Abs. 1 StPO im Sinne des Gesetzesentwurfs Bedarf – beispielsweise wird die Adresse und Identität einer Polizeibeamtin in einem kleinen Dorf leicht zu ermitteln sein, sodass es auch hier sachdienlicher ist, ihre Dienststelle als ladungsfähigen Ort anzugeben. Soll die Staatsanwaltschaft nunmehr von Amts wegen die Zustimmung all dieser Zeugen zur Eintragung einer Auskunftssperre i.S.d. § 51 Abs. 1 BMG einholen müssen, so entstünde hierdurch ein massiver bürokratischer Aufwand. Sachdienlicher wäre es vielmehr, die Staatsanwaltschaft zur Veranlassung einer Auskunftssperre nur auf Antrag des Zeugen zu verpflichten. Insoweit kann eine Belehrungspflicht angedacht und ein mündlicher Antrag als ausreichend befunden werden

 

Reform der Postbeschlagnahme

Die Kodifikation der bisher gängigen Praxis zu Auskunftsverlangen im Zusammenhang mit Postbeschlagnahmen ist sachdienlich und verfassungsrechtlich angezeigt. Die Erweiterung auf retrograde Postdaten ist erfreulich und angebracht. Die explizite Klarstellung, dass auch Auskunftsersuchen eines gerichtlichen Beschlusses bedürfen, wird eingedenk des Stellenwerts des Postgeheimnisses gem. Art. 10 Abs. 1 GG begrüßt.

Im Zuge der aktuellen Reform hätte allerdings erwogen werden sollen, die Zuständigkeit zur Postbeschlagnahme von Haftpost auf die Staatsanwaltschaft zu übertragen. In diesen Fällen liegt mit der Beschränkungsanordnung gem. § 119 StPO bereits eine richterliche Anordnung vor, die im Erstzugang die Haftpostkontrolle und damit bereits den Eingriff in den Postvorgang als solchen erlaubt. Es handelt sich dabei gerade nicht um eine heimliche Infiltration in einen grundrechtlich geschützten Kommunikationsvorgang – dann wäre von Verfassungs wegen ein Richtervorbehalt gegeben (vgl. BVerfG, Urteil vom 27.02.2008 – 1 BvR 370/07, 1 BvR 595/07 = NJW 2008, 822) – sondern vielmehr um einen dem Beschuldigten bekannten und richterlich angeordneten Zugriff auf dessen Kommunikation. Die Belastung der Gerichte mit der Beschlagnahme beweisrelevanter Postsendungen steht nicht im Verhältnis zur Wertigkeit des geschützten Rechtsguts. Dementsprechend wird vorgeschlagen, § 100 Abs. 1 StPO-E wie folgt zu fassen:

„Zur Anordnung der Maßnahmen nach § 99 ist nur das Gericht, bei Gefahr im Verzug und, sofern eine Anordnung i.S.d. § 119 Abs. 1 S. 2 Nummer 2, S. 3 StPO vorliegt, hinsichtlich Schrift- und Paketverkehr i.S.d. § 119 Abs. 1 S. 2 Nummer 2 StPO auch die Staatsanwaltschaft befugt.“

Reform der Belehrung von Beschuldigten

Die Einfügung eines neuen Halbsatzes in § 114b Abs. 2 S. 1 Nr. 4 StPO-E wird begrüßt. Der einfache Zugang zu einer angemessenen Verteidigung, insbesondere durch die Anerkennung der Bemühungen der Anwaltschaft, einen Verteidigernotdienst zu etablieren, wird hiermit gestärkt – dies ist der Verfahrensfairness zuträglich und entspricht einem tatsächlichen Bedürfnis vieler Beschuldigter. Genauso wird es befürwortet, dass mit § 114b Abs. 1 S. 3 Hs. 2 StPO-E die Rechte von Beschuldigten mit Behinderung Berücksichtigung bereits im Ermittlungsverfahren finden sollen. Hierdurch wird dem Gleichstellungsauftrag aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG Rechnung getragen.

§ 104 StPO-E

Die Anpassung des § 104 Abs. 3 StPO wird vollumfänglich begrüßt. Der bisherigen Differenzierung fehlte es an einem Sachgrund.

