Stärkung der Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften und der strafrechtlichen Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union

25. Januar 2021| Stellungnahme, FG Strafrecht

Stellungnahme zum Referentenentwurf

Die NRV bedankt sich für die Gelegenheit, zu diesem Entwurf Stellung nehmen zu können. Sie begrüßt es, dass das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz sich nunmehr selbst mit der Frage der Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft befasst, nachdem die vielfältigen Anläufe der Vergangenheit, das sogenannte externe Weisungsrecht abzuschaffen, ohne jeden Erfolg geblieben waren.

Die NRV bedauert es sehr, dass dem Entwurf der Mut fehlt, sich ernsthaft mit den durch die Entscheidung des EuGH aufgeworfenen Fragestellungen zu befassen. So beschränkt sich der Entwurf auf eine Korrektur reiner Formalien. Er versucht, den jeweiligen Beanstandungen des EuGH oberflächlich Genüge zu tun. Die aufgeworfenen Problemstellungen verkennt er dabei in zweifacher Hinsicht:

Erstens wird der Begriff der Weisung derart förmlich verstanden, dass sich mit einer solchen Korrektur die Frage, ob auf die Entscheidung einer Staatsanwältin/ eines Staatsanwaltes durch die Exekutive Einfluss ausgeübt werden kann, weiterhin nicht wird verneinen lassen. Und zweitens entspricht dieser an den zufälligen Eigenheiten der nationalen Verfassung ausgerichtete Entwurf nicht dem Geist eines gemeinsamen Raums des Rechts und der Rechtsstaatlichkeit, der auf der jeweiligen Unabhängigkeit der nationalen Institutionen beruht, und damit jenem Anspruch gerecht wird, der der EU und damit auch dem EuGH als Maßstab dient.

Die NRV geht daher davon aus, dass eine solche Fassaden-Regelung auch den EuGH nicht wird überzeugen können. Insofern ist darauf hinzuweisen, dass die Vorlagen des irischen High Courts an den EuGH auch die Frage nach einer mittelbaren Abhängigkeit der Staatsanwaltschaft mit umfasst hatten (EuGH, Urteil vom 27.5.2019, Rn. 22, 31), dass die Zweifel des vorlegenden Gerichts also nicht auf die jetzt im Gesetzentwurf thematisierte Abhängigkeit von ausdrücklichen Weisungen beschränkt war. Und auch die Fragestellung des Appellationshofs Brüssel war gerichtet auf eine umfängliche Definition des Begriffs der “Justizbehörde” als einem autonomen Begriff des Unionsrechts. Eine weitergehende Definition und Prüfung musste der EuGH bislang nur deshalb noch nicht vornehmen, weil die durch die betroffenen nationalen Regelungen konstituierten fraglichen Institutionen jeweils bereits deshalb an den Tatbestandsvoraussetzungen des autonomen Begriffs einer  “Justizbehörde” gescheitert waren, weil sie jeweils die Möglichkeit einer unmittelbaren Weisung als direktestes Mittel der Einflussnahme vorsehen. Aber zu einer unabhängigen Justizbehörde wird die Staatsanwaltschaft nicht dadurch, dass, bezogen auf eine bestimmte Entscheidung, keine unmittelbare Weisung (mehr) erteilt werden darf.

1. Der Gesetzentwurf geht nach Auffassung der NRV schon deshalb von einem verkürzten und damit von einem unzureichenden Ansatz aus, weil ihm eine allzu eingeschränkte Auffassung davon zugrunde liegt, was unter – unmittelbarer wie mittelbarer – Weisungsabhängigkeit verstanden werden sollte. Dies zeigt sich in den begleitenden Regelungen zur Ausgestaltung des Weisungsrechts im Übrigen (Schriftlichkeit und Begründungserfordernis).

