Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft – Stellungnahme Gesetzentwurf

24. Mai 2024| Allgemein, FG Strafrecht

Die Neue Richter*innenvereinigung e. V. (NRV) bedankt sich für die Gelegenheit, zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz eines Gesetzes zur Erhöhung der Transparenz von Weisungen gegenüber der Staatsanwaltschaft Stellung nehmen zu dürfen. Obschon wir die Zielsetzung des Entwurfs unterstützen, geht der Regelungsvorschlag nicht weit genug. Er bleibt sogar hinter dem Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) eines Gesetzes zur Stärkung der Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften und der strafrechtlichen Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union vom 10.02.2021 zurück, zu der sich die NRV bereits kritisch äußerte. Eine transparente Ausübung des Weisungsrechts unter klaren gesetzlichen Bedingungen wird nicht hinreichend sichergestellt (II.). Das Ziel, den deutschen Staatsanwaltschaften mit dieser beabsichtigten Regelung den Grad rechtlicher Unabhängigkeit zu verschaffen, der nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs an eine Justizbehörde im Sinne von Art. 6 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses des Rates von 2002 über den Europäischen Haftbefehl zu stellen sind, wird verfehlt (I.).

I. Zu den europarechtlichen Anforderungen

Im Urteil vom 27.05.2019 der Rechtssache C-508/18, C-82/19 PPU (= NJW 2019, 2145) führt der Europäische Gerichtshof aus:

„Die „ausstellende Justizbehörde“ iSv Art. Artikel 6 Absatz I des Rahmenbeschlusses 2002/584 muss […] in der Lage sein, diese Aufgabe [referenziert wird auf die Überprüfung der Erlassvoraussetzungen einschließlich der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall, Anm. der Verf.] in objektiver Weise wahrzunehmen, unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Gesichtspunkte und ohne Gefahr zu laufen, dass ihre Entscheidungsbefugnis Gegenstand externer Anordnungen oder Weisungen, insbesondere seitens der Exekutive, ist, so dass kein Zweifel daran besteht, dass die Entscheidung, den Europäischen Haftbefehl auszustellen, von dieser Behörde getroffen wurde und nicht letzten Endes von der Exekutive.“ (Rn. 73)

Der Gerichtshof verlangt, dass Einzelweisungen zum Erlass eines Europäischen Haftbefehls ausgeschlossen sind (Rn. 74). Auch Verfahrensvorgaben zur Sicherung einer im Einzelnen rechtmäßigen Weisung wie etwa das Erfordernis schriftlicher Anordnung genügten nicht (Rn. 79 f., 82). Damit entscheidet nicht das „Wie“ der Weisungserteilung über die Eigenschaft als Justizbehörde im europäischen Sinn, sondern vielmehr das „Ob“ eines Weisungsrechts. Soweit § 146 Abs. 2 GVG-E die bereits geltenden Voraussetzungen der Weisungserteilung kodifizieren soll, statuiert der Entwurf keine weitergehenden Voraussetzungen an ministeriale Weisungen, als diejenigen, die der Europäische Gerichtshof bereits als europarechtlich unzureichend befand. Beabsichtigt der Referentenentwurf also die deutsche Staatsanwaltschaft im Lichte des Rahmenbeschlusses 2002/584 zu einer Justizbehörde zu machen, so muss das Weisungsrecht der Exekutive in Gänze oder jedenfalls betreffend den Erlass von Europäischen Haftbefehlen abgeschafft werden.

Die dem Entwurf zugrundeliegenden verfassungsrechtlichen Bedenken können zwar dem Grunde nach nachvollzogen werden: Eine Staatsanwaltschaft völlig ohne demokratische Kontrolle erscheint im Lichte des Art. 20 GG ausgeschlossen. Allerdings stellt die ministeriale Kontrolle nicht den einzigen Weg zur Kontrolle der Staatsanwaltschaft dar. Zwar handelt es sich um ein Organ der Exekutive, sodass eine ministeriale Kontrolle naheliegt, doch werden auch andere Exekutivorgane außerhalb des ministerialen Systems überwacht. Beispielsweise werden Geheimdienstbehörden durch die Parlamente beaufsichtigt. Denkbar wäre, die Staatsanwaltschaften in engen Grenzen der Aufsicht und Weisung eines parlamentarischen Ausschusses (auf Bundes- und Länderebene) zu unterstellen. Des Weiteren bleibt bisher offen, ob das Substitutionsrecht gem. § 145 Abs. 1 Var. 2 GVG zur Vermittlung demokratischer Kontrolle nicht genüge. Das wäre nur dann zu verneinen, wenn alle zur Aufgabenübernahme geeigneten Staatsanwält*innen entgegen des Legalitätsprinzips handelten und also eine gesetzeskonforme Aufgabenwahrnehmung nicht sichergestellt werden könnte. So ein Fall ist schlicht undenkbar.

Verblieben dem Gesetzgeber auch unter diesen Umständen verfassungsrechtliche Bedenken, so ist eine Erweiterung des Art. 97 Abs. 1 GG zu erwägen. Aus der Stellung der Staatsanwaltschaft als Justizbehörde folgt konsequent eine gerichtsgleiche unabhängige Stellung jedenfalls der Institution im Ganzen. Sofern dies aktuell mit Art. 20 Abs. 2 GG für unvereinbar erachtet wird, könnte eine Änderung der justiziellen Gewährleistungen der Verfassung verbleibende Zweifel ausräumen.