Überarbeitung des § 168a StPO

Auch die Überarbeitung des § 168a StPO wird seitens der NRV dringend begrüßt. Mit der Neufassung der Norm erfolgt ein wichtiger Schritt in Richtung Digitalisierung. Insbesondere ist erfreulich, dass eine Sicherung von Ton-/Bild- bzw. Tonaufnahmen von ermittlungsrichterlichen Verhandlungen erfolgen soll. Darüber hinaus erfreut es, dass die Bedeutung von solchen Aufzeichnungen in Relation zum verschriftlichten Protokoll in den Vordergrund gerückt wird. Schließlich überzeugt auch die Behandlung von Protokollen, die durch Transkription einer vollständigen Aufzeichnung in Bild und Ton bzw. in Bild entstanden sind. Um die Reform zu komplettieren, wäre es jedenfalls erfreulich, wenn in den Gesetzestext noch eine Regelung zum Verhältnis zu § 58a Abs. 3 StPO aufgenommen werden könnte. Bedeutender aber ist, sicherzustellen, dass in den Gerichten diejenigen technischen Voraussetzungen geschaffen werden, um ermittlungsrichterliche Verhandlungen in der in § 168a StPO-E vorgesehenen Weise aufzeichnen und auswerten zu können. Das heißt: Mindestens ein Verhandlungssaal mit Videokameras und Tonaufzeichnungsgeräten sowie automatische Transkriptionssoftware.

§ 163g StPO-E

Die Neue Richtervereinigung hält den Entwurf des § 163g StPO-E für in vielerlei Hinsicht defizitär und warnt vor einer Umsetzung der Vorschrift auf Basis des vorliegenden Gesetzesentwurfs.

Die Sinnhaftigkeit des § 163g Abs. 1 StPO-E erschließt sich nicht. Die Ermächtigungsgrundlage läuft in ihrer jetzigen Gestalt ins Leere. Aus Gründen der informationellen Selbstbestimmung eröffnet die neue Vorschrift zutreffendermaßen nicht die dauerhafte und flächendeckende Überwachung des Straßenverkehrs, sondern greift nur, wenn im Einzelfall Anhaltspunkte für eine erhebliche Straftat vorliegen. Erst dann soll eine zeitlich und räumlich begrenzte Überwachung des öffentlichen Verkehrsraums ermöglicht werden. Es ist nicht ersichtlich, wie auf diese Weise die Beteiligung eines spezifischen Kraftfahrzeugs an einer (bereits begangenen – der Gesetzeswortlaut verwendet explizit die Vergangenheitsform) Straftat nachgewiesen werden soll. Die Identifikation des Täterfahrzeugs selbst ist durch die vorliegende Ermächtigungsgrundlage nicht möglich: Das Kennzeichen des Fahrzeugs kann hierdurch nicht ermittelt werden, sondern muss bereits anderweitig bekannt sein. Im absoluten Regelfall entfernt sich die Täterschaft von Straftaten, die mobil ist, nach der Begehung einer Straftat vom Tatort. Dementsprechend ist eine ex-post-Überwachung des Straßenverkehrs am Tatort nicht geeignet, um die an der konkreten Tat beteiligte Täterschaft zu identifizieren.

Auch wenn die Vorschrift grds. eine Überwachung anderer Straßen als den Tatort selbst erlaubt, so setzte eine erfolgreiche Überwachung des Straßenverkehrs zur Identifikation des Aufenthaltsorts eines Täters auf der Flucht entweder eine weitreichende, also flächendeckende, oder eine äußerst zeitnahe Anordnung voraus. Nachdem die Anordnung schriftlich und begründet i.S.d. § 163g Abs. 3 StPO-E zu erfolgen und räumlich einzugrenzen ist, ist mit einer sehr zeitnahen Anordnung praktisch nicht zu rechnen. Nach dem notwendigen Zeitablauf ist regelmäßig nicht mehr klar einzugrenzen, wohin sich die Täterschaft zwischenzeitlich begeben hat. Eine Erfolgsaussicht des Datenabgleichs i.S.d. § 163g Abs. 1 a.E. StPO-E ist damit (entgegen S. 68 der Gesetzesbegründung) de facto nie zu bejahen.