Insofern trägt der Entwurf nicht dem Umstand Rechnung, dass die Lenkung eines Verhaltens in eine gewünschte Richtung, also die Ausübung von Macht im Sinne einer Einflussnahme auf eine konkrete Entscheidung im Einzelfall unter Inanspruchnahme der jeweils bestehenden Abhängigkeitsverhältnisse – von denen die Möglichkeit der direkten Weisung nur eine ist – eigentlich so gut wie nie durch einen einseitigen Befehl erfolgt. Selbst in den wenigen Fällen, die dazu in der Vergangenheit Anlass zur Diskussion geboten hatten, war die Frage nach dem Weisungscharakter einer „Erwartung“ in aller Regel streitig. Verhaltenssteuerung, dies weiß eigentlich jeder, erfolgt subtiler. Zunächst dadurch, dass – für den Verantwortlichen ersichtlich – beobachtet wird. Und weiter dadurch, dass gezielte Nachfragen erfolgen, die auf konkrete Erwartungen schließen lassen. Stellt die aus dem Ministerium geäußerte Nachfrage, ob (schon) ein europäischer Haftbefehl erlassen sei, eine Weisung in dem von § 147 Abs.4 GVG-E erfassten Sinne dar? Wohl nicht. Stellt sie eine Einflussnahme der Exekutive auf eine Entscheidung der Staatsanwaltschaft dar? Wohl ja.

Eine Staatsanwaltschaft, in der die wichtigsten Personalentscheidungen im Justizministerium getroffen werden, und in der bestimmte Beförderungsämter zudem in aller Regel nur an Personen vergeben werden, die zuvor unmittelbar in einem Ministerium gearbeitet haben, eine solche Institution wird von den Staatsanwältinnen und Staatsanwälten selbst nicht als unabhängig erfahren.

Insofern müsste, um die Möglichkeiten entsprechender Einflussnahmen zumindest etwas zu reduzieren, einerseits ein Gebot der Schriftlichkeit jeglicher fallbezogenen Kommunikation zwischen Ministerium und Staatsanwaltschaft gesetzlich vorgeschrieben werden, und andererseits müsste ein gesetzliches Verbot jeglicher fallbezogenen Kommunikation in Konstellationen mit (europäischem) Auslandsbezug –  einschließlich jedweder Berichterstattungspflicht – erlassen werden. Nur um klarzustellen, wie dies gemeint ist: Würde das Parlament im Rahmen einer Anfrage einen Bericht zu einem laufenden Verfahren anfordern, so würde dies – zu Recht – als unzulässig zurückgewiesen werden (und wird, wo dies erfolgt, so unseres Wissens auch beantwortet). Nichts anderes muss für die Exekutive gelten.

Es wäre mehr als peinlich, sollte der sich häufig als Musterknabe gerierende deutsche Rechtsstaat an dieser Stelle durch den EuGH ein zweites Mal ein „Mangelhaft“ bescheinigt bekommen.

2. Auch eine solche Regelung würde indessen nicht dem Grundanliegen genügen, das darauf gerichtet ist, gerichtet sein muss, in Europa einen Raum des Rechts entstehen zu lassen. Dazu müssen solche Organisationsstrukturen, die geeignet sind, Rechtsstaatlichkeit zu stärken, in den nationalen Verfassungen verankert und dadurch gegen die Zufälligkeiten der jeweils aktuellen Parlaments- und Regierungsmehrheit abgesichert werden.

Eine solche Absicherung ist geboten – in jedem Regierungssystem. Nur weil sich Deutschland durch Jahrzehnte relativer Stabilität ausgezeichnet hat, ist dies keine Garantie dafür, dass dies weiterhin so sein muss. Es sollte daher schon im Eigeninteresse der jetzt Regierenden liegen, nicht unter anderen Mehrheitsverhältnissen mit Mitteln einer gelenkten Strafverfolgung dann rechtsstaatswidrig unterdrückt zu werden.

Dies entspricht im Übrigen auch der Stimmung in weiten Teilen der Justiz selbst. Die Zeiten sind vorbei, in denen es noch einen Grund gab, auf das deutsche Justizsystem in seiner relativen Stabilität stolz sein zu können, auf eine Stabilität, die gegründet war auf auf die persönliche Integrität der Entscheidungsträger, und getragen von deren persönlicher Unabhängigkeit. Vor dem Hintergrund der Labilität politischer Verhältnisse wächst auch in der Justiz die Sorge, dass allein dies in Zukunft nicht ausreichen könnte. Im Vergleich zu den allermeisten anderen europäischen Justizsystemen muss das deutsche mittlerweile als rückständig angesehen werden.

