Als Tiger gestartet, als Bettvorleger gelandet.
oder: Von der Justizstrukturreform zur Senkung des Pebbsy-Deckungsgrades
Fassen wir die Vorgänge in der rheinland – pfälzischen Justizpolitik in der letzten Zeit zusammen:
Aus dem Vorhaben im Koalitionsvertrag, das OLG Koblenz zu schließen, entstanden über den Umweg der Hill-Kommission die Arbeitsgruppen zur Justizstrukturreform, die vor allem aus Richtern / Präsidenten (°) und Staatsanwälten bestanden und die den Auftrag hatten, Einsparpotential aufzuzeigen – und zwar ergebnisoffen. Niemand wollte nach dem Desaster um die geplante Schließung des OLG Koblenz den schwarzen Peter haben. So haben sich Politik bzw. Ministerium geweigert, politische oder inhaltliche Vorgaben dazu zu machen, wo der Rotstift angesetzt werden soll. Und die Arbeitsgruppen sahen sich nicht dafür zuständig, Vorschläge zu machen, die weitreichendere Änderungen in der Justizstruktur bedeuten würden. Beiden fehlte der Mut ….
Zu welchen Ergebnissen kamen die Arbeitsgruppen ? Sinnige Vorschläge für kleinere Konzentrationen bei den örtlichen Zuständigkeiten der ordentlichen Gerichte, marginale Einsparvorschläge und ebenso marginale Vorschläge, wie die Einnahmen erhöht werden können.
Es kam wie es kommen musste:
Das MJV hat kurz vor Weihnachten das verkündet, was eigentlich schon vorher klar, weil angekündigt war: Wenn die Arbeitsgruppen nicht genug „liefern“ wird an Personal gespart.
Der Servicebereich bleibt weitgehend ausgenommen, bei den Rechtspflegern ist ohnehin nichts zu streichen, bleiben die Richter. In der Fachgerichtsbarkeit wird die eine oder andere Richterstelle gestrichen, in der ordentlichen Gerichtsbarkeit fallen 20 Richterstellen im Jahr 2013 weg. Und die Begründung ist: Wir haben einen Pebb§y-Deckungsgrad von 97 %, in Baden Württemberg liegt dieser bei 92 %, und wenn die das hinbekommen, müssen wir es auch schaffen.
Auf die Frage, was nach 2013 kommt, da angesichts der Schuldenbremse ein Ende beim Sparen nicht in Sicht ist, blieb die Antwort aus.
Wir stellen fest:
- Unter Justizminister Dr. Bamberger erreichten wir in der ordentlichen Gerichtsbarkeit einen Deckungsgrad von etwa 97 %. Dies wurde in der letzten Legislaturperiode zu recht als Erfolg dargestellt. Dass das Geld kostet war doch damals klar. Und dass insgesamt gespart werden muss auch. Das zählt nun nicht mehr.
- Wir Richter haben offensichtlich das Gefühl, uns für einen Personaldeckungsgrad von annähernd 100 % rechtfertigen zu müssen, wir haben schon fast ein schlechtes Gewissen dabei. Anscheinend können die meisten von uns immer noch eine Schippe drauflegen , d.h. etwas mehr erledigen. Das stimmt oft, die „Bearbeitungstiefe“ können viele von uns noch senken.
Haben wir verstanden was das bedeutet? Wenn wir mit 93 % Deckungsgrad so viel erledigen wie mit 97 % wird 93 % zu 100 %. Aus „Ist“ wird „Soll“. Und die neuen 100 % müssen dann auch nicht mehr sein. Haben wir eigentlich verstanden, was da gespielt wird?
Letztendlich wird der Rechnungshof bestätigt, der Pebb§y nicht als taugliches Personalbemessungssystem anerkennt.
- Erstaunlicherweise bleibt der große Protest der Richterschaft aus.
Wir haben noch das Grummeln im Ohr, das oft zu hören war, als in der letzten Legislaturperiode durch das Ministerium viele inhaltliche Themen vorangebracht wurden (z.B. Mediation, Personalentwicklungskonzept, Ethik, Förderung von ProberichterInnen, …).
Wir haben den Eindruck, dass nun die Einstellung vorherrscht: Irgendwie bekomme ich das hin, hole dann mehr Gutachten ein statt lange Einigungsgespräche zu führen, oder frag nicht mehr so viel in der mündlichen Verhandlung, und Hauptsache mein Gericht wird nicht geschlossen und es werden keine Beförderungsstellen gestrichen. Heißt das etwa: wenn Konzepte erarbeitet werden grummeln wir und wenn Stellen gestrichen werden halten wir still?
- Wir stellen weiter fest: das Thema Qualität kommt bei der „Justizstrukturreform“ nicht vor. Justiz besteht aber nicht nur aus Statistiken über Erledigungen und Verfahrensdauer. Und wichtige Faktoren für den Erhalt der Qualität sind auch eine angemessene Personalausstattung und hochqualifizierte und hochmotivierte RichterInnen.
- Es fehlt der Mut zur Gestaltung, sowohl in Politik und MJV als auch in der Richterschaft.
- Niemand hat bisher definiert, wie die Justiz mittelfristig aussehen muss, wie ein Gericht sagen wir im Jahr 2020 aussehen muss angesichts Schuldenbremse, Bevölkerungsentwicklung, E-Justice, etc. Unsere Rufe, dass darüber zuerst Vereinbarungen getroffen werden müssen, verhallten bisher ungehört. Aber wer wenig hat muss genau überlegen, wofür er sein Geld ausgibt. Auch diese Debatte vermissen wir in RLP.
- Wir bemerken auch, dass die Bedeutung der Justiz für den Wirtschaftsstandort Deutschland und als Kitt für die Gesellschaft von der Politik nicht erwähnt wird und vom MJV zumindest nicht offensiv und für uns erkennbar herausgestellt wird. Eine funktionsfähige Justiz dient zudem nicht nur dem Grundrechtsschutz und der Wirtschaft, sondern ganz besonders auch dem sozialen Frieden im Lande. Und auch daher meinen wir, beim richterlichen Personal darf nicht gespart werden.
- Schon vor längerem haben wir unsere Meinung zugegebenermaßen sehr plakativ auf den Punkt gebracht: besser an Gebäuden und Präsidenten sparen als an Richtern und Rechtspflegern. Und das bedeutet auch: wenn eine unter dem Aspekt der Bürgerfreundlichkeit sinnvolle Konzentration von Standorten keinen erheblichen Spareffekt bringt kann man in der Justiz nicht sparen.
Welche Schlussfolgerungen ziehen wir daraus?
Die gleichen wie in unserem „Zwischenruf“ von August 2012:
Wir wiederholen unsere Forderung nach einer Zukunftswerkstatt Justiz unter Einbeziehung aller Betroffenen, bei der gemeinsam ergebnisoffen Visionen einer zukunftsfähigen Justiz und praktikable Wege dorthin erarbeitet werden. Wir meinen, wir haben genug kreative Ideen, wie Justiz unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben und der Schuldenbremse effektiver gestaltet und zugleich die Vorgabe im Koalitionsvertrag von Mai 2011 zur Stärkung der Justiz umgesetzt werden kann.
(°): der Lesbarkeit wegen wird nur die männliche Form erwähnt, selbstverständlich sind Frauen genauso gemeint.
März 2013
Manfred Grüter, LG Trier
Claudia Meßer, AG Hermeskeil