Offener Brief zu den beabsichtigten Strafverschärfungen im Bereich des sexuellen Kindesmissbrauchs
Sehr geehrte Frau Bundesministerin,
wir bedauern, dass Sie dem Druck der Öffentlichkeit, der Union und Ihrer Partei nachgeben mussten und nun doch noch weiter erhöhte Mindeststrafen für Straftaten im Bereich des sexuellen Kindesmissbrauchs eingeführt werden sollen. Selbst der Präsident des Kinderschutzbundes wies auf die auch Ihnen bekannte Tatsache hin, dass dies keinerlei präventive Wirkung haben wird. Stattdessen wird mit dieser Erhöhung erneut indirekt Misstrauen gegenüber der strafrechtlichen Praxis zum Ausdruck gebracht und suggeriert, dass die Gerichte bislang die ihnen zur Verfügung stehenden Strafrahmen nicht in zutreffender Weise verwendet hätten. Sie wissen wie alle Fachleute, dass die Vielgestaltigkeit des Lebens es erforderlich macht, in konkreten Einzelfällen auch weniger drakonische Strafen zu verhängen. Für den Einzelfall nicht angemessen hohe staatliche Strafen verhindern die Akzeptanz des Urteils beim Verurteilten und damit den Beginn einer Änderung. Auch stehen sie einem Rechtsstaat nicht gut zu Gesicht. Wir bitten Sie daher ausdrücklich darauf zu achten, dass im Falle noch weiter erhöhter Mindeststrafen insbesondere im Bereich des heutigen § 176 StGB endlich wieder eine angemessene Regelung für minderschwere Fälle vorgesehen wird, die es den Gerichten erlaubt, auf die besonderen Umstände der jeweiligen Einzelfälle mit Augenmaß einzugehen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Susanne Müller
Vorsitzende Richterin am Landgericht – Landgericht Freiburg
für die Fachgruppe Strafrecht der Neuen Richtervereinigung