Zum Gesetzentwurf Verbandsklagen

Referentenentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2020/1828 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG (Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetz – VRUG)

Zusammengefasst nehmen wir wie folgt Stellung:

  1. Die Verbändebeteiligung erfolgt zu spät und mit zu kurzer Frist. Eine vertiefte Stellungnahme ist daher nicht möglich.
  2. Der Entwurf ist unvollständig, weil er weder die Haushaltswirkungen angibt noch die nahe liegenden Alternativen betrachtet.
  3. Der Entwurf orientiert sich nicht ausreichend an dem europarechtlich maßgeblichen Ziel. Er sieht in der Verbandsklage eine zivilprozessuale Herausforderung, statt die Verbraucherrechtsdurchsetzung in den Mittelpunkt zu stellen. Diese fehlgeleitete Perspektive prägt den ganzen Entwurf.
  4. Der Entwurf ist aus mehreren Gründen zu restriktiv zu Lasten der Verbraucher:
    – Er schließt durch das frühe Opt-In so viele Verbraucher wie möglich von der Verbraucherrechtsdurchsetzung durch das Verfahren aus. Das ist die verbraucherunfreundlichste de denkbaren Lösungen.
    – Er lässt die Verjährungsunterbrechung der Verbandsleistungsklage nur den Klägern selbst, nicht den vom Verstoß Betroffenen zukommen.
  5. Der Entwurf ist überkomplex:
    – Die Differenzierung zwischen verschiedenen Arten von Verbandsklägern ist unnötig und könnte radikal vereinfacht werden.
    – Die Anwendungsbreite von Unterlassungsklage und Verbandsleistungsklage ist unnötig unterschiedlich.
    – Die Registrierung als Anspruchsteller ist unnötigen Formalitäten unterworfen.
  6. Der Entwurf ist europarechtlich bedenklich, weil er die von der Richtlinie vorgeschriebene Beweiserleichterung nicht vorsieht.
  7. Der Entwurf vermeidet ohne guten Grund den bewährten Qualitätssicherungsmechanismus des Zivilprozesses, der in der erstinstanzlichen Zuständigkeit des Landgerichts, ggf. differenzierten Rechtsmitteln zum Oberlandesgericht und notfalls Revision zum Bundesgerichtshof besteht und sich bewährt hat.
  8. Die Beschränkungen der Breitenwirkung des Verfahrens führen spiegelbildlich zu unnötiger Justizbelastung durch Parallelverfahren.
  9. Die Regelung einer Gruppenklage ist erforderlich, die Verbandsklage insoweit kein ausreichender Ersatz.
  10. Ein behördliches Instrument zur Verbindlichkeit von Selbstverpflichtungen von Unternehmen erscheint sinnvoll, wenn diese Selbstverpflichtungen publiziert und mit unmittelbarer Drittwirkung zu Gunsten von Verbrauchern ausgestattet werden.

 

Im Einzelnen:

Die eingeräumte Frist ist so knapp bemessen und der Zeitpunkt dafür liegt so spät (das Vertragsverletzungsverfahren hat schon begonnen), dass sich die Frage aufdrängt, ob ernsthaft eine Bereitschaft besteht, die Rückmeldungen inhaltlich im weitere Verfahren einzubeziehen. In der Kürze der zur Verfügung gestellten Frist war lediglich eine verkürzte Stellungnahme möglich.

In formeller Hinsicht fällt auf, dass der Entwurf keine Rechenschaft darüber ablegt, welche Kosten er verursacht. Das kritisieren wir, zumal der Entwurf durch seine inhaltliche Ausrichtung die Einsparungspotenziale der Justiz nicht ausschöpft. Genau das macht aber den wesentlichen Teil der Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte aus.

Der Entwurf behauptet auch, dass es keine Alternativen gäbe. Das erstaunt angesichts der Tatsache, dass das Übersendungsschreiben selbst eine Reihe von Punkten aufzählt, über die in der Bundesregierung noch keine Einigkeit erzielt ist. Es liegt damit auf der Hand, dass in einigen Punkten Alternativen in Betracht kommen. Mit diesen müsste sich der Gesetzentwurf auseinandersetzen.

