Die letzte Generation als kriminelle Vereinigung?

Ob die letzte Generation als kriminelle Vereinigung i.S.d. § 129 StGB eingestuft werden kann, wird angesichts der Entscheidungen des Landgerichts Potsdam und des Amtsgerichts München kontrovers diskutiert. Aus Sicht der Neuen Richtervereinigung sind wesentliche Tatbestandsvoraussetzungen der Norm in Bezug auf die Gruppierung bisher ungeklärt. Als Richterverband sehen wir es nicht als unsere Aufgabe an, einzelne Entscheidungen zu kommentieren. Mit dieser Stellungnahme wollen wir auf rechtliche Bedenken hinweisen und damit zur Versachlichung der Debatte beitragen.

Zunächst ist unstrittig, dass die Letzte Generation eine Vereinigung, genauer einen auf längere Dauer angelegter, von einer Festlegung von Rollen der Mitglieder, der Kontinuität der Mitgliedschaft und der Ausprägung der Struktur unabhängigen organisierten Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses, gebildet hat. Ihre Mitglieder verfolgen das gemeinsame Ziel, auf die Folgen des Klimawandels hinzuweisen und politische Akteure dazu zu bewegen, wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um Schäden durch den Klimawandel weitmöglich abzuwenden (https://de.wikipedia.org/wiki/Letzte_Generation). Die Mitglieder sind vernetzt, einzelne haben Funktionen übernommen (zum Tatbestandsverständnis im Lichte des Rahmenbeschlusses 2008/841/JI näher Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Saliger/Eschelbach § 129 Rn. 45). Doch stellt sich bereits hier die erste Frage: Kann die Letzte Generation als eine homogene Vereinigung angesehen werden? Lokale Teilorganisationen der Letzten Generation sind von der bundesweiten Vereinigung weitgehend autark und unabhängig. Mit welchen Mitteln das gemeinsame Ziel verfolgt wird, scheinen diese Teilorganisationen unabhängig voneinander zu entscheiden.

Dies ist deshalb von Belang, weil der Tatbestand verlangt, die Vereinigung müsse zum Zweck haben, Straftaten zu begehen. Sollten dies nur einzelne Mitglieder verfolgen – nicht die gesamte Vereinigung an sich – ist der Tatbestand nicht erfüllt (BGH NStZ 2015, 270, 271 Rn. 30). Gleiches gilt, wenn Straftaten nur angelegentlich einer vom Gruppenwillen getragenen Betätigung begangen werden, die Straftatbegehung also nicht Zweck der Gruppenaktivität, sondern bei Gelegenheit der Gruppenaktivität erfolgen soll (BGH NStZ 2015, 270, 272 Rn. 31). Der Bundesgerichtshof verlangt deshalb, dass die Organisation der Vereinigung auf den Zweck der gemeinschaftlichen Begehung von Straftaten hin konzipiert sein muss (BGH NJW 2005, 80, 81). Nur dann vermag die Betätigung der Vereinigung die ihre besondere Gefährlichkeit begründende Eigendynamik zu entfalten, die Grund für die durch § 129 StGB bestimmte Vorverlagerung des Strafschutzes ist (BGH NJW 2005, 80, 81). Bildet sich innerhalb einer Bewegung ein harter Kern, dessen Mitglieder sich an Straftaten beteiligen wollen, so bildet nur dieser eine kriminelle Vereinigung (LK-StGB/Krauß § 129 Rn. 64).

 

Ob dies für die Letzte Generation in ihrer Gesamtheit zu bejahen ist, bedarf näherer Prüfung. Dies erscheint jedenfalls deswegen zweifelhaft, weil sie öffentlich auftritt. Dies allein soll nach wohl h.M. den Tatbestand nicht ausschließen (vgl. MüKo StGB/Schäfer/Anstötz § 129 Rn. 55 unter Verweis auf Rechtsprechung zu § 90a StGB aF). Doch dokumentiert die Letzte Generation ihre Aktivitäten für jedermann auf einer (zwischenzeitlich abgeschalteten) Internetseite. Die Mitglieder treten nicht anonym auf. Verantwortliche werden klar benannt. Sie verbergen sich nicht vor den Strafverfolgungsbehörden, sondern sind für diese persönlich erreichbar. Ob eine solche Organisationstruktur auf die Begehung von Straftaten hin konzipiert – oder angesichts der hohen Überführungswahrscheinlichkeit überhaupt dazu geeignet – ist, erscheint zumindest einer näheren Begründung zu bedürfen (vgl. auch Kubiciel, verfassungsblog.de/manovrieren-an-den-grenzen-des-%c2%a7-129-stgb/). Jedenfalls liegt eine die besondere Gefährlichkeit begründende Eigendynamik nicht offen zu Tage.

