NRV: Schon die Einleitung des Verfahrens wäre ein Signal
Neben einer „in letzter Konsequenz“ denkbaren, auf Antrag des Landtages zu erhebenden Richteranklage nach Art. 80 der sächs. Verfassung (so die PI unseres sächs. Landesverbandes) stellt sich im Fall des ehemaligen AfD-Bundestagsabgeordneten und Richters Jens Maier die Frage, ob die in der Zeit als Abgeordneter getätigten rechtsextremistischen Äußerungen in ein disziplinarrechtliches Verfahren einfließen dürften und zu einer Entfernung aus dem Richteramt führen könnten.
Wir meinen, dass das sächsische Justizministerium allen Anlass hat, dies ergebnisoffen zu prüfen. Der Rechtsauffassung des Prof. Dr. Andreas Fischer-Lescano von der Uni Bremen kann gut beigetreten werden.
Im Einzelnen:
1. Eine disziplinare Ahndung käme von vornherein nur für Äußerungen außerhalb des Bundestages in Frage. Für rechtsextremistische Äußerungen im Plenum kommt den Bundestagsabgeordneten die Indemnität zugute, Art. 46 GG (für deren Ahndung wäre der Bundestag selbst zuständig).
2. Würde Maier strafrechtlich belangt und wegen einer vorsätzlichen Tat auf eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr erkannt, würde das Richterverhältnis gemäß § 24 Nr. 1 DRiG mit der Rechtskraft des Strafurteils und ohne weitere gerichtliche Entscheidung enden.
3. Eine Entfernung aus dem Richterdienst als schwerste disziplinarische Maßnahme wäre durch das zuständige Richterdienstgericht auszusprechen; für die entsprechende Klageerhebung ist auch in Sachsen das Justizministerium zuständig.
Eine disziplinarische Ahndung rechtsextremistischer Äußerungen während des aktiven Richterdienstes bis hin zur Entfernung aus dem Dienst wegen eines schweren Vergehens (§ 13 Abs. 2 sächsDG) wäre möglich. Die Äußerungen könnten Verstöße gegen § 33 Abs. 1 BeamtStG (Treuepflicht: Beamte müssen sich durch ihr gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des GG bekennen und für deren Erhaltung eintreten) und / oder gegen § 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG (Wohlverhaltenspflicht) darstellen; diese Pflichten gelten nach § 71 DRiG auch für Richter*innen. Darüber hinaus ist an eine Verletzung des speziell für Richter*innen geltenden § 39 DRiG zu denken. Nach § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG könnten getätigte Äußerungen auch geahndet werden, wenn sie außerhalb dienstlicher Zusammenhänge erfolgen und wenn dieses Verhalten „nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, das Vertrauen in einer für ihr Amt bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen“. Das dürfte von der Schwere her kein Problem sein (vgl. den auch von Fischer-Lescano zitierten Fall des baden-württembergischen AfD-Staatsanwalts Seitz1).
4. Tatsächlich problematisch wird es, wenn rechtsextremistische Äußerungen während der Zeit als Abgeordneter erfolgten. Denn nach § 5 Abs. 1 AbgG ruhen die Rechte und Pflichten aus dem Dienstverhältnis, so dass nur einzelne, im Abgeordnetengesetz besonders genannte Pflichten bleiben. Ob es darüber hinaus eine „nachwirkende Treuepflicht“ gibt, wie sie Fischer-Lescano annimmt, ist nach unseren Recherchen von der Rechtsprechung noch nicht angenommen worden. So hat der zitierte Dienstgerichtshof in Stuttgart gerade erst festgehalten, dass keine negativen Folgerungen daraus gezogen werden dürften, dass Seitz sich während seiner Abgeordnetenzeit im parlamentarischen Raum kritisch äußerte, da seine beamtenrechtlichen Pflichten zu dieser Zeit ruhten.2 Eine ältere Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts3 nimmt eine „nachwirkende Treuepflicht“ zwar an; der Fall betraf allerdings einen Soldaten und für diese gibt es mit § 17 Abs. 3 SoldatenG eine besondere Regelung, die ihrerseits mit einer evtl. Wiederverwendung als Reservist begründet wird.