Die Verbandsklagerichtlinie (Richtlinie (EU) 2020/1828, nachstehend: Richtlinie) dient vorrangig dem Ziel, das Verbrauchervertrauen in den Binnenmarkt zu stärken und Wettbewerbsverzerrungen zu bekämpfen, die durch Verstöße von Unternehmen entstehen (Richtlinie, Erwägungsgründe 1 und 2). Beide Ziele fordern, die Verbandsklage so auszugestalten, dass mit ihrer Hilfe Verbraucherrechtsverletzungen mit einem großen Kreis Betroffener möglichst bereinigt werden. Dieses Hauptziel verfehlt der Entwurf. Denn in einer Gesamtbetrachtung stellt sich die Lösung des Entwurfs so dar, dass lediglich ein Verfahren konstruiert wird, das auf die zivilprozessuale Bewältigung eines Gerichtsverfahrens fokussiert ist. Die Neue Richtervereinigung entnimmt der Richtlinie einen anderen Auftrag, nämlich größtmögliche Breitenwirkung im Interesse der Verbraucher und des lauteren Wettbewerbs zu erzielen. Der dienende Zweck des Verfahrens ist aus Sicht der Neuen Richtervereinigung bei der Abfassung des Entwurfs aus dem Blick geraten. Das prägt den Entwurf durchgängig, so dass er insgesamt nicht die erforderliche Ausrichtung auf die Verbraucher gewährleistet.

Der Entwurf wählt den restriktivsten denkbaren Ansatz insoweit, als er weder ein Opt-Out, noch ein spätes Opt-In, sondern ein frühes Opt-In wählt. Er schließt damit den Kreis derer, die von dem Verfahren profitieren können, so früh wie möglich ab und macht ihn dadurch so klein wie möglich. Dies hat zugleich die Wirkung, die justizentlastende Wirkung (Vermeidung von parallel geführten Individualverfahren, Vermeidung von im Ergebnis unnötigen Anmeldeverfahren bei im Ergebnis erfolgloser Klage) auf das absolute Minimum zu beschränken. Diese Konstruktion wird weder den von der Richtlinie verfolgten Interessen für Verbraucher und rechtstreue Wettbewerber, noch den Bedürfnissen der Justiz gerecht. Eine andere Lösung wäre keine unzumutbare Belastung für die Wirtschaft, denn neue inhaltliche Pflichten und Haftungsvorschriften sind nicht vorgesehen. Denn das neu einzuführende Verfahren kann nur Ansprüche durchsetzen, die ohnehin bestehen. Geschäftsmodelle, die davon abhängen, dass die Unternehmen die Folgen ihrer Rechtsverletzungen nicht tragen, sind nicht valide und bedürfen keines Schutzes. Daher unterstützt die Neue Richtervereinigung den Ansatz des späten Opt-In. Das Gegenargument, dass dann keine Widerklage gegen die Anspruchsanmelder möglich wäre, ist prozessual formal richtig, es verkennt jedoch, dass das Verbandsklageverfahren eine Weiterentwicklung des Prozessrechts fordert. Eine Widerklage gegen hunderte, wenn nicht gar tausende Verbraucher wäre eine die Prozessökonomie des Verfahrens ruinierende Waffe. Dies auszuschließen ist nicht prozessual falsch, sondern im Gegenteil unerlässlich.

