Änderung von § 5 LRiStAG

Wir dürfen zunächst auf unsere Stellungnahme vom 14.11.2018 anlässlich der Änderung der Beurteilungsrichtlinie (Ihr AZ: 2000/0409) Bezug nehmen, in der zum Beurteilungswesen zunächst grundsätzliche Ausführungen gemacht wurden. Darin heißt es:

Alle demokratischen Verfassungsstaaten der Welt vertrauen die Rechtspflege unabhängigen Richtern an, um ihre Rechtstaatlichkeit zu sichern. Die Bindung aller staatlicher Gewalt ans Recht kann nur gelingen, wenn Richter im Konfliktfall anhand demokratisch legitimierter Normen letztverbindlich
entscheiden. Diese Entscheidung institutionell von allen Einflüssen freizuhalten, die die Gesetzesbindung faktisch in Frage stellen könnten, ist das Ziel richterlicher Unabhängigkeit. Durch die persönliche und sachliche Unabhängigkeit der Richterinnen und Richter sollen insbesondere eine finanzielle oder eine politische Abhängigkeit ausgeschlossen werden. Gegen eine individuelle Voreingenommenheit besteht die Möglichkeit der Ablehnung des Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit. Entsprechende Verhaltenserwartungen an Richterinnen und Richter sind strafrechtlich
abgesichert (Vorteilsannahme und Bestechlichkeit, Rechtsbeugung).

Zu den Einflussnahmen, die die Gesetzesbindung in Frage stellen können, gehören jedoch auch Organisationsnormen. Diese Normen sind teilweise
formell geregelt, zu einem erheblichen Teil aber informell. Eine zentrale informelle Norm der Justiz ist z.B. die Erbringung hoher Erledigungszahlen. In
hierarchischen Organisationen ergeben sich informelle Normen aus den Interessen der Organisationsspitze, zum anderen aber auch aus den
Eigeninteressen der Organisationsmitglieder. Das zentrale Steuerungsinstrument der Organisationsspitze zur Durchsetzung informeller Normen ist die Beförderung („Solange ich über die Beförderungen bestimme, bin ich gern bereit, den Richtern ihre sogenannte Unabhängigkeit zu konzedieren.“ Adolf Leonhardt, preußische Justizminister). Sie ermöglicht die Selektion als zuverlässig eingeschätzten Personals. Viel mehr aber noch werden dadurch von der Organisationsspitze Eigenschaften als erwünscht und erfolgreich ausgezeichnet und so richterliches Verhalten beeinflusst. Das ist in der hierarchisch strukturierten öffentlichen Verwaltung, die politische Vorgaben umsetzen soll, gerechtfertigt. In der Justiz ist es das nicht.

Die Binnenstruktur der Justiz muss sich daran orientieren, wie Abhängigkeiten abgebaut und eine demokratische Teilhabe der Richterinnen und Richter an Organisationsentscheidungen gestärkt werden können. Dazu sollten Beförderungsämter soweit irgend möglich abgeschafft und demokratische
Binnenstrukturen aufgebaut werden. Leitungspositionen sollten auf Zeit oder durch Wahl vergeben werden. Statt eines Beurteilungssystems sind moderne Qualitätssicherungsinstrumente zu diskutieren. Damit wäre der Einfluss des.Ministeriums und der Justizverwaltung erheblich eingeschränkt. So gedeiht Unabhängigkeit bekanntlich am besten: sine spe ac metu.

Diese grundsätzlichen Überlegungen gelten aus unserer Sicht auch weiterhin. Die NRV hat zuletzt unter Hinweis auf die österreichische Beurteilungspraxis Verbesserungsmöglichkeiten aufgezeigt (s. Erklärung der NRV für ein verfassungskonformes richterliches Beurteilungswesen vom 06.05.2022 https://www.neuerichter.de/details/artikel/article/erklaerunq-der-nrv-fuer-einverfassunqskonformes-richterliches-beurteilungswesen).