Damit unterscheidet sich die vorliegende, repressiv konzipierte Ermächtigungsgrundlage essenziell von den präventiv-polizeilichen Ermächtigungsgrundlagen, die Gegenstand der bisherigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts waren (BVerfG, Beschluss vom 18.12.2018 – 1 BvR 142/15 = NJW 2019, 827 und BVerfG, Beschluss vom 18.12.2018 – 1 BvR 2795/09, 1 BvR 3187/10 = NJW 2019, 842). Durch diese Maßnahmen sollten großflächig Straßen erfasst bzw. zielgerichtet Örtlichkeiten kontrolliert werden, an die sich etwaige Störer hin-, nicht aber von denen sich Störer wegbewegten. Darüber hinaus sollte die Kennzeichenerfassung als Mittel der Schleierfahndung eingesetzt werden. Dieses präventiv-polizeiliche Vorgehen zeichnet sich gerade dadurch aus, dass kein konkreter, zeitnaher Anlass, sondern vielmehr eine Straftat in der Vergangenheit (bzw. im Ausland) begangen wurde, die weitere unbestimmte, in der Zukunft liegende Straftaten derselben Täterschaft befürchten lassen. Die vorliegende strafprozessuale Vorschrift kann solche Konstellationen schon aus Gründen der Gesetzgebungskompetenz nicht erfassen, nachdem präventiv-polizeiliche Zuständigkeiten bei den Ländern liegen. Darüber hinaus zeigt das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Beschluss vom 18.12.2018 – 1 BvR 2795/09, 1 BvR 3187/10 = NJW 2019, 842, Rn. 74 f.; BVerfG, Beschluss vom 18.12.2018 – 1 BvR 142/15 = NJW 2019, 827, Rn. 147 ff.) in Übereinstimmung mit dem Europäischen Gerichtshof auf, dass solche Fahndungsmaßnahmen nur im Grenzgebiet zulässig sind – eine Beschränkung, die § 163g StPO-E nicht vorsieht.

Anders und wahrscheinlich fahndungseffektiver wäre es, wenn die Vorschrift eine flächendeckende automatisierte Kennzeichenerfassung mit nachfolgendem Abgleich erlaubte. Dies bedeutete zugleich allerdings einen massiven Grundrechtseingriff in die Grundrechte einer Vielzahl von Unbeteiligten. Eine flächendeckende Anordnung wäre deshalb verfassungswidrig (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18.12.2018 – 1 BvR 142/15 = NJW 2019, 827, Rn. 93, 149 ff.). Die Gesetzesformulierung bleibt allerdings so vage, dass de facto eine weitreichende Verkehrsraumüberwachung mit dem Normwortlaut vereinbar ist: § 163g Abs. 1 S. 1 StPO-E eröffnet die Anordnung der automatischen Kennzeichenüberwachung „an bestimmten Stellen“. § 163g Abs. 1 S. 2 StPO-E verpflichtet zur „nicht flächendeckend[en]“ Überwachung. Was allerdings unter einer flächendeckenden Überwachung zu verstehen ist – der einzigen, dem Wortlaut zu entnehmenden Grenze der „bestimmten Stelle[n]“ bleibt offen (vgl. zur unklaren Auslegung der vergleichbaren Vorschrift § 27b BPolG Schenke/Graulig/Ruthig/Ruthig § 27b BPolG Rn. 7). Nachdem es sich um eine Bundesnorm handelt, kann unter einer flächendeckenden Datenerhebung eine bundesweite Datenerhebung verstanden werden. Der polizeirechtlichen Literatur zu § 27b BPolG reicht es – gestützt auf die Gesetzesbegründung zum verfassungswidrigen § 22a BWPolG – aus, dass größere Straßenabschnitte ohne Erfassung durchfahren werden können (Schenke/Graulig/Ruthig/Ruthig § 27b BPolG Rn. 7), ohne damit auch nur einen Ansatz an Präzisierung der Vorschrift zu erreichen. Aber schon die Anordnung einer Datenerhebung in einem ganzen Bundesland oder über weite Strecken in verschiedenen Bundesländern wäre ein derart massiver Eingriff in Grundrechte, dass dieser auch bei Kapitalstraftaten nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis zum legitimen Eingriffsziel steht. Das Bundesverfassungsgericht verlangt deshalb zurecht einen Konnex zwischen der konkreten Kontrolle und dem staatlichen Eingriff – nicht nur anlassbezogen (hierauf deutet die Formulierung „Kennzeichenerfassung ins Blaue hinein“, S. 68 der Gesetzesbegründung hin), sondern auch lokativ soll dem staatlichen Handeln Grenzen gesetzt werden (BVerfG, Beschluss vom 18.12.2018 – 1 BvR 142/15 = NJW 2019, 827, Rn. 93; vgl. auch Roggan, Verfassungsrechtliche Grenzen von automatisierten Kfz-Kennzeichenkontrollen, NVwZ 2019, 344, 349), um zu garantieren, dass eine Fortbewegung auch ohne das ständige Gefühl der Überwachung möglich ist (Roggan, Verfassungsrechtliche Grenzen von automatisierten Kfz-Kennzeichenkontrollen, NVwZ 2019, 344, 350). Die Formulierungen des Gesetzesentwurfs bieten ein Einfallstor für eine verfassungswidrige extensive Auslegung und damit für breit angelegte, mechanisierte Grundrechtseingriffe ohne eingrenzbaren örtlichen Bezug.

