Kriminalpolitik auf Abwegen
Kriminalpolitik verlangt nach einer Staatsanwaltschaft, die ihre Ressourcen dort einsetzt, wo die schwerwiegendsten Taten begangen werden und wo die größten Schäden entstehen. Das ist selten der Bereich der Kleinstkriminalität.
Die gestern pressewirksam in Szene gesetzte Weisung, künftig öfter und härter bestrafen lassen zu wollen, bedient ausschließlich populistische Forderungen – und fördert sie auf diese Weise. Eine kriminologisch fundierte Expertise lassen die dafür angeführten Gründe nicht erkennen. Indem sie der bisherigen Arbeit der Strafverfolgungsbehörden implizit ein schlechtes Zeugnis ausstellen, bestätigen Justizminister und Generalstaatsanwalt gängige Vorurteile. Sie vermittelt den Eindruck, als könne der Justizminister die Strafmaße beeinflussen. Und die Fokussierung auf Kleinkriminalität verstärkt die verbreitete Auffassung, dass man die „Kleinen“ hänge, die „Großen“ aber laufen lasse. Mutmaßlich Wasser auf die Mühlen des politischen Gegners in Zeiten des Vorwahlkampfes.
Für den Runderlass des Generalstaatsanwaltes zur Herabsetzung der Schwellenwerte bei der Einstellungspraxis bestand kein Anlass. Das Strafniveau in Sachsen liegt einer jüngst veröffentlichten Studie zufolge voll im Durchschnitt. Durch die jetzt angekündigte Null-Toleranz-Politik gegenüber Ersttätern und Drogenabhängigen wird entgegen der von Strafrechtsprofessoren empfohlenen Angleichung der Strafverfolgung eine krasse Abkehr von bundeseinheitlichen Standards propagiert. Ladendiebstahl mag in der einen oder anderen Ladenpassage so gehäuft auftreten, dass er für die Pächter existenzbedrohlich wird und von Versicherungen nicht mehr getragen wird. Das verlangt nach einer gezielten Steuerung der Strafverfolgung, nicht aber nach einer generellen Herabsetzung der Verfolgungsschwelle. Der weit verbreiteten Betäubungsmittelabhängigkeit lässt sich nicht mit den Mitteln des Strafrechts begegnen. Das gilt heute wie vor 30 Jahren, als das Bundesverfassungsgericht die grundsätzliche Strafbarkeit des Umgangs mit Drogen zwar für zulässig erklärt hat, aber ausdrücklich auf die Möglichkeiten einer großzügigen Einstellungspraxis im Bereich des Eigenbedarfs hingewiesen hat – von der Gebrauch zu machen ist.
Die Vorstellung, dass es die Angst vor Strafe sei, die jemanden davon abhalte, eine (erneute) Straftat zu begehen, hat mit den einschlägigen Forschungsergebnissen wenig bis gar nichts zu tun. Da der Täter eines Vermögensdeliktes davon ausgeht, nicht erwischt zu werden, ist es bei geplanten Straftaten in erster Linie das Entdeckungsrisiko, das ihn mutmaßlich von weiteren Handlungen abhält. Die Strafe, die selbst bei den mit einem hohen organisatorischen Aufwand verbundenen beschleunigten Verfahren nicht wirklich auf dem Fuß folgt, schon gar ihre Höhe, haben hierauf so gut wie keinen Einfluss.
Die Aufstockung des Personals nicht nur bei den Richtern und Staatsanwälten ist dringend erforderlich und zu begrüßen, aber nicht, um diese hoch qualifizierten Personen postwendend damit zu beschäftigen, „Hühnerdiebe“ zu verfolgen. Die Justiz hat Wichtigeres zu tun, als sich zur politischen Profilierung nutzbar machen zu lassen.