II. Zur Ineffektivität des Regelungsvorschlags

Der Regelungsvorschlag ist nicht geeignet, das Regelungsziel einer transparenten Ausübung des Weisungsrechts zu erreichen. Der Entwurf springt zu kurz, soweit er sich auf Formvorschriften für ministerielle Weisungen fokussiert. Er bewegt sich noch nicht einmal in Richtung der selbst gesetzten Zielstellung, wenn er den Anwendungsbereich des ministeriellen Weisungsrechts in vollem Umfang beibehält. Und er schweigt zu Fragen des Umfangs zulässiger Kontrolle.

Mit der in § 146 Abs. 3 GVG-E vorgesehenen Beschränkung des Schrifterfordernisses auf externe Weisungen wird kaum mehr Transparenz geschaffen. Denn explizite externe Weisungen in Bezug auf einen konkreten Einzelfall sind sehr selten und kommen eigentlich nur im Konfliktfall vor, in dem ohnehin alle Beteiligten gehalten sein dürften, auch mündlich Besprochenes als Vermerk zu Papier zu bringen. Vielmehr werden informelle Kanäle genutzt: Im telefonischen Kontakt wird den ersten Beamt*innen der Staatsanwaltschaft – dem Generalbundesanwalt oder den Generalstaatsanwaltschaf-ten der Länder – nahegelegt, auf eine spezifische Verfahrensweise hinzuwirken. Diese Empfehlung hat keinen Weisungscharakter und unterfiele § 146 Abs. 3 GVG-E mithin nicht. Dennoch wird ihr in den meisten Fällen unumwunden Rechnung getragen. Die sodann etwaig notwendige Weisung der Vorgesetzten nach § 147 Nr. 3 GVG muss nicht dokumentiert werden. Es entstünde mithin ein noch weitergehender böser Schein: Der des informellen Klüngels zur Umgehung der Transparenzanforderungen. Um Transparenz zu erzeugen, wäre es indessen erforderlich, zumindest all jene internen Weisungen, die nicht im unmittelbaren Vorgesetztenverhältnis erteilt werden, ebenfalls dem Schriftformerfordernis zu unterwerfen. Nur so kann im Ergebnis nachvollzogen werden, wer die Verantwortung für eine Entscheidung trägt.

Unter § 146 Abs. 2 GVG-E werden alle rechtlich denkbaren Anwendungsbereiche für Weisungen aufgeführt. Es wäre im Sinne der Zielstellung des Gesetzentwurfes folgerichtig, den Anwendungsbereich des externen Weisungsrechts sachlich zu beschränken. Dazu wird es erforderlich sein, eine weitere Differenzierung zwischen generellen Weisungen und solchen vorzunehmen, die einen konkreten Einzelfall betreffen. Denn nur eine strikte Beschränkung des externen Weisungsrechts auf eine reine Rechtmäßigkeitskontrolle, soweit dies den Einzelfall betrifft, kann den Anforderungen des EuGH an eine unabhängige Staatsanwaltschaft zumindest nahekommen. Verbleibt es dabei, dass externe Weisungen allein aufgrund von Opportunitätserwägungen getroffen und erteilt werden können, so sichert allein das Schriftformerfordernis die Rechtsstaatlichkeit der Weisung und die ausreichende Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft von ministerialen Einflüssen nicht. Weisungen in Fällen eines Ermessens- oder Beurteilungsspielraums sichern nicht die Rechtmäßigkeit, sondern allein die Zweckmäßigkeit der Entscheidung. Welche Vorgehensweise der Strafverfolgung zweckmäßig ist, hat in einem Rechtsstaat gerade nicht die politisch geprägte Exekutive zu entscheiden, sondern ausschließlich die der Legalität verpflichtete Staatsanwaltschaft. Nur dann, wenn eine Weisung mit dem Verweis darauf zurückgewiesen werden kann, dass sich die (beabsichtigte) eigene Handlungsweise innerhalb des rechtlich Zulässigen bewegt, kann einer unzulässigen Einflussnahme wirksam begegnet werden.

Einfluss kann durch eine Reihe weiterer Maßnahmen ausgeübt werden, zu denen sich der Gesetzentwurf nicht verhält. Insbesondere Absichtsberichte vor der Einleitung von Ermittlungen und Berichtspflichten können sich auf das Entscheidungsverhalten zuständiger Staatsanwälte auswirken. Nicht nur der gefühlte Rechtfertigungsdruck, sondern schon der erhebliche zeitliche Aufwand können sich auf einzelne Sachentscheidungen auswirken. Einfluss kann aber auch durch die selektive Zuteilung von Personalkapazitäten auf einzelne Kriminalitätsbereiche (zB Betäubungsmittelkriminalität), durch die unterschiedliche Bewertung einzelner Taten in Pebb§y-Einheiten, durch Richtlinien hinsichtlich des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung und schließlich durch das Beurteilungs- und Beförderungswesen genommen werden. Ministeriale Entscheidungsbefugnisse im Bereich der Justizbehörden – einschließlich der Staatsanwaltschaft – haben verhaltenssteuernde Wirkung. Ein Einfluss politischer Wertungen auf die allein am Gesetz auszurichtende Strafverfolgung – und sei es nur aufgrund vorauseilenden Gehorsams – kann unter diesen Bedingungen nicht ausgeschlossen werden. Will der Bundesgesetzgeber den bösen Schein politischen Einflusses ausräumen, so müssen Einfallstore der exekutiven Einflussnahme auf ein Minimum reduziert werden.

 

Für die Fachgruppe Strafrecht der NRV
StA Simon Pschorr
Abgeordneter Praktiker Universität Konstanz

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