 

Weiterhin ist fraglich, ob die Begehung von Straftaten als Zweck einer Vereinigung angesehen werden kann, die auf den Klimawandel aufmerksam machen und zu verfassungsrechtlich gebotenem Handeln aufrufen will. Das Ziel, staatliche Akteure dazu anzuhalten, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einzuhalten (BVerfG NJW 2021, 1723) und die natürlichen Lebensgrundlagen i.S.d. Art. 20a GG zu schützen, ist nicht strafrechtlich relevant (Höffler, verfassungsblog.de/ziviler-ungehorsam-testfall-fur-den-demokratischen-rechtsstaat/). Es genügt nicht, wenn Mitglieder einer Vereinigung Straftaten „ins Auge fassen“ oder sich bewusst sind, dass es bei der Verfolgung ihrer Pläne zur Begehung von Straftaten kommen kann (BGH NJW 2005, 80, 81) – vielmehr muss es verbindlich festgelegtes Ziel der Vereinigung sein, Straftaten zu begehen. Zugleich schließt ein weitergehendes Ziel die Einordnung als kriminelle Vereinigung dann nicht aus, wenn als Mittel zur Erreichung dieses Fernziels verbindlich vereinbart wird, Straftaten zu begehen (MüKo StGB/Schäfer/Anstötz § 129 Rn. 48 mwN.; LK-StGB/Krauß § 129 Rn. 65; Kuhli/Papenfuß, KriPoZ 2023, 71, 75). Ob dies auch dann gilt, wenn das Fernziel Verfassungsrang hat – wie etwa Art. 20a GG –, ist bisher ungeklärt.

 

Darüber hinaus darf die Begehung von Straftaten nicht von völlig untergeordneter Bedeutung sein (§ 129 Abs. 3 Nr. 2 StGB). Sie muss vielmehr das Erscheinungsbild der Vereinigung aus Sicht informierter Dritter mitprägen (LK-StGB/Krauß § 129 Rn. 65). Letzteres lässt sich noch nicht daraus ableiten, dass die Letzte Generation beabsichtigt, die politischen Entscheidungsträger durch „zivilen Ungehorsam“ zu verfassungsrechtlich gebotenem Handeln zu bewegen (so aber LG Potsdam, Beschluss vom 19.04.2023 – 21 Qs 15/23). Ziviler Ungehorsam ist nicht per se strafbar. Dementgegen ließe sich als Zweck der Vereinigung der Letzten Generation ausmachen, Straßenblockaden zu organisieren, bei denen sich Beteiligte am Straßenkörper festkleben. Die Durchführung von Straßenblockaden ist jedoch ebenfalls nicht selbstverständlich strafrechtlich relevant. Straßenblockaden können im Einzelfall § 240 Abs. 1 StGB erfüllen, sofern die Modalitäten der Durchführung als verwerflich i.S.d. § 240 Abs. 2 StGB eingestuft werden. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu ausdifferenzierte Kriterien aufgestellt (vgl. BVerfG NJW 2011, 3020, 3023 Rn. 39). Dementsprechend diffizil ist die rechtliche Beurteilung einzelner Straßenblockaden (vgl. hierzu Pschorr, BJ 153/2023, 6, 7 f., abrufbar unter betrifftjustiz.de/BJ_Texte/BJ%20153_Pschorr.pdf). Dementsprechend erscheint es bedenklich, davon auszugehen, dass die Mitglieder der Letzten Generation bei Gründung der Vereinigung (LK-StGB/Krauß § 129 Rn. 70) davon ausgingen, vorrangig – und nicht etwa in einzelnen Fällen untergeordneter Bedeutung – Straftaten zu begehen.