Weiterhin fehlt eine Kodifikation der Zuständigkeit für die Anordnung gem. § 163g Abs. 1 StPO-E. Der Gesetzesbegründung ist zu entnehmen, dass die Anordnung der Staatsanwaltschaft und ihren Ermittlungspersonen obliegen soll (S. 67, 69), mithin ist nicht einmal eine staatsanwaltliche Anordnung erforderlich. Angesichts des erheblichen Eingriffspotentials (BVerfG, Beschluss vom 18.12.2018 – 1 BvR 142/15 = NJW 2019, 827, Rn. 96 ff.) – dabei ist daran zu erinnern, dass kaum ein von der Maßnahme Betroffener selbst Beschuldigter ist – wird ein Richtervorbehalt anzuordnen sein. Dies ist bei anderen verdeckten Überwachungsmaßnahmen wie beispielsweise der Telekommunikationsüberwachung, der lang andauernden verdeckten Observation etc. bereits der Fall und verfassungsgerichtlich klargestellt (vgl. BVerfG, Urteil vom 27.02.2008 – 1 BvR 370/07, 1 BvR 595/07 = NJW 2008, 822) . Soweit der Gesetzentwurf den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts keinen solchen Richtervorbehalt entnimmt (S. 67), so trifft dies zwar zu – jedoch hat das Bundesverfassungsgericht auch nicht etwa ausdrücklich ausgeführt, dass ein Richtervorbehalt nicht gegeben sei. Hierzu bestand eingedenk der bereits materiell verfassungswidrigen Prüfgrundlage kein Anlass. Durch einen Richtervorbehalt wird, wie bereits ausgeführt, die Anordnung weiter verzögert, wodurch ihre Sinnhaltigkeit weiter in Frage gestellt wird.

Schließlich setzt § 163g StPO-E einen ganz erheblichen Umsetzungsaufwand voraus: Nachdem es dem Anordnenden gem. § 163g Abs. 3 S. 2 StPO-E überlassen bleibt, die Örtlichkeiten der Überwachung genau zu bestimmen, wird die technische Infrastruktur zur Umsetzung ebendieser Überwachung flächendeckend herzustellen sein – sonst bleibt die Anordnung bei fehlender Überwachungstechnik schlicht unvollzogen. Es ist höchst fraglich, ob der massive finanzielle und infrastrukturelle Aufwand zu dem nun sehr eingeschränkt zu erreichenden Ziel in angemessenem Verhältnis steht.

Reform des Rechts der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter

Eine Reform des Rechts der Schöffinnen und Schöffen sollte dringend zum Anlass genommen werden, die Resilienz des demokratischen Rechtsstaates gegen Extremismus gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerade innerhalb der Justiz zu sichern und zu stärken.

Das BVerfG verlangt zu Recht im Sinne der „streitbaren Demokratie“ auch von ehrenamtlichen Richterinnen und Richtern, weil ihnen rechtsprechende Gewalt gem. Art. 92 GG, § 1 Alt. 2 DRiG anvertraut ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.12.1969 – 2 BvR 271, 342/68 = BVerfGE 27, 312 = NJW 1970, 1227; BVerfG, Beschluss vom 06.05.2008 – 2 BvR 337/08 = NJW 2008, 2568), die Prinzipien der Demokratie, Rechtsstaatlichkeit oder allgemeinen Menschenwürde zu achten und sich eindeutig von Gruppen und Bestrebungen zu distanzieren, die diese Grundlagen der geltenden Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen und diffamieren. Bislang können ehrenamtliche Richterinnen und Richter bei derart gravierenden Verstößen nur unter Bezugnahme auf allgemeine Dienstpflichten des Amtes nachträglich enthoben (§ 27, S. 1 ArbGG; §§ 51 I; 113 I Nr. 2 GVG; vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.05.2008 – 2 BvR 337/08 = NJW 2008, 2568) oder entbunden werden (§ 21 I Nr. 3 FGO; § 22 I 2 SGG; § 24 I Nr. 2 VwGO). Mittlerweile sind einige und zunehmend Verfahren zu beobachten, in denen gegen vor allem rechtsextreme Schöffinnen und Schöffen sowie Laienrichterinnen und Laienrichter entsprechend vorgegangen werden musste. Zwischenzeitlich entstehen in der Praxis überaus problematische Situationen, wenn z.B. ehrenamtliche Richterinnen oder Richter in Beratungen sich in einer antisemitischen, antiziganen, fremden-, sonst menschenwürde-, demokratie- oder rechtsstaatsfeindlicher Weise äußern, die sich auch auf die Urteilsfindung auswirken kann. Dadurch wird nicht nur das Ansehen, sondern der Kern der gewalt- und willkürfreien Rechtsstaatlichkeit des Grundgesetzes gefährdet. Das BVerfG (Beschluss vom 06.05.2008 – 2 BvR 337/08 = NJW 2008, 2568, 2569 f.) hat den Justizverwaltungen Folgendes aufgegeben: „Hierbei haben die Landesjustizverwaltungen streng darauf zu achten, dass zum ehrenamtlichen Richter nur Personen ernannt werden dürfen, die nach ihrem Persönlichkeitsbild und ihrer fachlichen Befähigung – einschließlich ihrer Einstellung zu den Grundentscheidungen unserer Verfassung – die Gewähr dafür bieten, dass sie die ihnen von Verfassungs und Gesetzes wegen obliegenden, durch den Eid bekräftigten richterlichen Pflichten jederzeit uneingeschränkt erfüllen werden“. Der Gesetzgeber hat bislang versäumt, den Justizverwaltungen dazu rechtlich verlässliche Möglichkeiten einzuräumen. Einer § 9 Nr. 2 DRiG entsprechenden Vorschrift für Laienrichterinnen und –richter mangelt es noch immer. Lediglich in Nordrhein-Westfalen ist bislang eine Übertragung des genannten Erfordernisses auf alle Richterinnen und Richter auch im Ehrenamt erfolgt (§ 6 I LRiG NRW i.V.m. §§ 55 II, 182 I 1 LBG NRW).

