Verfassungstreue ehrenamtlicher Richterinnen und Richter
Aufnahme einer gesetzlichen Regelung in das Deutsche Richtergesetz (DRiG)
Die NRV begrüßt nachdrücklich die Überlegungen des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz, im DRiG Regelungen zur Verfassungstreue von ehrenamtlichen Richterinnen und Richtern bereits bei der Berufung in das Amt aufzunehmen. Dieses Vorhaben entspricht unter anderem den Forderungen der NRV in ihrer Stellungnahme vom 16. November 2020 zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften, den Regelungsauftrag des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Mai 2008 umzusetzen. Die Resilienz des demokratischen Rechtsstaates gegen Extremismus gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerade innerhalb der Justiz ist mit herausgehobener Priorität zu sichern und zu stärken. Dem entsprechend sind Umsetzungsdefizite auf gesetzgeberischer Ebene dringend zu schließen. Da es sich um ein Kernanliegen des Schutzes der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in und durch die Justiz handelt, möchten wir diesen gern auch im weiteren Austausch besonders unterstützen.
Wegen der besonderen Bedeutung bietet sich (bei einer Regelung im DRiG) an, bereits in § 44 Absatz 1 DRiG nach Satz 1 folgenden Satz 2 anzufügen: „Unfähig zum Amt der ehrenamtlichen Richterin oder des ehrenamtlichen Richters sind Personen, die nicht die Gewähr dafür bieten, dass sie jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintreten.“
Hilfsweise – mit verringerter Klarstellungsfunktion – könnte § 32 GVG um die Nummer 3 entsprechend ergänzt werden und für die weiteren Gerichtsbarkeiten, die ehrenamtliche Richterinnen und Richter vorsehen, auf diese Regelung verwiesen oder entsprechende Normen vorgesehen werden.
Noch deutlich geringere Klarstellungsfunktion hätte ein bloßer Normverweis auf § 9 Nummer 2 DRiG. Diese Regelungsform würde daher das gesetzgeberische Ziel, die Pflicht der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter zur Verfassungstreue besser sichtbar zu machen, am schlechtesten erreichen.
Allgemein zu begründen ist die Ergänzung der bestehenden Regelungen durch einen gesetzgeberischen Handlungsbedarf, der aus unserer Sicht herausgehobene Dringlichkeit aufweist: Das BVerfG verlangt zu Recht im Sinne der „wehrhaften Demokratie“ auch von ehrenamtlichen Richterinnen und Richtern, weil ihnen rechtsprechende Gewalt gem. Art. 92 GG, § 1 Alt. 2 DRiG anvertraut ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.12.1969 – 2 BvR 271, 342/68 = BVerfGE 27, 312 = NJW 1970, 1227; BVerfG, Beschluss vom 06.05.2008 – 2 BvR 337/08 = NJW 2008, 2568), die Prinzipien der Demokratie, Rechtsstaatlichkeit oder allgemeinen Menschenwürde zu achten und sich eindeutig von Gruppen und Bestrebungen zu distanzieren, die diese Grundlagen der geltenden Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen und diffamieren (näher auch zum Folgenden, Fahrner, Quis custodiet ipsos custodes? Extremismus in der Justiz und das Verhältnis der dritten Gewalt zum Verfassungsschutz, GSZ 4 (2021), S. 6 ff.). Bislang können ehrenamtliche Richterinnen und Richter bei derart gravierenden Verstößen nur unter Bezugnahme auf allgemeine Dienstpflichten des Amtes nachträglich enthoben (§ 27 S. 1 ArbGG; §§ 51 Absatz 1; 113 Absatz 1 Nummer 2 GVG; vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.05.2008 – 2 BvR 337/08 = NJW 2008, 2568) oder entbunden werden (§ 21 Absatz 1 Nummer 3 FGO; § 22 Absatz 1 S. 2 SGG; § 24 Absatz 1 Nummer 2 VwGO). Danach ist bisher zweifelhaft, ob bei Verstößen vor Antritt des Amtes die Berufung in das Amt versagt werden kann. Darüber hinaus ist im Einzelnen noch ungeklärt, inwieweit Verhaltensweisen vor Amtsantritt überhaupt eine Dienstpflichtverletzung in diesem Sinne darstellen können. Das Bundesverfassungsgericht hatte sich in seinem Beschluss vom 06.05.2008 (- 2 BvR 337/08 = NJW 2008, 2568) zwar mit einem langjährig in der rechten Szene aktiven ehrenamtlichen Richter zu befassen, stellte aber wesentlich auf dessen Aktivitäten nach Amtsantritt 2004 ab.