Vor diesem Hintergrund nehmen wir in weitgehender Übereinstimmung mit dem Deutschen Richterbund Baden-Württemberg, dem Verein der Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen Baden-Württemberg und dem Bund Deutscher Finanzrichterinnen und Finanzrichter Baden-Württemberg – und insoweit ergänzend bezugnehmend auf die Äußerungen der anderen Verbände – zur geplanten Änderung
des LRiStAG wie folgt Stellung:

1. Der Streichung von § 5 Abs. 6 LRiStAG und der Überführung der Zuständigkeit einer Altersgrenze für die Regelbeurteilung vom Gesetzgeber zum Verordnungsgeber (s. § 5 Abs. 7 Nr. 7 LRiStAG-E) wird entgegengetreten.

Ein Bedarf für diese Änderung besteht nicht. Es ist in keiner Weise ersichtlich – und schon gar nicht durch die Entscheidung des BVerwG begründbar – warum die Regelung normhierarchisch herabgestuft und die Regelungskompetenz hinsichtlich dieser Frage ohne jede parlamentarische Kontrolle allein beim Ministerium liegen sollte. Es steht insoweit eine Neuauflage der Diskussion zu befürchten, die das Ministerium bereits im Jahre 2015 und erneut 2018 angestoßen hat, um die Altersgrenze für Regelbeurteilungen von 50 auf 55 bzw. 60 Jahre anzuheben. In beiden Fällen haben sich die Richterverbände geschlossen gegen die konkret geplante Änderung gewandt, die dann im Gesetzentwurf des Ministeriums auch nicht mehr enthalten war. Eine etwaige Änderung der Regelung sollte im parlamentarischen Verfahren und nicht im Wege einer Rechtsverordnung erfolgen.

2. Abweichend von § 5 Abs. 6 LRiStAG-E halten die Verbände es für geboten, dass Beurteilungsbeiträge sogleich – und nicht erst, wenn sie in eine Beurteilung einfließen – dem Betroffenen bekanntgemacht werden, um zeitnah die Abgabe einer etwaigen Gegenäußerung zu ermöglichen. Nur so kann das rechtliche Gehör effektiv gewährleistet werden.

So ist es im Übrigen auch in Tz 12.4 der gemeinsamen Verwaltungsvorschrift aller Ministerien über die dienstliche Beurteilung der Beamtinnen und Beamten des Landes Baden-Württemberg (GABI. 2015, 178, i. d. F. v. 05.12.2019) geregelt („Jeder Beurteilungsbeitrag soll der Beamtin oder dem Beamten unverzüglich nach seiner Erstellung, spätestens jedoch mit der Beurteilung für den gesamten Beurteilungszeitraum eröffnet werden.“)- Warum davon in der Justiz abgewichen werden sollte, ist nicht ersichtlich.

Die Vorbeurteilung sind die zentrale, (gerade an großen Gerichten) manchmal einzige Beurteilungsgrundlage des Endbeurteilers, zu der bereits rechtliches Gehör gewährt werden sollte, weil sich nur so unkompliziert Fehler vermeiden bzw.korrigieren lassen. Scheidet der Vorbeurteilende aus und muss für die nächste Beurteilung Beiträge „auf Vorrat“ anfertigen, ist er zum Zeitpunkt der Erstellung der Beurteilung in der Regel nicht mehr oder nur schwer greifbar. Fehler lassen sich so nur schwer aufklären. Außerdem dürfte es dem früher Vorbeurteilenden wie den Kolleginnen und Kollegen nicht immer leichtfallen, eine eigene Stellungnahme zu einem möglicherweise Jahre zurückliegenden (Vor-)Beurteilungszeitraum abzugeben und einen streitigen Sachverhalt noch aufzuklären.