 

Schließlich genügt nicht jede Ausrichtung auf Straftaten dem Tatbestand. Der 2017 reformierte Normwortlaut verlangt als Ziel der Vereinigung, Straftaten von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe im Höchstmaß zu begehen. § 240 Abs. 1 StGB erfüllt diese Anforderung, so wie nahezu alle Strafnormen des StGB. Allein Bagatellstraftaten werden hiernach aus dem Tatbestand ausgeschieden (MüKo StGB/Schäfer/Anstötz § 129 Rn. 38; Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Saliger/Eschelbach § 129 Rn. 48). Fahrner schreibt zu Recht, dieses Kriterium sei formalistisch und sinnentleerend (Staatsschutzstrafrecht : Einführung und Grundlagen, § 14 Rn. 47). Der BGH forderte 2012, dass von den beabsichtigten Straftaten eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht (BGH NJW 2012, 325, 317 Rn. 12). Ob dieses ungeschriebene Erfordernis auch nach der Reform des Tatbestands 2017 aufrecht zu erhalten ist, ist umstritten. Fischer vertrat kürzlich, der Gesetzgeber habe mit der Mindesthöchststrafe von zwei Jahren eine abschließende Entscheidung getroffen (https://www.lto.de/recht/meinung/m/kriminelle-vereinigung-thomas-fischer-letzte-generation/; so auch HK-Gs/Hartmann § 129 Rn. 6). Hierauf scheint auch der Wille hinzudeuten, den Rahmenbeschluss 2008/841/JI umzusetzen, der keine solche Einschränkung vorsieht (wegen des Widerstreits zwischen Normwortlaut und in den Materialien zu Tage tretenden Gesetzgeberwillen – wonach die Rechtsprechung zur Erheblichkeitsschwelle bekannt und Grundlage der Regelung war – hält Koch die Vorschrift gar für mit Art. 103 Abs. 2 GG unvereinbar verfassungsblog.de/verhaltnismasigkeit-normenklarheit-und-%c2%a7-129-stgb/). Dennoch wird in der herrschenden Literatur weiterhin am Erheblichkeitskriterium festgehalten (so Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Saliger/Eschelbach § 129 Rn. 50; MüKo StGB/Schäfer/Anstötz § 129 Rn. 40; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Schittenhelm § 129 Rn. 6; LK-StGB/Krauß § 129 Rn. 53; Höffler, verfassungsblog.de/ziviler-ungehorsam-testfall-fur-den-demokratischen-rechtsstaat/; iE auch Kuhli/Papenfuß, KriPoZ 2023, 71, 74 f. über § 129 Abs. 3 Nr. 2 StGB). Dies ist angesichts der strafprozessualen Folgen geboten: Als Katalogtat gemäß § 100a Abs. 2 Nr. 1 lit. d, § 100f Abs. 1, § 100g Abs. 1, § 100i Abs. 1, § 100k Abs. 1, § 110a Abs. 1 StPO (dies nicht umfassend berücksichtigend Gärditz, verfassungsblog.de/organisierte-klimakleber-als-kriminelle-vereinigung/) ist § 129 StGB Grundlage für heimliche Ermittlungen, die intensiv in Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1, 10, 13 GG eingreifen und die Selbstbelastungsfreiheit tangieren (zum resultierenden Chilling-effect Wenglarczyk, verfassungsblog.de/wie-man-eine-kriminelle-vereinigung-macht/). Folge dieser Funktion als „Türöffner“ (Fischer, www.lto.de/recht/meinung/m/kriminelle-vereinigung-thomas-fischer-letzte-generation/) ist ein Instrumentalisierungsrisiko (Höffler, verfassungsblog.de/ziviler-ungehorsam-testfall-fur-den-demokratischen-rechtsstaat/). Um dieses auf ein Minimum zu reduzieren, ist eine grundrechtsschonende Einschränkung des Straftatbestands auf diejenigen Fälle, die eine Anwendung heimlicher strafprozessualer Maßnahmen erfordern und in ihrem Gewicht den anderen Katalogtaten entsprechen, geboten. Als Nötigung strafbare Straßenblockaden entsprechen diesem Bild erheblicher Kriminalität nicht. Stattdessen scheint die Anwendung des Straftatbestandes gegen die Letzte Generation die Grenzen des Tatbestandes und der Verfassung zu überschreiten. Damit tritt das § 129 StGB immanente Risiko zum Einsatz gegen politisch missliebige Akteure offen zu Tage. Deren politische Anliegen lassen sich jedoch nicht wegstrafen (so treffend Höffler, verfassungsblog.de/ziviler-ungehorsam-testfall-fur-den-demokratischen-rechtsstaat/), sondern müssen auf politischer Ebene beantwortet werden.

StA Simon Pschorr

Abgeordneter Praktiker

Für die Fachgruppe Strafrecht der NRV

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