Mittlerweile sind vermehrt Verfahren zu beobachten, in denen gegen vor allem rechtsextreme ehrenamtliche Richterinnen und Richter entsprechend vorgegangen werden musste (zum Problemkreis vgl. etwa Müller, Rechte Schöffen – was tun? Vom Umgang mit verfassungsfeindlichen ehrenamtlichen Richtern, NRV Landesinfo Baden-Württemberg 2020 (3), S. 3 ff.; Wagner, Über den schwierigen Umgang der Justiz mit AfD-Richtern und -Staatsanwälten, betrifft JUSTIZ 145 (2021), S. 4 ff.). Dabei entstehen in der Praxis überaus problematische Situationen, wenn z.B. ehrenamtliche Richterinnen oder Richter in Beratungen sich in einer antisemitischen, antiziganen, fremden-, sonst menschenwürde-, demokratie- oder rechtsstaatsfeindlichen Weise äußern, die sich auch auf die Urteilsfindung auswirken kann. Unter welchen Umständen diese Äußerungen ohne Verstoß gegen das Beratungsgeheimnis mitgeteilt werden dürfen, um die Mitwirkung des ehrenamtlichen Richters oder der ehrenamtlichen Richterin am Urteil zu verhindern, ist weitgehend ungeklärt, zudem wird durch solche Personen nicht nur das Ansehen, sondern der Kern der gewalt- und willkürfreien Rechtsstaatlichkeit des Grundgesetzes gefährdet.
Das BVerfG (Beschluss vom 06.05.2008 – 2 BvR 337/08 = NJW 2008, 2568, 2569 f.) hat den Justizverwaltungen aufgegeben: „Hierbei haben die Landesjustizverwaltungen streng darauf zu achten, dass zum ehrenamtlichen Richter nur Personen ernannt werden dürfen, die nach ihrem Persönlichkeitsbild und ihrer fachlichen Befähigung – einschließlich ihrer Einstellung zu den Grundentscheidungen unserer Verfassung – die Gewähr dafür bieten, dass sie die ihnen von Verfassungs und Gesetzes wegen obliegenden, durch den Eid bekräftigten richterlichen Pflichten jederzeit uneingeschränkt erfüllen werden“. Der Gesetzgeber hat bislang versäumt, den Justizverwaltungen dazu rechtlich verlässliche Möglichkeiten einzuräumen. An einer § 9 Nummer 2 DRiG entsprechenden Vorschrift für Laienrichterinnen und -richter mangelt es noch immer. Soweit landesrechtliche Regelungen bestanden, sind diese anscheinend mit Neuregelungen nach den geänderten Verbandskompetenzen des Beamtenstatusrechts entfallen.
Im Besonderen sollte eine Bezugnahme auf die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes die zu Berufsrichterinnen und -richtern gleiche Pflicht aus der konkreten Mitwahrnehmung hoheitlicher Gewalt verdeutlichen. Es ist damit Bezug genommen auf die auch für ehrenamtliche Richterinnen und Richter geltende Verfassungstreuepflicht aller Amtsträgerinnen und Amtsträger, wie sie in Artikel 33 Absatz 5 Grungesetz verankert ist (Vgl. hier nur Badura, in: Maunz/Dürig, GG, 90. EL Februar 2020, Art. 33 Rn. 30 ff., 66; näher ausführend Fahrner, Quis custodiet ipsos custodes? Extremismus in der Justiz und das Verhältnis der dritten Gewalt zum Verfassungsschutz, GSZ 4 (2021), S. 6 ff.).
Die Verfassungstreue ist die aus der gemeinsamen „Wehrhaftigkeit“ begründete amtsrechtliche Pflicht, sich mit der Idee des Staates und seiner freiheitlichen demokratischen, rechts- und sozialstaatlichen Ordnung zu identifizieren, diese zu bejahen, als schützenswert anzuerkennen, sich in diesem Sinne zu ihnen zu bekennen und aktiv für sie einzutreten.