Der Entwurf wählt auch für die Verjährungsunterbrechung den restriktivsten aller denkbaren Ansätze, in dem die Verjährung nur für diejenigen unterbrochen wird, die ihren Anspruch schon angemeldet haben. Rechtstatsächlich ist häufig zu erwarten, dass der Vorlauf vor Erhebung einer Verbandsklage längere Zeit dauert, sei es mit Blick auf laufende Individualverfahren, deren Ausgang abgewartet werden soll, sei es wegen der Nutzung der bestehenden zeitlichen Spielräume zur sorgfältigen Vorbereitung des Verfahrens. Dann ist nicht fernliegend, dass die regelmäßige Verjährungsfrist im Laufe des Verfahrens abläuft. Daher führt die engstmögliche Regelung zur Verjährungsunterbrechung absehbar in vielen Konstellationen dazu, dass andere, als die zum Verfahren optierten Verbraucher nach der Entscheidung nicht mehr von dem Verfahren profitieren können. Das ist zu einseitig auf die Interessen der Unternehmen auf das Behalten unverdienter Vorteile hin ausgerichtet.

Der Entwurf ist in verschiedener Hinsicht überkomplex. So hätte sich eine Vereinheitlichung von Unterlassungs-, Musterfeststellungs- und Leistungs(„Abhilfe-“)klagen angeboten. Das hätte mit Sicherheit zur Vereinfachung der Bearbeitung und damit der Beschleunigung der einzelnen Verfahren geführt. Es ist auch unnötig, zwischen innerstaatlichen Verbandsklägern und grenzüberschreitend Klage führenden Verbänden zu differenzieren, dabei einen schon eingeführten Begriff neu zu definieren und komplizierte Verifikationsverfahren vorzusehen, ob die Verbände die Anforderungen erfüllen. Es spricht aus Sicht der Neuen Richtervereinigung sachlich nichts dafür, an beide Gruppen unterschiedliche und überhaupt hohe Anforderungen zu stellen. Verbände, die hinreichend seriös und stabil sind, um als Kläger in einem Verfahren im Interesse der Verbraucher dem Gericht gegenüber treten zu können, brauchen nicht von anderen, vergleichbaren Verfahren ausgeschlossen zu werden. Wie viele Beispiele in der Praxis zeigen, ist die Justiz in der Lage, mit Verfahren umzugehen, die von rechtsunkundigen Einzelpersonen oder Anwälten ohne Erfahrung in Fachmaterien geführt werden. Qualitativ guter Vortrag erleichtert die Verfahren, aber es bedarf keines Schutzes durch hochkomplexe, hohe Anforderungen an die Klagebefugnis von Verbänden.

Zu kompliziert erscheint auch das Anmeldeverfahren, in dem die Anmelder einige Angaben machen müssen, die nicht unbedingt erforderlich sind. Wir gehen davon aus, dass das in der Praxis bei vielen Anmeldern zur entscheidenden Schwierigkeit werden dürfte. Das ist deshalb besonders misslich, weil absehbar ist, dass sich in keinem Verfahren je alle Betroffenen beteiligen werden. Dieser Effekt wirkt sich ausschließlich zu Gunsten des rechtsverletzenden Unternehmers aus.

Abzulehnen ist, dass das neue Verfahren beim Oberlandesgericht angesiedelt wird. Oberlandesgerichte sind nicht die besseren Landgerichte, sondern in Zivilsachen auf Rechtsmittel spezialisierte Gerichte. Landgerichte sind daher geübter und besser geeignet, umfangreichen Prozessstoff erstinstanzlich zu bearbeiten. Zugleich ermöglicht es die Zuweisung zum Landgericht auch, im Verfahren Rechtsmittel zum Oberlandesgericht zu eröffnen, ggf. punktuell und vorgezogen, die eine Überprüfung der Bewertung des Sachverhalts umfassen, statt lediglich eine auf die Überprüfung von Rechtsfragen beschränkte Revision zum Bundesgerichtshof. Solche Rechtsmittel fehlen im Entwurf. Das hat das Potenzial, das Verfahren erheblich zu beeinträchtigen, denn das Bewusstsein, dass Entscheidungen überprüfbar sind, kann durchaus prägenden Einfluss auf die Prozessführung, auf die Sorgfalt und die Ergebnisse der Fallbearbeitung haben. Auch bei Ansiedlung beim Landgericht könnte durch landesrechtliche Zuweisung der Verfahren an ein bestimmtes Landgericht die gleiche Spezialisierung ermöglicht werden, die bei Zuweisung an ein Oberlandesgericht erfolgt.

