Stellungnahme zur Änderung des § 5a Deutsches Richtergesetz (DRiG) – Implementierung des Themas NS-Unrecht in die juristische Ausbildung

16. Februar 2021| Bundesvorstand, Stellungnahme

So sehr die NRV die Implementierung des Themas NS-Unrecht in der Juristenausbildung befürwortet, und das heißt vor allem: eine Auseinandersetzung damit, wie Recht zu Unrecht werden kann, so deutlich ist der hier gewählte Weg – insbesondere der vorgesehene Wortlaut der Regelung – zu kritisieren. Der Entwurf in seiner jetzigen Form ist ungeeignet.

Wir dürfen daran erinnern, dass Ausgangspunkt der Diskussion um eine Änderung von § 5a DRiG die Frage war, welche Schlussfolgerungen aus dem Rosenburg-Projekt für die Ausbildung von Juristinnen und Juristen zu ziehen sind (vgl. Görtemaker/Safferling, Die Akte Rosenburg: Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Zeit, München 2016). Aus der zu diesem Thema eingerichteten hochrangigen Arbeitsgruppe im BMJV ist 2017 ein Diskussionsentwurf für eine Änderung von § 5a DRiG hervorgegangen. § 5a Abs. 2 S. 3 sollte nach diesem Entwurf durch die „Einbeziehung des deutschen Justizunrechts des 20. Jahrhunderts“ ergänzt werden und ein neuer Abs. 3 S. 1 die Berücksichtigung „der ethischen Grundlagen des Rechts für die berufliche Praxis“ vorsehen. Grundlage für diese Formulierungen war zum einen die Überzeugung, dass sowohl die Entwicklung in das und im nationalsozialistischen Deutschland wie auch in der DDR und ihre durchaus unterschiedliche Aufarbeitung von zentraler Bedeutung für das besondere Verständnis von Menschenwürde, materiellem Rechtsstaat und wehrhafter Demokratie in Deutschland sind. Es ging zum anderen aber auch gerade um die Rolle des einzelnen Berufsträgers in der Rechtspflege und um Fragen der Berufsethik. Das Versagen der Juristen zeigte sich zwar besonders deutlich in der Rechtssetzung, praktisch von weitaus größerem Gewicht war aber das tägliche Versagen in der Rechtsanwendung.

Die jetzt vorgelegte Fassung stellt in beiden Bereichen einen Rückschritt zum damaligen Entwurf dar. Im Koalitionsvertrag vom 07.02.2018 zwischen CDU/CSU und SPD wurde das Thema bereits auf den Nationalsozialismus eingeschränkt. Dort steht: „Wir wollen das historische Bewusstsein für das nationalsozialistische Unrecht schärfen, um aus den dunklen Kapiteln unserer Vergangenheit lernen zu können. Wir sind uns einig, dass die Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Justizunrecht auch Teil der Juristenausbildung ist.“ (S. 124) Auch der aktuelle Vorschlag sieht nur noch eine Auseinandersetzung mit dem NS-Unrecht vor. Damit gerät auch die Einbettung in die historischen Zeitströme mit den Vorläufern der NS-Ideologie und -Praxis aus dem Blick. Während der Koalitionsvertrag jedoch gerade die Auseinandersetzung mit dem NS-Justizunrecht als Teil der Juristenausbildung sehen will, wird im vorliegenden Entwurf die unspezifische Formulierung „NS-Unrecht“ übernommen. Das wird verstärkt dadurch, dass nur noch die ethischen Grundlagen und die kritische Reflexion des Rechts im Studium Berücksichtigung finden sollen und damit die Praxis ausgeblendet wird. Es sind gerade die alltäglichen Mechanismen der Pervertierung des Rechts in der Praxis, nämlich – unter anderem – die Lösung von der Gesetzesbindung und der kritischen Prüfung von Erfahrungssätzen, die Aufgabe innerer Unabhängigkeit durch die Angst von öffentlichem und kollegialem Druck und die Verführung durch Karriereambitionen, die Lehren für junge Juristen heute bereithalten. Ohne diese Transferleistung in die Ausbildungs- und Berufspraxis heute ist eine Befassung mit dem Thema obsolet.

Eine Implementation in der vorgesehenen Form wird symbolisch bleiben. Nach bisheriger Erfahrung wird die juristische Lehre diesen Impuls nicht aufgreifen – genau so wenig wie die geforderte Berücksichtigung der Praxis und die Einbeziehung der rechtswissenschaftlichen Methoden und der philosophischen, geschichtlichen und gesellschaftlichen Grundlagen in das Studium. Dem muss man sich bewusst sein. Nichtsdestoweniger wäre eine unseren Bedenken Rechnung tragende Fassung eine positive Symbolik, die diejenigen stärkt, die am Thema Interesse haben und eine entsprechende Lehre einfordern oder selbst anbieten wollen.

Im Übrigen würden wir vorschlagen, diese Inhalte auch für den Vorbereitungsdienst vorzusehen und § 5b DRiG entsprechend zu ändern.

Dr. Frank Bleckmann

MPhil (Cantab), Vors. Richter am LG, LG Freiburg i. Br., frank.bleckmann@neuerichter.de

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