Als Formulierung würde sich anbieten:

„Die dienstliche Beurteilung ist dem Beurteilten bekanntzugeben, auf Verlangen mit ihm zu besprechen und mit einer etwaigen Gegenäußerung des Beurteilten zu dessen Personalakte zu nehmen. Das gleiche gilt für die vor der Erstellung der Beurteilung zu ihrer Vorbereitung gefertigten Beurteilungsbeiträge, wobei eine etwaige Gegenäußerung des Beurteilten dem Beurteiler vorzulegen ist.
Soweit die Beurteilungsbeiträge erst später in eine dienstliche Beurteilung einfließen sollen, sind sie unmittelbar nach ihrer Erstellung mit dem Beurteilten
zu besprechen und eine etwaige Gegenäußerung dem Beurteilungsbeitrag beizufügen.“

 

3. Die Bestimmung des Beurteilers in § 5 Abs. 1 S. 1 LRiStAG ist von wesentlicher Bedeutung und muss daher im Gesetz geregelt werden. Um
Manipulationsmöglichkeiten weitgehend auszuschließen, sollte es – abweichend vom Entwurf – im Grundsatz dabei bleiben, dass der Vorgesetzte der Beurteiler ist. Dem Verordnungsgeber sollte daher nur in begründeten Ausnahmefällen die Möglichkeit eröffnet werden, abweichende Regelung zu treffen.

4. Das Beurteilungswesen ist für die Richterschaft und die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte des Landes von überragender Bedeutung. Für das Vertrauen in das Beurteilungswesen ist Transparenz ein entscheidender Faktor.

Die NRV begrüßt ausdrücklich die vorgesehene Regelung in § 5 Abs. 7 Nr. 9 LRiStAG-E, wonach ein Gleichstellungsbericht nach Abschluss der
Regelbeurteilungsrunden vorgesehen werden kann. Das ermöglicht die Evaluation der Beurteilungspraxis und hilft, ggf. durch Änderung der Beurteilungskriterien oder Schulungsmaßnahmen für Beurteilende nachzusteuern. Ein Gleichstellungsbericht ist ein wichtiges Signal, das den Stellenwert und das Bemühen um ein geschlechtergerechtes und diskriminierungsfreies Beurteilungswesen zeigt, und damit die Legitimation und Akzeptanz der Beurteilungen insgesamt erhöht.

Ein weiterer Schritt wäre freilich, wenn ganz allgemein die Konkretisierung der Beurteilungskriterien durch die Beurteilerkonferenzen und die Ergebnisse der Regelbeurteilungsrunden justizintern veröffentlich würden. Dafür würde sich ein neuer § 5 Abs. 7 Nr. 10 LRiStAG-E anbieten:

„die justizinterne Veröffentlichung der Ergebnisse der Beurteilerkonferenzen zur Maßstabsfindung und der anonymisierten Ergebnisse der Regelbeurteilungsrunden aufgegliedert nach den Oberlandesgerichtsbezirken, den Bezirken der Generalstaatsanwaltschaften und dem Ministerium der Justiz und für Migration für die abgeordneten Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, jeweils nach Altersgruppe, Geschlecht
und Besoldungsgruppe, soweit mindestens 10 Beurteilte pro Besoldungsgruppe im jeweiligen Bezirk bzw. im Ministerium tätig sind.“

5. Da es zukünftig keine Beurteilungsrichtlinie mehr geben wird, ist § 29a Abs. 2 Nr. 2 LRiStAG zu streichen. Der Verlust des (eingeschränkten) Mitbestimmungsrechts in diesem Bereich ist ein deutlicher Rückschritt, lässt sich bei einer Rechtsverordnung aber nicht ändern. In diesem Zusammenhang würde es sich dann allerdings anbieten, die Beteiligung des Bezirksrichter- bzw. -staatsanwaltsrats an den Beurteilerkonferenzen und ein entsprechendes Mitwirkungsrecht in § 29a Abs.3 LRiStAG vorzusehen, um die Erfahrungen und Rückmeldungen der Kolleginnen und Kollegen auch in diesem Bereich einfließen zu lassen und die Legitimation durch Partizipation zu erhöhen.

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