Der Entwurf sieht von neuen Beweiserleichterungen für Verbände ab. Die Neue Richtervereinigung ist der Auffassung, dass damit die Anforderungen der Richtlinie verfehlt werden. Erwägungsgrund 68 der Richtlinie zeigt auf, dass die Regelung in Artikel 18 der Richtlinie nicht restriktiv zu lesen ist und die zu Lasten der Verbraucher bestehende Informationsasymmetrie abgebaut werden soll. Das deutsche Zivilprozessrecht hält die Informationsasymmetrie zwischen Unternehmen und Verbrauchern jedoch unverändert auf hohem Niveau aufrecht.

Zur Stellungnahme zu den letzten beiden der offenen Punkte, die in Ihrem Schreiben vom 15. Februar 2023 benannt werden, fehlen teils die notwendigen Informationen. Ganz allgemein können wir hierzu Folgendes sagen:

Eine Gruppenklage halten wir für erforderlich. Wie die Verfahren von sehr zahlreichen Klägern, die in eigenen Angelegenheiten klagen wollen, sinnvollerweise und effektiv zusammengeführt werden können, ist ein bislang nicht ausreichend adressiertes Problem. Das KapMuG-Verfahren kann als weitestgehend gescheitert gelten, es erfordert die individuelle Klageerhebung und generiert häufig verfassungswidrig lange Verfahrenslaufzeiten. Die Verbandsklage ist kein Ersatz dafür, denn das Verfahren hängt davon ab, dass ein Verband bereit ist, das Verfahren zu führen und die Anspruchsinhaber sind dabei gezwungen, jegliche Einflussnahme auf die Verfahrensführung aufzugeben.

Das behördliche Instrument, Selbstverpflichtungen für verbindlich zu erklären, erscheint uns sehr interessant. Wirkungsvoll wäre es jedoch nur, wenn Verbraucher daraus unmittelbar Nutzen ziehen könnten. Das setzt ganz offensichtlich Publizität und eine drittbegünstigende Wirkung voraus, so dass wir davon ausgehen, dass das gewährleistet werden würde. Im besten Fall könnten so aber in jedem einzelnen Fall verbindlicher Selbstverpflichtung zahlreiche Individualverfahren sowie die möglichen gerichtlichen Massenverfahren – Verbands- oder Gruppenklage – sich erübrigen, denn ein Unternehmen wird wohl kaum gegen die Verbindlichkeit der gerade erst abgegebenen Selbstverpflichtung Rechtsmittel einlegen. Schneller und kostengünstiger können Verbraucher nicht zu ihrem Recht kommen. Auch wenn es schon jetzt möglich ist, durch notarielle Urkunden ähnliche Wirkungen zu erzielen, hätte eine gesetzliche Lösung Vorteile. Denn es gibt keine allgemeine Publizität notarieller Urkunden und bislang gehört es auch nicht zu den Aufgaben von Behörden, entsprechende Verträge beurkunden zu lassen, was insbesondere auch bei hohen Gegenstandswerten erhebliche Kosten verursachen dürfte. Die Privatautonomie der Unternehmen würde durch Selbstverpflichtungen gewahrt, Eingriffe in Rechte von Verbrauchern sind konzeptionell ausgeschlossen. Möglicherweise kann es durch solch eine Lösung auch gelingen, gebührentreibenden Geschäftsmodellen die Grundlage zu entziehen, was im Interesse sowohl der Verbraucher als auch der Unternehmen liegt. Es ist nicht erkennbar, welche Nachteile solch ein behördliches Instrument hätte, so dass es jedenfalls auf der Basis der wenigen vorliegenden Informationen und unter den entsprechenden Vorbehalten als absolut sinnvolle Ergänzung prozessualer Instrumente angesehen wird.

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