Dennoch erscheint uns die Argumentation zur nachwirkenden Treuepflicht, immerhin mit einer Kommentarstelle belegt, nachvollziehbar und vertretbar („Die Beamt*innen dürfen sich, jedenfalls soweit sie nicht den Indemnitätsschutz des Art. 46 GG genießen, nicht in einer Weise äußern, die sie für eine etwaige Wiedereinsetzung untragbar machen [Lemhöfer, in: Plog/Wiedow (Hg.), BBG, Stand: November 2019, § 40 Rn. 9]“), zumal es selbst bei Ruhestandsbeamten und früheren Beamten mit Versorgungsbezügen nach § 47 Abs. 2 BeamtStG u.a. als Dienstvergehen gilt, „wenn sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes betätigen oder an Bestrebungen teilnehmen, die darauf abzielen, den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen“. Erst recht sollte das für Beamte (und Richter*innen) gelten, die nach einer Ruhensphase wieder in den Dienst zurückkehren wollen.
5. Nähme man eine entsprechende Pflichtverletzung an, stünde die Entfernung aus dem Dienst zwar immer noch im Ermessen des Gerichts, § 13 Abs. 1 sächsDG. Allerdings dürfte bei der Schwere der dann im Raum stehenden Pflichtverletzung – immerhin geht es um verfassungsfeindliche Bestrebungen – die Entfernung aus dem Richterverhältnis Ausgangspunkt der Zumessungsentscheidung sein.
Ob ein schweres Dienstvergehen in Form eines Verstoßes gegen die Verfassungstreuepflicht in Frage kommt und zur Entfernung aus dem Dienst führen könnte, wäre im Rahmen eines Disziplinarverfahrens gerade zu prüfen und ein solches vom Ministerium deshalb auch einzuleiten. Für die bislang kundgetane Zögerlichkeit gibt es keinen Grund.
Der Verweis auf einen künftigen unmittelbaren Vorgesetzten nach Rückkehr in den Dienst verfängt unseres Erachtens nicht. Insofern weist Fischer-Lescano wiederum zutreffend darauf hin, dass es in der Zeit zwischen Antragstellung am 23.12.2021 und der tatsächlichen Wiederaufnahme des Dienstes keinen anderen Dienstvorgesetzten als das sächsische Justizministerium gibt und deshalb auch keine nur subsidiäre Zuständigkeit.
Das Ministerium kann das Disziplinarverfahren parallel zum Rückkehrverfahren einleiten und sollte dies auch tun – gerade dann, wenn Maier der erste AfD-Abgeordnete und ehemalige Justizbeschäftigte ist, der nach einem Bundestagsmandat in den Justizdienst zurückkehrt. Es müsste gerade der grünen Ministerin, die sich den Kampf gegen rechts ausdrücklich auf die Fahnen geschrieben hat, ein Anliegen sein, sowohl die Rechtsschutzsuchenden als auch die Justiz selbst vor rechtsextremistischen Richter*innen in ihren Reihen zu schützen und hierfür keine Chance ungenutzt lassen.
Schon die Einleitung des Verfahrens wäre ein Signal. Sollte die Disziplinarklage vor Gericht aus rechtlichen Gründen keinen Erfolg haben, wären die aufgeworfenen Fragen jedenfalls geklärt und ggf. ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf aufgezeigt. Auch insoweit muss sich das sächsische Justizministerium nicht wegducken. Eine Änderung des Abgeordnetengesetzes oder des Beamtenstatusgesetzes könnte auch vom Bundesrat initiiert werden. Alternativ wäre an eine Konkretisierung der Dienstpflichten für rückkehrwillige Beamte und / oder Richter*innen auf Landesebene zu denken.
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1 Dienstgerichtshof für Richter bei dem Oberlandesgericht Stuttgart, Urteil vom 18.03.2021 – DGH 2/19 –
2 Gegenstand des Verfahrens waren rassistische Facebook- und Internet-Beiträge, die Seitz vor seiner Wahl in den Bundestag im aktiven Dienst als Staatsanwalt abgesetzt hatte; das Disziplinarverfahren durfte während der Abgeordnetenzeit weitergeführt werden.
3 vom 23.04.1985 – 2 WD 42/84 –