Verwiesen ist damit nicht nur auf die zentralen Verfassungsprinzipien im Sinne von Artikel 1, 20, 79 Absatz 3 GG und deren verfassungsmäßige Ausgestaltung, sowie den Bestand des Staates, wie in § 92 Absatz 1 StGB ausgedrückt, sondern auch auf die vorgesehenen demokratisch-rechtsstaatlichen Verfahren zu ihrer Änderung (Artikel 79, 146 GG) und die Unaufhebbarkeit jedenfalls der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Eine Neuordnung etwa unter rassistischen, antisemitischen, antiziganen, neo-nationalsozialistischen, totalitären, theokratischen oder ähnlichen Prinzipien gegen die allgemeine Menschenwürde und Rechtsstaatlichkeit sowie gegen die freie und faire Demokratie ist stets mit der Verfassungstreue unvereinbar. Hingegen nicht umfasst sind die konkrete Ausgestaltung des politischen, Rechts-, Wirtschafts- und Gesellschaftssystems, soweit die Änderungen im genannten Rahmen, damit vor allem demokratisch, friedlich und legal, möglich sind und gerade so Fortschritt für das pluralistische Gemeinwohl ermöglichen. Gerade als Rechtsstaat und verkörpert in der Gemeinwohlorientierung und Unparteilichkeit der Amtsführung gemäß § 33 BeamtStG ergibt sich keine „blinde“ Loyalitätspflicht zur Staatsführung (vgl. auch BVerfGE 39, 334 (347 f.) = NJW 1975, 1641; 2008, 2568 (2569 f.)), sondern das Recht und die Pflicht zur sachlichen, toleranten Kritik im allgemeinen, ebenso wie die Behauptung der Unabhängigkeit der Justiz und der weiteren Bestandteile des gewaltengeteilten kontrollierenden Rechtsstaats (bis hin zum Restitutionswiderstandsrecht gemäß Artikel 20 Absatz 4 GG im Extremfall).
Der Staat kann von seinen (auch ehrenamtlich berufenen) Amtsträgerinnen und Amtsträgern erwarten, dass sie seine Verfassungsordnung (nicht aber konkrete Politiken oder Missstände) jederzeit rückhaltlos verteidigen werden. Die „Treuepflicht bewährt sich in Krisenzeiten und in ernsten Konfliktsituationen, in denen der Staat darauf angewiesen ist, dass der Beamte Partei für ihn ergreift“ (BVerfGE 39, 334 (348 f.) = NJW 1975, 1641; vgl. Anger, NJW 2008, 3041 (3043)). Dies gilt grundsätzlich auch für Richterinnen und Richter. In diesem Sinn haben sie sich innerdienstlich und außerdienstlich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung zu bekennen, sich mit ihr zu identifizieren und für ihre Einhaltung einzutreten (vgl. auch Schachel, in: Schütz/Maiwald, BeamtR, 451. Aktualisierung 2020, § 33 Rn. 8.). Damit verträgt sich eine Distanzierung, Indifferenz oder Neutralität gegenüber der freiheitlich demokratischen Grundordnung nicht, erst recht nicht ein Verhalten, das ernstliche Zweifel an der Verteidigungsbereitschaft fördern kann und schon gar nicht ein solches, welches selbst gegen die Prinzipien der freiheitlich demokratischen Grundordnung gerichtet ist.
Die Regelung als eine Amtsunfähigkeit der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter folgt der Systematik anderer Ausschlussgründe, namentlich in § 32 GVG für Schöffinnen und Schöffen. Dadurch ist klargestellt, dass es sich um eine von Amts wegen in jedem Verfahrensstadium der Berufung von ehrenamtlichen Richterinnen und Richtern zwingend und ausnahmslos zu berücksichtigende materielle Voraussetzung handelt. Nur dadurch kann bereits die Ernennung von ehrenamtlichen Richterinnen und Richtern, die diese Gewähr nicht bieten, verhindert und erforderliche Rechtssicherheit für die beteiligten Stellen im Rahmen der Berufung (etwa nach §§ 36 ff. GVG) erreicht werden. Stellt sich nach Berufung in belastbarer Weise die fehlende Amtsfähigkeit einer ehrenamtlichen Richterin oder eines ehrenamtlichen Richters heraus, greifen die dafür vorgesehenen (erleichterten) Regelungen zur Amtsenthebung ein (etwa § 52 Absatz 1 Nr. 1 GVG). Die bisherigen Regelungen zur Enthebung und Entbindung bei grober Pflichtverletzung innerhalb und außerhalb des Amtes bleiben unberührt.
Die Neue Richtervereinigung wehrt sich allerdings gegen hier und da angestellte Überlegungen, ehrenamtliche Richterinnen und Richter im Berufungsverfahren einer verfassungsrechtlichen Regelüberprüfung zu unterziehen. Dies würde über das Ziel hinausschießen und eine ihrerseits rechtsstaatlich höchst fragwürdige Bespitzelung von Interessentinnen und Interessenten für dieses besonders herausgehobene, für das Funktionieren einer bürgernahen, verständlichen und sachkompetenten Justiz wesentliche Amt bedeuten. Vielmehr kann davon ausgegangen werden, dass Zweifel an der Verfassungstreue der Kandidatinnen und Kandidaten für diese Ämter im Prozess der Listenaufstellung von den beteiligten demokratischen Kräften und der Zivilgesellschaft vorgetragen würden.