Ergänzende Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften
Vorliegend soll zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften ergänzend Stellung genommen werden. Auf die diesseitige Stellungnahme vom 16.11.2020 wird hingewiesen.
Erweiterung der Durchsuchungsmöglichkeiten zur Nachtzeit
Dem Entwurf einer Erweiterung des § 104 Abs. 1 StPO um eine Nummer 3 wird deutlich entgegengetreten. Die Vorschrift ist weder tauglich, um das Gesetzesziel zu erreichen, noch verhältnismäßig im verfassungsrechtlichen Sinne.
Hintergrund des Gesetzesentwurfs ist nach der vorliegenden Begründung ein Bedürfnis für Durchsuchungen zur Nachtzeit zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder. Dabei sei ein Zugriff auf Computersysteme erleichtert, wenn diese angeschaltet und entsperrt seien.
Die Begründung deutet darauf hin, dass unter vereinfachten Voraussetzungen gegen den Austausch von Kinderpornographie vorgegangen werden soll – eine grundsätzlich unterstützenswerte Absicht. Allerdings wird nicht ersichtlich, in welchem Zusammenhang die Gesetzesänderung zur Bekämpfung von Kinderpornographie steht. So ist die geplante Erweiterung nicht auf solche Delikte beschränkt, sondern soll unbeschränkt gelten.
Die Entwurfsbegründung zielt darauf ab, dass Computersysteme in eingeschaltetem, entsperrtem Zustand erleichtert ausgewertet werden können. Dabei impliziert die Gesetzesbegründung, Computersysteme, mit denen Kinderpornographie ausgetauscht wird, wären vorwiegend nachts eingeschaltet. Diese Implikation ist nicht belegt – es liegt vielmehr nahe, dass sie einem stereotypen Tat- und Täterbild entspringt.
Vor diesem Hintergrund verfehlt die Norm ihr Ziel: Die vorgeschlagene Gesetzesfassung setzt dezidiert bestimmte Anhaltspunkte einer Tatbegehung zur Nachtzeit voraus. Es reicht dementsprechend nach dem Wortlaut nicht, dass ein Tatverdacht besteht, sondern dieser durch tatsächliche Anhaltspunkte begründete Tatverdacht muss sich gerade auf eine zur Nachtzeit begangene Tat richten. Überzeugenderweise werden hierzu allgemeine Annahmen oder Spekulationen bzw. nicht näher spezifizierte Ermittlungserfahrungen nicht ausreichen (vgl. BeckOK StPO/Hegmann § 105 Rn. 6 zur Gefahr im Verzug). Allein aus dem Deliktstypus begründen sich solche tatsächlichen Anhaltspunkte nicht.
Weiterhin steht jedenfalls zu befürchten, dass bei einer Hausdurchsuchung die – technisch versierte – Täterschaft, sobald sie feststellt, dass die Polizei vor Ort ist und die Türen aufgebrochen werden, die Computersysteme „kalt“ herunterfährt – indem sie schlicht den Strom abschaltet bzw. den Stecker zieht. Dies lässt sich auch durch eine Durchsuchung zur Nachtzeit nicht verhindern: Die Gesetzesbegründung geht ja selbst davon aus, dass die Computersysteme zur Nachtzeit betrieben werden. Dies macht nur Sinn, wenn auch die Täterschaft wach ist und die Systeme nutzt. Dann ist es ihr auch ein Leichtes, die Computersysteme rechtzeitig zum Schweigen zu bringen.
Darüber hinaus bestehen erhebliche Bedenken hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit des Grundrechtseingriffs in Art. 13 GG. Die vorliegende Erweiterung der Durchsuchungsmöglichkeiten dient allein der Vereinfachung der technischen Auswertung der Computersysteme. Es wäre damit ein erheblich milderes Mittel, die technischen Voraussetzungen für eine effektive Dechiffrierung ebendieser Computersysteme zu schaffen als den Versuch zu unternehmen, die Dechiffrierung durch erweiterte Durchsuchungskompetenzen zu der mit guten Gründen besonders geschützten Nachtzeit zu umgehen.