Eine grundlegende Änderung von Machtstrukturen dient nicht dazu, eigenen Machtgelüsten in der Justiz Raum zu geben. Selbstverständlich müssen die Staatsanwaltschaften demokratisch legitimiert sein und sich kontrollieren lassen und sich den Parlamenten gegenüber verantworten. Nur ist die historisch überkommene Konstruktion über die Exekutive nicht zwingend. Niemand käme auf die Idee, dass beispielsweise die Beauftragten für den Datenschutz den jeweiligen Innenministerien oder die Rechnungshöfe den Finanzministerien angegliedert sein müssten. Institutionen, denen Kontroll- und Ermittlungsfunktionen zukommen sind in Zeiten, die nach der Institutionalisierung der Staatsanwaltschaft lagen, selbstverständlich als unabhängig und nur dem Parlament gegenüber verantwortlich konzipiert und konstituiert worden. Dies entspricht im Übrigen dem europäischen Selbstverständnis, so dass den Nationalstaaten beispielsweise in Bezug auf die Beauftragten für den Datenschutz dieser Grad der Unabhängigkeit EU-rechtlich vorgeschrieben ist. Eine solche Konstruktion ist selbstverständlich auch möglich in Bezug auf die Staatsanwaltschaften.

Die NRV teilt die in der Begründung des Entwurfs in Bezug genommene Auffassung, dass sich eine diesem Selbstverständnis entsprechende unabhängige Staatsanwaltschaft unter den gegebenen verfassungsrechtlichen Bedingungen nicht umsetzen lässt. Mit der – partiellen oder gänzlichen – einfachgesetzlichen Streichung des externen Weisungsrechts ist es so wenig getan wie mit den mittlerweile in mehreren Koalitionsverträgen zu findenden Vereinbarungen, auf seine Ausübung verzichten zu wollen. Dies ist aber gut so. Denn es ist ja gerade der Sinn einer Verankerung einer unabhängigen Staatsanwaltschaft in der Verfassung, dass diese nicht durch einfaches Gesetz einer zufälligen Parlamentsmehrheit wieder aufgehoben werden kann. Nur eine solche Verankerung stellt eine Absicherung eines fragilen Gebäudes geteilter Gewalten dar, die so stabil ist, dass ihr eine gewisse Widerstandskraft im Falle sich ändernder Mehrheitsverhältnisse eigen wäre.

Die vorliegende Stellungnahme ist in hohem Maße politischer Natur. Dies entspricht nach Auffassung der NRV der von unseren Kolleginnen und Kollegen in unseren europäischen Nachbarstaaten aufgeworfenen Frage. Die Frage nach der unabhängigen Staatsanwaltschaft lässt sich nämlich nicht mit einer formalen Änderung beantworten. Sie verlangt nach einer grundlegenden Antwort.

Richterinnen und Richter, die sich der europäischen Idee verpflichtet fühlen, verstehen es insofern als ihre Aufgabe, über die eigene Staatsordnung hinaus zu blicken und aus gegebenen Anlässen, also bei entsprechendem (EU-) Auslandsbezug, auf die Bedingungen zu achten, unter denen ihre Kolleginnen und Kollegen arbeiten. Diese gegenseitige Kontrolle des Rechtsraumes Europa durch die jeweiligen Richterkolleginnen und -kollegen anderer europäischer Gerichte ist ein wesentlicher Baustein dieser europäischen Stabilität. So wenig, wie andere europäische Staaten erwarten können, dass Eingriffe der Legislative oder der Exekutive in ihr jeweiliges Justizsystem ohne Auswirkungen auf den Vollzug entsprechender Maßnahmen auf europäischer Ebene bleiben können, so wenig darf sich unsere eigene nationale Rechtsordnung Hoffnung machen, auf Dauer in ihrer überlieferten, antiquierten Struktur toleriert zu werden.

Eine Regelung, die einen bestimmten Inhalt ministerieller Weisungen verbietet, nämlich ausschließlich Weisungen in einschlägigen Rechtshilfesachen, die es im Übrigen aber bei der Weisungsunterworfenheit belässt, wird dem Anliegen, die Rule-of-Law auf europäischer Ebene zu stärken, nicht gerecht.

 

Ruben Franzen

Für die Fachgruppe Strafrecht der Neuen Richtervereinigung

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