Richterwahlen Schleswig-Holstein: Reformbedarf unter Beibehaltung des Grundsatzes der Bestenauslese

Gemeinsame Presseerklärung mit dem schleswig-holsteinischen Richterverband

Vor dem Hintergrund der Anhörung im Innen- und Rechtsausschuss des Landtags zu dem von den Landtagsfraktionen von CDU, SPD, Bündnis 90/die Grünen und FDP sowie von Abgeordneten des SSW gemeinsam eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Landesrichtergesetzes vom 20.01.2022 lehnen die Berufsvertretungen der Richter*innen und Staatsanwält*innen – der Schleswig-Holsteinische Richterverband und die Neue Richtervereinigung (NRV) – die in dem Gesetzentwurf vorgesehene Relativierung des Grundsatzes der Bestenauslese bei der Berufung von Richterinnen und Richtern weiterhin ab. Sie sind sich darin einig, dass die in Art. 33 Abs. 2 des Grundgesetzes vorgesehene Bestenauslese eine unersetzliche Voraussetzung für das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Qualität der Rechtsprechung und somit auch für die Autorität der Rechtsprechung ist.

Der Zugang zu öffentlichen Ämtern richtet sich laut Art. 33 Abs. 2 des Grundgesetzes (i.F. GG) ausschließlich nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung. Dies gilt insbesondere auch für Richterinnen und Richter. Obwohl dieses Prinzip der sogenannten Bestenauslese zu den
grundlegenden Normen unserer Verfassung zählt und unabänderlich alle Staatsgewalt bindet, soll der vom Landtag eingesetzte Richterwahlausschuss hieran im Rahmen seiner Zuständigkeit künftig nicht mehr ausschließlich gebunden sein. Vielmehr soll der Grundsatz der Bestenauslese zu einem „Leitgedanken“ herabgestuft werden, um dem Richterwahlausschuss eine nicht näher
eingegrenzte Wahlfreiheit zu verschaffen. Dabei gibt der Gesetzentwurf keine Antwort auf die Frage, an welchen Kriterien sich die Auswahlentscheidung stattdessen orientieren soll und was noch von der Bestenauslese übrig bleibt. Die mit diesem Gesetzentwurf zu befürchtende Intransparenz der Entscheidung des Richterwahlausschusses ist weder für die Bewerberinnen und Bewerber selbst zumutbar, noch für die Akzeptanz der Wahlergebnisse dienlich. Zudem führen Wahlentscheidungen ohne nachprüfbare Kriterien zu einer Aushöhlung des verfassungsmäßigen Rechts unterlegener Bewerberinnen und Bewerber, die Einhaltung des Prinzips der Bestenauslese
gerichtlich überprüfen zu lassen, Art. 19 Abs. 4 GG.

 

Das eigentliche Problem und der Lösungsansatz liegen im Beurteilungswesen

 

Der erste Sprecher der Neuen Richtervereinigung in Schleswig-Holstein, Michael Burmeister, dazu: „Das Unbehagen der Abgeordneten, die ihre Wahlentscheidung aufgrund der Bindungen an Art. 33 Abs. 2 GG in einer derartigen Abhängigkeit von den aktuellen Anlassbeurteilungen der
dienstvorgesetzen Gerichtspräsident*innen sehen, ist nachvollziehbar. Der logische Ansatz ist aber nicht eine Relativierung der verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Bestenauslese, denn es muss doch allen daran gelegen sein, dass nur die persönlich und fachlich am besten Geeigneten ein Richteramt bekleiden. Vorrangig anzusetzen ist vielmehr mit einer grundsätzlichen Reform des
Beurteilungswesens. Dies ist nicht nur rechtlich, sondern angesichts der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vor allem zeitlich dringender. Demnach sind die grundlegenden Vorgaben für die Erstellung dienstlicher Beurteilungen wegen ihrer entscheidenden Bedeutung für Auswahlentscheidungen in den meisten Ländern, so auch in Schleswig-Holstein, jetzt ohnehin gesetzlich festzuschreiben. Beurteilung und Richterwahl sind zwei Seiten einer Medaille, die in Ruhe und in einem transparenten Modernisierungsprozess zusammen neu gedacht und dann aus einem Guss im Landesrichtergesetzes neu geregelt werden müssen.“

 

Die Reform muss Teil eines kohärenten Gesamtkonzeptes sein

 

Der Arbeit des Richterwahlausschusses kommt für die schleswig-holsteinische Justiz eine herausragende Bedeutung zu. Eine unter großem Zeitdruck vorgenommene, isolierte Änderung des Auswahlmaßstabs bietet für diese wichtige Aufgabe keine taugliche Grundlage.
Die Landesvorsitzende des Schleswig-Holsteinischen Richterverbandes, Dr. Christine Schmehl, erklärte hierzu: „Die vorgeschlagenen Änderungen sind die falschen Maßnahmen zum falschen Zeitpunkt. Die Regeln, nach denen Richterinnen und Richter in Schleswig-Holstein gewählt werden, sind zu wichtig für einen unausgegorenen Schnellschuss. Die Aufweichung des Grundsatzes, die beste Bewerberin bzw. den besten Bewerber auszuwählen, ist inhaltlich falsch und löst keine Probleme, sondern schafft nur neue. Stattdessen sollten Einstellung, Beurteilung
und Beförderung von Richterinnen und Richtern ganzheitlich in den Blick genommen werden. Die Reform des Beurteilungswesens stellt hierbei einen zentralen Punkt dar, der sorgfältig geprüft und in ein stimmiges, modernes Gesamtkonzept eingefügt werden muss. Wir sollten uns die Zeit nehmen, in Ruhe gemeinsam zu diskutieren, nach welchen Maßstäben wir die Besetzung von Richterstellen in Schleswig-Holstein regeln wollen. Die Richterinnen und Richter stehen dazu bereit.“

Der Schleswig-Holsteinische Richterverband und die Neue Richtervereinigung (NRV) beteiligen sich gern an einem solchen Prozess und an der Reformierung des Beurteilungswesens. Allein auf diesem Wege kann dem nachvollziehbaren Unbehagen der Landtagsabgeordneten an der
aktuellen Situation Rechnung getragen werden. Eine Relativierung oder Aushöhlung des Prinzips der Bestenauslese lehnen wir hingegen entschieden ab.

 

Dr. Christine Schmehl
Vorsitzende des Schleswig-Holsteinischen Richterverbandes

Michael Burmeister
Erster Sprecher der Neuen Richtervereinigung (NRV) in Schleswig-Holstein

Datei zum Download: PDF herunterladen
Alle Meldungen