Nun doch: Durchschnitt ist Dienstpflicht

Am späten Freitagabend wies der Richterdienstgerichtshof Baden-Württemberg in zweiter Instanz drei Klagen ab, mit denen sich der Richter am OLG Schulte-Kellinghaus gegen disziplinarische Maßnahmen gewandt hatte, mit der seine Erledigungsquote beanstandet worden war.

Der Kläger, ein unbestritten fleißiger Richter, war gemaßregelt worden, weil er im Jahr nicht so viele Verfahren abgeschlossen hatte wie der Durchschnitt seiner Kollegen. Die Beanstandungen bezogen sich zwar nicht auf die Bearbeitung konkreter Fälle, sondern sollten ihn insgesamt zu einer Änderung seiner Bearbeitungsweise bewegen. Da es sich aber seines Erachtens nicht lediglich um eine – zulässige – Beurteilung seiner Arbeitsweise gehandelt hat, sondern um den Versuch einer Einflussnahme, sieht er sich im Kernstück  der richterlichen Entscheidungsfindung, der richterlichen Unabhängigkeit, betroffen.

Das sieht der Dienstgerichtshof offensichtlich nicht so.

Aber soll jetzt die Erledigungszahl zum Maß aller Dinge in der Justiz werden?

Wie es heißt, haben die Richter des Dienstgerichtshofs diesen Fall bis in den Abend hinein verhandelt und beraten. Hätten nicht auch sie schneller zum Ziele kommen müssen? Ist es nicht eine Zumutung gewesen, den gemaßregelten Kollegen über Monate warten zu lassen, bis es zur Verhandlung kam? Warum hat diesen Kollegen niemand auf die „Füße getreten“? Zu Recht ist das nicht geschehen! Das Verfahren hat so lange gedauert, weil es angesichts der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage so lange dauern musste! Im Kern muss man Richterinnen und Richtern vertrauen, dass sie die (und nur die) Zeit für ein Verfahren aufwenden, die ihnen als Träger der dritten Staatsgewalt aus sachlichen Gründen erforderlich scheint. Das hat die Exekutive in Form eines Gerichtspräsidenten grundsätzlich nicht zu kommentieren oder gar zu beanstanden.

Die Entscheidung des Dienstgerichtshofs ist im Ergebnis fatal. Sie stellt die richterliche Unabhängigkeit – die Unabhängigkeit der Justiz  an sich – unter dem Druck einer restriktiven Personalpolitik erstmals in unserem Rechtstaat ernsthaft  in Frage. Wir wissen, dass es auch besonnene Präsidentinnen und Präsidenten gibt, die das nötige Fingerspitzengefühl in solchen Konfliktlagen aufbringen. Aber die Gefahr, dass die Entscheidung der OLG-Präsidentin in Karlsruhe Schule macht – sie vielleicht sogar zu einem Dammbruch führt, besteht.

Die NRV hat sich den Kampf für eine unabhängige Justiz auf die Fahnen geschrieben. Das erscheint wichtiger denn je! Die Unabhängigkeit der
Justiz soll für die Bürgerinnen und Bürger den Anspruch auf eine (auch) von der Administration unbeeinflusste Rechtsprechung sichern. Das muss auch in Zeiten knapper Kassen gelten. Die Ressourcenentscheidung des Haushaltsgesetzgebers mag sein wie sie ist. Es geht aber nicht an, dass die Exekutive die Folgen solcher Entscheidungen einseitig der Judikative auferlegt und meint bestimmen zu können, welche „Schlagzahl“ die Rechtsprechung dann zu erledigen hat. Wie unabhängig könnte Justiz dann wohl noch sein?

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