Kost und Logis frei? Anrechnung von Verpflegung und Unterbringung auf die Strafverfolgungsentschädigung
Wird Beschuldigten im Strafverfahren das Sonderopfer der Freiheitsentziehung, der vorläufigen Fahrerlaubnisentziehung, des vorläufigen Berufsverbots oder Durchsuchung und Beschlagnahme auferlegt oder ein (teil)vollstrecktes Urteil nachträglich aufgehoben, wird Strafverfolgungsentschädigung (§§ 1, 2 StrEG) fällig. Sie wird als materieller Schadensersatz (§ 7 Abs. 1 Var. 1, Abs. 2 StrEG) und im Falle der Freiheitsentziehung als Entschädigungsanspruch in Höhe von 75 EUR je angefangenem Tag (§ 7 Abs. 1 Var. 2, Abs. 3 StrEG) fällig.
Der immaterielle Entschädigungsanspruch war in der vorletzten Legislaturperiode angehoben worden, deckt jedoch noch immer die (erheblichen und über Zeit zunehmenden) Folgen der Freiheitsentziehung ab.[1] Angesichts dessen strebte das Bundesjustizministerium unter Führung von Marco Buschmann[2] eine weitere Anpassung der Norm an, mit der – entsprechend dem Vorschlag der Neuen Richter*innenvereinigung – eine Staffelung des Entschädigungsanspruchs nach der Dauer der Freiheitsentziehung eingeführt werden sollte.[3] Der überzeugende[4] Gesetzesentwurf griff einen weiteren in der Sachverständigenanhörung am 23.03.2020 thematisierten Problempunkt auf: Die Anrechnung von Kost und Logis.[5] Die Öffentlichkeit stieß auf diese Frage kürzlich im Fall Genditzki,[6] welcher nach 13 Jahren Haft nach einer erfolgreichen Wiederaufnahme in Freiheit entlassen wurde. Für die Haftzeit sollten ihm 50.000,00 EUR auf die Strafverfolgungsentschädigung angerechnet werden, wogegen schließlich sogar der Rechtsausschuss des Landtags votierte – ohne dass das Justizministerium hieran gebunden wäre.[7] Dieses beruft sich auf die bisher geltende Rechtslage: Hiernach findet ein Vorteilsausgleich für Unterkunfts- und Verpflegungskosten sowie ersparte Betriebskosten von Fahrzeugen[8] mit dem materiellen Schadensersatzanspruch, mangels Kongruenz nicht aber dem Anspruch auf Ersatz von Verteidigerkosten[9] und Entschädigungsansprüchen,[10] statt.[11] Dieser wird bei Vollzug ohne Lockerungen mit ¾ des täglichen Haftkostensatzes bemessen.[12]
De lege lata müssen (vor Inhaftierung arbeitstätige) Inhaftierte also für „Kost und Logis“ zahlen. Nach dem rechtspolitischen Sprecher der Grünen-Fraktion des bayerischen Landtags „wäre [das] einfach nur zynisch“.[13] Und damit hat er Recht: Wer auf freien Fuß gesetzt wird, weil der Staat zuvor zwar rechtmäßig,[14] aber materiell-objektiv unbegründet dessen Freiheit entzogen hat, hat keine Aufwendungen erspart, vielmehr wurde ihm (Lebensgestaltungs-)Freiheit entzogen. Das lässt sich schon an einer einfachen Kontrollüberlegung festmachen: Hätte sich die Person aussuchen können, ob sie ins Gefängnis geht und dort verpflegt wird oder sich weiter an ihrem Wohnort aufhält, wird sie nahezu ausnahmslos[15] die Freiheit wählen – auch wenn damit Kosten einhergehen. Will man also eine zivilrechtliche Parallele ziehen, so trifft weniger diejenige der ersparten Aufwendungen, sondern die der aufgedrängten Bereicherung. Diese ist richtigerweise nicht ersatzpflichtig.[16]
De lege ferenda gilt es deshalb, die Vorteilsanrechnung auszuschließen und die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen an die realen Folgen für die Lebensführung anzupassen. Die Neue Richter*innenvereinigung spricht sich deshalb für eine Wiederaufnahme des durch Diskontinuität beendeten Gesetzgebungsverfahrens der 20. Legislaturperiode aus und fordert die Umsetzung des Entwurfs der letzten Bundesregierung.
StA Dr. Simon Pschorr
Sprecher der Fachgruppe Strafrecht der NRV
[1] Siehe dazu die Stellungnahme im Gesetzgebungsverfahren https://www.neuerichter.de/wp-content/uploads/2024/02/2020_02_23_FG_StrafR_NRV_Stellungnahme_StrEG.pdf.
[2] https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/2022_Reform_StrERG.html.
[3] BT-Drs. 20/14502, S. 17.
[4] A.A. BR-Drs. 556/24.
[5] BT-Drs. 20/14502, S. 18.
[6] Bauerkamp/Weber, NStZ 2025, 205; https://www.sueddeutsche.de/bayern/bayern-genditzki-justizopfer-100-000-euro-lux.Kepr64fB6b9ySApRifXRSZ?reduced=true.
[7] https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/landtag-bayern-genditzki-badenwannenmord-justizopfer-kost-und-logi.
[8] MüKo StPO/Kunz/Grommes § 7 StrEG Rn. 94.
[9] OLG Düsseldorf NJW 2006, 2336; LG Frankfurt NStZ 1985, 30, 31; LG Flensburg NStZ-RR 1997, 190; MüKo StPO/Kunz/Grommes § 7 StrEG Rn. 93; Baukelmann, NStZ 1985, 30, 32.
[10] BeckOK StPO/Cornelius § 7 StrEG Rn. 1.1; MüKo StPO/Kunz/Grommes § 7 StrEG Rn. 92; Baukelmann, NStZ 1985, 30, 32.
[11] BGH BeckRS 1987, 30398674; Baukelmann, NStZ 1985, 30, 31; a.A. nur Bauerkamp/Weber, NStZ 2025, 205, 208.
[12] MüKo StPO/Kunz/Grommes § 7 StrEG Rn. 90; Bauerkamp/Weber, NStZ 2025, 205.
[13] https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/landtag-bayern-genditzki-badenwannenmord-justizopfer-kost-und-logi.
[14] MüKo StPO/Kunz/Grommes § 7 StrEG Rn. 90.
[15] Verkannt wird nicht, dass insbesondere obdachlose Personen zeitweilig den Ausweg der Inhaftierung suchen – das hiermit verbundene systemische Problem zeigt aber umso deutlicher, dass nur derjenige die Inhaftierung vorzieht, der sonst den Elementen unbarmherzig ausgeliefert ist.
[16] MüKo BGB/Schwab § 818 Rn. 222 ff.

