Personalentwicklung in der Justiz Bremen
Offener Brief vom 05.06.2025
Im Koalitionsvertrag für die 21. Wahlperiode der Bremischen Bürgerschaft wird zu Justiz und Verfassung einleitend ausgeführt:
Ohne eine personell und sachlich angemessen ausgestattete Justiz ist weder der ungehinderte, schnelle Zugang zum Recht für alle, unabhängig von Herkunft und Vermögen, noch der starke Rechtsstaat überhaupt denkbar.
Dieser zutreffenden Einleitung folgen als Ankündigungen:
Die Koalition wird:
- das in allen Landesjustizverwaltungen für die Personalbedarfsplanung angewandte Personalbedarfsberechnungssystem PEBB§Y zukünftig auch in Bremen zur Grundlage der Stellenplanung für die Gerichte und Staatsanwaltschaften machen,
- zum Ende der Legislaturperiode eine Deckungsquote von „PEBB§Y 100“ anstreben,
- in einem ersten Schritt die bisherigen temporären Personalaufstockungen verstetigen,
- zur weiteren Stillung des Bedarfs insbesondere bei der Staatsanwaltschaft und im nichtrichterlichen Bereich Personaldefizite zeitnah beseitigen, auch durch die Intensivierung der Ausbildung von Rechtspfleger*innen und Justizfachangestellten.
Zur Halbzeit der Legislaturperiode verfehlt die Koalition die selbstgesetzten Ziele deutlich und befindet sich die bremische Justiz in einer ihre Funktionsfähigkeit teilweise gefährdenden Personalsituation. Der Deckungsquote „PEBB§Y 100“ nähert sich die Justiz nicht an, sondern entfernt sie sich sogar. Nach den Zahlen für das Jahr 2024 fehlen bezogen auf die gesamte Justiz Bremen:
- 16 Richter*innen,
- 30 Staatsanwält*innen,
- 6 Amtsanwält*innen,
- 14 Rechtspfleger*innen und
- 95 Geschäftsstellenmitarbeiter*innen.
Eine detaillierte Aufschlüsselung der fehlenden Arbeitskraftanteile für die gesamte ordentliche Gerichtsbarkeit, die Fachgerichtsbarkeit und die Staatsanwaltschaften ist als Anhang beigefügt.
Zu berücksichtigen ist, dass der Bemessung des Personalbedarfs nach PEBB§Y veraltete Werte zu Grunde liegen, die den tatsächlichen Bedarf nicht mehr abbilden. Die Konferenz der Justizminister*innen (JUMIKO) hat daher unter Ihrer Beteiligung nach mehr als 20 Jahren im Frühjahr 2024 beschlossen, dass eine neue Vollerhebung der Zahlen erfolgen soll, beginnend 2027 für die ordentliche Gerichtsbarkeit und die Staatsanwaltschaften. Bremen bleibt indes selbst hinter den anerkanntermaßen nicht mehr aktuellen Bedarfsmaßstäben der Justiz von vor 20 Jahren massiv zurück, dies mit einer deutlichen Tendenz zu weiterer Verschlechterung. Besonders dramatisch ist die Situation der Staatsanwaltschaft und nahezu in der gesamten Justiz der eklatante Mangel an Geschäftsstellenmitarbeiter*innen.
Bisher konnten in dieser Legislaturperiode keine nachhaltigen Maßnahmen festgestellt werden, um dem Ziel einer verbesserten Personalausstattung der Justiz näherzukommen. Dies missachtet die verfassungsmäßige Bedeutung der Justiz als dritter Gewalt im Staat. Die Bevölkerung hat einen Anspruch auf eine voll funktionsfähige Justiz zur Erlangung von Rechtsschutz und der durch die Justiz vorzuhaltenden Justizdienstleistungen, etwa im Nachlasswesen, Register- und Grundbuchgericht. Missachtet werden überdies auch die Belange der Mitarbeiter*innen der Justiz, die an vielen Stellen fortdauernder Überforderung ausgesetzt sind, ohne sich durch Priorisierung entlasten zu können, da es in der Justiz keine freiwilligen Aufgaben gibt.
Der Landesverband Bremen der Neuen Richter*innenvereinigung hat angesichts der alarmierenden Entwicklung der Personallage in der bremischen Justiz folgende Fragen an Sie:
Ist die Erreichung einer Personalausstattung der bremischen Justiz entsprechend der Deckungsquote „PEBB§Y 100“ innerhalb der laufenden Legislaturperiode nach wie vor erklärtes Ziel?
Welche konkreten Maßnahmen sollen gegebenenfalls zur Erreichung dieses Ziels führen?
Wie sollen 30 Staatsanwält*innen gewonnen werden?
Die Geschäftsstellenmitarbeiter*innen, unabhängig davon, ob es sich um ausgebildete Justizfachangestellte handelte oder um angelerntes Personal handelt, verlassen die Justiz häufig nach nur kurzer Zeit der Tätigkeit. Die Senatsvorlage VL 21/4032, die als Anhang beigefügt ist, hat ergeben, dass von den 65 in den Jahren 2016 bis 2019 ausgebildeten Justizfachangestellten nur noch 38 in der bremischen Justiz tätig sind. Von den in den Jahren 2019 bis 2024 angelernten 159 Mitarbeiter*innen sind nur 103 geblieben.