Verpflichtung zur Beantragung von Europäischen Haftbefehlen
Auch die geplante Änderung des § 131 StPO wird nicht befürwortet.
Das Gesetzesvorhaben stellt zutreffend fest, dass nicht in allen Fällen bei der Ausschreibung von Beschuldigten Europäische Haftbefehle beantragt werden. Dies hat unterschiedliche Gründe:
Zum Einen trifft zu, dass Europäische Haftbefehle zur Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen nicht erlassen werden können. Für die Hauptverhandlungshaft ist das Instrument zwar anwendbar, wird jedoch selten verwendet. Zum Anderen werden Europäische Haftbefehle allerdings auch nicht in allen Fällen beantragt, in denen Beschuldigte mit Untersuchungshaftbefehl gesucht werden. Letzteres ist teils durch den nicht unerheblichen Aufwand begründet.
Nachdem es den deutschen Staatsanwaltschaften an hinreichender Unabhängigkeit mangelt, um als Justizbehörde eingestuft zu werden und selbst Europäische Haftbefehle ausstellen zu können – insoweit sei auf die Stellungnahme des Kollegen Franzen zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften und der strafrechtlichen Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union verwiesen –, bedarf es einer richterlichen Entscheidung. Dies stellt sich insbesondere in den Fällen als Hindernis dar, in denen nach Erlass eines Untersuchungshaftbefehls weitere Straftaten des Beschuldigten bekannt werden. Sodann muss, des Spezialitätsgrundsatzes willen, für jede weitere Tat ein erweiterter Europäischer Haftbefehl bei Gericht beantragt werden. Dem kann anderweitig Abhilfe geschaffen werden: Durch eine längst überfällige Änderung der Justizstrukturen und Entlass der Staatsanwaltschaften aus der Weisungsbindung.
Auffällig ist, dass sich der Entwurf nicht mit den zusätzlichen Kosten für die Justiz befasst, die durch die vorgeschlagene Regelung entstehen – sofern sie einen über die jetzige Rechtslage hinausgehende Wirkung entfalten soll (vgl. hierzu die folgenden Ausführungen). Es ist davon auszugehen, dass bei dem aktuellen Status Quo der Weisungsbindung durch eine Ermessensbindung bei der Beantragung Europäischer Haftbefehle weitere dringend anderweitig erforderliche Personalressourcen gebunden werden. Kostenträger dafür sind die Länder.
Entscheidender ist jedoch, dass nur in Fällen, in denen Anhaltspunkte für eine Flucht des Beschuldigten ins Ausland bestehen, eine Europäische Ausschreibung verhältnismäßig ist. Der mit einer europaweiten Fahndung verbundene Grundrechtseingriff geht deutlich tiefer als eine rein nationale Fahndung. In vielen Fällen tauchen die Beschuldigten innerhalb Deutschlands unter oder erhebliche Anhaltspunkte sprechen gegen eine Flucht ins Ausland: Fehlende finanzielle Mittel, mangelnde Sprachkenntnisse etc. Gerade bei obdachlosen Beschuldigten ist eine Flucht ins (europäische) Ausland kaum wahrscheinlich.
Soweit Anhaltspunkte für einen Aufenthalt des Beschuldigten außerhalb der Bundesrepublik bestehen – sei es aufgrund Flucht, sei es aufgrund der Tatmodalitäten oder eines bekannten Auslandsbezugs – werden nach Erfahrung des Unterzeichners durch die Staatsanwaltschaften Europäische Haftbefehle beantragt. Fehlen diese Anhaltspunkte, wäre eine solch einschneidende Fahndungsmaßnahme unverhältnismäßig. Dementsprechend kann eine Neuregelung, die (anlasslos) eine europäische Fahndung zum „Soll“ erklärt, einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht standhalten. Der vorliegende Gesetzesentwurf schränkt dieses „Soll“ deshalb dahingehend ein, dass eine Ausschreibung bei Unverhältnismäßigkeit nicht erfolgen muss. Damit stellt die Norm zum status quo de facto keine Änderung dar und ist somit überflüssig.