Um dieses Defizit auszuräumen ist in § 32 GVG die Nummer 3, wie folgt, zu ergänzen: „Personen, die nicht die Gewähr dafür bieten, dass sie jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintreten.“

Verbesserung der Aufsicht und Kommunikation in der Bewährungsaufsicht und bei Weisungen

Während in der Justiz und der Gesellschaft die Digitalisierung voranschreitet und vor allem junge Menschen zunehmend über soziale Medien, Messenger-Dienste und elektronisch kommunizieren, erfolgt die justizielle Kontaktaufnahme noch immer weit überwiegend postalisch. Wo dies in vielerlei Hinsicht aus Datenschutz- bzw. Nachweisaspekten sachdienlich ist, erschwert dies gerade im Jugendstrafrecht eine adressatenangepasste Kommunikation. Das Ziel der (Straf-)Justiz, insbesondere im Jugendstrafrecht, zur individuellen Strafprävention und Resozialisierung ist so deutlich schwerer zu erreichen. Gerade in der Bewährungs- und Erziehungsweisungsüberwachung im Jugendstrafrecht ist es von erheblicher Bedeutung, einfachen und niederschwelligen Kontakt aufbauen zu können, um weitergehende Eingriffe vermeiden zu können.

Die § 56 c StGB und § 10 JGG sind dafür an die moderne Kommunikation anzupassen. Den Verurteilten unter Bewährungsaufsicht und den Jugendlichen, denen aus erzieherischen Gründen Weisungen zu erteilen sind, sollten auch Weisungen erteilt werden können, die ihre Erreichbarkeit durch die Gerichte, Jugendgerichtshilfe und Bewährungshelfer deutlich verbessern würde. Durch eine vereinfachte Kontaktaufnahme soll den Gerichten die Möglichkeit geboten werden, auf Jugendliche und der Bewährung unterstellte bei Problemlagen effektiver einwirken zu können. Ein bislang erheblicher Aufwand, der zurzeit von den Gerichten, JGH und Bewährungshelfern zur Aufenthaltsermittlung dieser Personen aufgewendet wird, könnte deutlich verringert und zugleich das Risiko eines etwaigen Bewährungswiderrufs abgemildert werden.

Beide Vorschriften sind dazu wie folgt zu ergänzen:

1. In § 56c Absatz 2 StGB ist nach Nummer 2 einfügen:

„2a. seine tägliche Erreichbarkeit über eine dem Gericht bekanntzugebende Telefonnummer oder E-Mail-Verbindung während der Bewährungszeit sicherzustellen.“

2. In § 10 Absatz 1 Satz 3 JGG ist nach Nummer 1 einzufügen:

„1a. seine tägliche Erreichbarkeit über eine dem Gericht bekanntzugebende Telefonnummer oder E-Mail-Verbindung sicherzustellen.“

Simon Pschorr
Staatsanwalt
Für die Fachgruppe Strafrecht der Neuen Richtervereinigung

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