In den 6 Jahre von 2016 bis 2021 sind insgesamt 101 Justizfachangestellte ausgebildet worden. Wie sollen zeitnah 95 Geschäftsstellenmitarbeiter*innen gewonnen werden? In welchem Umfang soll dies durch Ausbildung von Justizfachangestellten erfolgen?
Was soll unternommen werden, um die Mitarbeiter*innen des mittleren Dienstes langfristig zu binden?
Die räumliche Situation der Bremer Justiz ist äußerst beengt. In den Gerichten ist es inzwischen schwierig für jede*n Richter*in ein Büro vorzuhalten. Die Staatsanwaltschaft musste mehrfach räumlich erweitert werden, dies außerhalb der zentralen Immobilie. Mit fortschreitender Digitalisierung wird das Desksharing technisch zunehmend möglich sein, wobei der Umfang ungewiss ist. In Teilbereichen, etwa im Strafrecht mit dem hohen Sitzungsaufwand, werden entsprechende Effekte voraussichtlich gering ausfallen. Überdies ist die Erhaltung einer hohen Präsenzkultur sowohl zur Mitwirkung bei der Nachwuchsqualifikation als auch zur Qualitätssicherung im Allgemeinen wünschenswert. Mit dem notwendigen Personalaufwuchs muss folglich auch die Raumplanung einhergehen.
Wo soll das zusätzlich einzustellende Justizpersonal räumlich untergebracht werden?
Die Neue Richter*innenvereinigung hat mehrfach auf das durch die Post aufgegebene Gebäude an der Domsheide hingewiesen, etwa durch die Presseerklärung vom 17.9.2024 (https://www.neuerichter.de/das-alte-postamt-an-der-domsheide-wird-fuer-die-fortentwicklung-des-justizzentrums-benoetigt/). Unterstützen Sie die Forderung, das Gebäude für die Fortentwicklung des Justizzentrums zu nutzen?
Besteht, soweit das Postgebäude nach Ihrer Auffassung nicht für die Fortentwicklung des Justizzentrums genutzt werden soll, die Absicht die im Bremer Justizzentrum untergebrachten Gerichte und die Staatsanwaltschaft in Teilen an andere Standorte zu verlagern und gegebenenfalls wohin und welche Teile der Justiz?
Die rechtsstaatlichen Strukturen im Land Bremen befinden sich in einem insgesamt prekären Zustand. Es ist zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes für die Bevölkerung und zur Fürsorge gegenüber den Mitarbeiter*innen der Justiz überfällig, dass die Personal- und Raumplanung strukturiert angegangen und kommuniziert wird. Wir bitten daher um zeitnahe Beantwortung der vorstehenden Fragen.
Ansprechpartner: Peter Walter, Richter am Amtsgericht Bremen
Anhang: Aufgeschlüsselte Personalunterdeckung
Fehlende Arbeitskraftanteile basierend auf den PEBB§Y-Zahlen für das Jahr 2024
Ordentliche Gerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit
Richter*innen
Amtsgericht Bremen | 7,90 |
Amtsgericht Bremerhaven | 1,74 |
Amtsgericht Blumenthal | 1,36 |
Landgericht Bremen | – 1,28 |
Oberlandesgericht Bremen | – 1,47 |
Arbeitsgericht | 0,33 |
Landesarbeitsgericht | – 0,91 |
Finanzgericht | – 0,24 |
Sozialgericht | – 1,96 |
Verwaltungsgericht | 9,71 |
Oberverwaltungsgericht | 0,95 |
16,13 |
Rechtspfleger*innen
Amtsgericht Bremen | 10,71 |
Amtsgericht Bremerhaven | 0,66 |
Amtsgericht Blumenthal | 1,81 |
Landgericht Bremen | – 1,99 |
Oberlandesgericht Bremen | 2,47 |
Arbeitsgericht | 1,15 |
Landesarbeitsgericht | 0,08 |
Finanzgericht | – 0,02 |
Sozialgericht | – 0,01 |
Verwaltungsgericht | 0,72 |
Oberverwaltungsgericht | – 0,02 |
15,56 |
Mittlerer Dienst
Amtsgericht Bremen | 36,95 |
Amtsgericht Bremerhaven | 10,44 |
Amtsgericht Blumenthal | 7,03 |
Landgericht Bremen | – 2,67 |
Oberlandesgericht Bremen | 2,83 |
Arbeitsgericht | 4,40 |
Landesarbeitsgericht | – 1,26 |
Finanzgericht | 0,46 |
Sozialgericht | – 1,02 |
Verwaltungsgericht | 3,63 |
Oberverwaltungsgericht | 0,15 |
60,94 |
Staatsanwaltschaft
Staatsanwält*innen
Staatsanwaltschaft | 30,56 |
Generalstaatsanwaltschaft | – 0,03 |
30,53 |
Amtsanwält*innen
Staatsanwaltschaft | 6,08 |
Generalstaatsanwaltschaft | 0,00 |
6,08 |
Rechtspfleger*innen
Staatsanwaltschaft | – 1,55 |
Generalstaatsanwaltschaft | 0,03 |
– 1,52 |
Mittlerer Dienst
Staatsanwaltschaft | 33,30 |
Generalstaatsanwaltschaft | 0,86 |
34,16 |
Danach fehlen insgesamt (abgerundet):
16 Richter*innen
30 Staatsanwält*innen
6 Amtsanwält*innen
14 Rechtspfleger*innen
95 Geschäftsstellenmitarbeiter*innen