NRW Justiz: Reform des Besetzungsverfahrens und Einführung eines Justizrats!
Presseerklärung zur Stellungnahme der Neuen Richtervereinigung (NRV), Landesverband Nordrhein-Westfalen,
- zur Reform des Besetzungsverfahrens für Spitzenämter in der Justiz NRW
sowie zur
- Einführung eines Justizrates in Nordrhein-Westfalen
Der Ruf der NRW-Justizverwaltung ist zweifelhaft: Dienstliche Beurteilungen auf Bestellung, OVG-Besetzung nach Einzelgesprächen mit Bewerbern, Abhängigkeit der Rechtsprechung vom Justizministerium. Der Rechtsausschuss des Landtages führt hierzu am 20. November 2024 eine Anhörung durch. Die NRV hat Stellung genommen.
Seit Jahrzehnten gibt es Gründe, Stellenbesetzungen in der Justiz zu reformieren. Insbesondere gegenwärtig ist es nötig, das Vertrauen der Öffentlichkeit und der Richterschaft in den korrekten Ablauf von Besetzungsverfahren zu stärken bzw. erstmalig herzustellen. Die „Bestenauslese“ ist ein Mythos. Es ist in Vergessenheit geraten, dass die Judikative nach dem Grundgesetz keine Untergliederung des Justizministeriums, sondern unabhängige dritte Staatsgewalt ist.
Die Reformvorschläge des Ministers gehen zwar in die richtige Richtung, reichen aber nicht aus, um Besetzungsverfahren künftig vor sachfremder politischer Einflussnahme zu schützen.
Die NRV meint, dass die vom Minister verteidigten „Bewerber-Einzelgespräche“ während eines laufenden Bewerbungsverfahrens letztlich allein dem Zweck dienen, nicht erwünschte Mitbewerber/innen zur Rücknahme der Bewerbung zu veranlassen und so zur Vermeidung künftiger Konkurrentenklagen das Verfahren zu „vereinfachen“. Wenn der in einem rechtlichen und faktischen Machtgefälle zum Bewerber stehende Gerichtsleiter oder Justizminister, der zugleich beurteilt und die Besetzungsentscheidung fällt, mitteilt, die Bewerbung werde voraussichtlich eher nicht erfolgreich sein, wird dies in den Augen eines unbefangenen Beobachters als unzulässige Voreingenommenheit oder Vorfestlegung des Auswahlentscheiders, jedenfalls als fehlende Fairness und Parteilichkeit des Auswahlentscheiders wahrgenommen. Die NRV hält solche Bewerbergespräche für unfair und intransparent, lehnt sie ab und fordert u. a., sollten diese dennoch beibehalten werden, jedenfalls Wortprotokolle anzufertigen.
Weiter hält die NRV zur Versachlichung von Besetzungsentscheidungen eine Reform der dienstlichen Beurteilungen, die eine Vorstufe von Besetzungsentscheidungen sind, für zwingend erforderlich. Sie befürwortet die Einrichtung von Beurteilungsgremien nach österreichischem Muster, weil die nötige Transparenz nur durch das auch in Deutschland in vielen Bereichen aus guten Gründen anzutreffende Mehraugenprinzip zu erreichen ist. So lassen sich sachfremde Einflussnahmen wie etwa „Beurteilungen auf Bestellung“ verhindern.
Die NRV hält weiter die Einführung eines Richterwahlausschusses für Nordrhein-Westfalen für erforderlich, wie er aufgrund von Art. 98 Abs. 4 Grundgesetz in verschiedenen Bundesländern existiert.
Bei der in der Sitzung des Rechtsausschusses des Landtages am 20. November 2024 ebenfalls anstehenden Frage der Einführung eines Justizrates geht es um die institutionelle Selbständigkeit der rechtsprechenden Gewalt. Das Justizorganisationssystem in Deutschland entspricht nicht den nach der Rechtsstaatsdoktrin der EU geltenden Erfordernissen. Die Gewaltenteilung in Gestalt des Drei-Säulen-Modells nach Montesquieu gibt es hierzulande entgegen einer weit verbreiteten Auffassung nicht, weil die Judikative den beiden anderen Gewalten nicht auf Augenhöhe, also nicht gleichwertig, gegenübersteht. Zwar ist nach Art. 92 GG die rechtsprechende Gewalt „den Richtern anvertraut“. An der Umsetzung hapert es allerdings: Die Judikative hat institutionell keinen eigenen Kopf, kein eigenes Leitungsorgan, sondern rangiert als „nachgeordneter Bereich“ oder „Geschäftsbereich“ des Justizministeriums, also der Exekutive. Damit könnte Deutschland heute nicht Mitglied der EU werden, die von neuen Mitgliedsstaaten die Existenz eines von der Exekutive unabhängigen Leitungsorgans, eines Justizrates, verlangt. Die allermeisten EU-Mitgliedsstaaten leben demgemäß ein solches Justizstrukturmodell seit vielen Jahren vor, in dem Justizverwaltungsentscheidungen einschließlich Stellenbesetzungen durch den von der Exekutive abgekoppelten Justizrat getroffen werden. Italien, Spanien und Portugal z. B. haben Justizräte nach dem 2. Weltkrieg bzw. nach dem Ende autoritärer Regierungen eingeführt. Deutschland hat trotz seiner Erfahrungen der Gleichschaltung der Judikative in der NS-Zeit diesen Lerneffekt verpasst und die noch aus den Reichsjustizgesetzen gespeiste Leitung der Judikative durch die Exekutive beibehalten.
In Deutschland fordern die richterlichen (und staatsanwaltlichen) Berufsverbände seit Jahrzehnten die Einführung eines Justizrates. Zwar wurde dies in der Landespolitik in der Vergangenheit verschiedentlich intensiver diskutiert. Der aktuelle Umgang des Justizministeriums mit diesem Thema lässt allerdings befürchten, dass die Angst, Macht an einen gewählten, pluralistisch aufgestellten Justizrat nach europäischem Rechtsstaatsverständnis abgeben zu müssen, die Handlungsfähigkeit und Handlungsbereitschaft des Ministeriums dominiert und begrenzt. Das Land NRW sollte sich dafür entscheiden, auch im Hinblick auf Gewaltenteilung und Justizorganisation durch eine entsprechende Bundesrats-Initiative ein moderner Verfassungsstaat zu werden und sich davon zu lösen, dem großen Rest Europas und der eigenen Bevölkerung weiterhin die aus wilhelminischer Zeit überlieferte, antiquierte deutsche Justizstruktur als überlegenes Modell zu verkaufen.
Die NRV unterstützt den Antrag der FDP-Fraktion vom 2. Mai 2024, eine Kommission unter Beteiligung des Landtags einzurichten, die die verschiedenen existierenden Modelle zur Besetzung von Präsidentenstellen der oberen Landesgerichte prüft und als Diskussions- und Entscheidungsgrundlage für eine Änderung des Bewerbungsprozesses einen Bericht verfasst. Hierzu wäre auch die Einbindung der Berufsverbände hilfreich.
Die ausführliche Stellungnahme der NRV, Landesverband Nordrhein-Westfalen, auch hier nachfolgend im Download.