Justiz in der Steinzeit – raus aus der analogen Welt!
Offener Brief an den Minister für Justiz NRW
Justiz in der Steinzeit – raus aus der analogen Welt!
Sehr geehrter Herr Minister,
die Arbeitswelt erlebt derzeit einen regelrechten Digitalisierungsschub und binnen Tagen wurden überall für Mitarbeiter*innen Home-Office-Arbeitsplätze eingerichtet. Die Justiz ist jedoch noch immer in der analogen Arbeitswelt verhaftet.
Nur wenige Richter*innen verfügen über den notwendigen VPN Zugang zum Landesintranet sowie über die erforderlichen mobilen Endgeräte. Für die übrigen Kolleg*innen beschränkt sich das Home Office auf die Lektüre von Papierakten und das Durchsuchen von juristischen Datenbanken. Eine Förderung von Verfahren mit Hilfe von Judica/ TSJ ist jedoch nicht möglich. Ebenso wenig ist es möglich, Mails am heimischen Rechner zu lesen und zu bearbeiten, weil eine Weiterleitung nicht zulässig ist. Auch hierfür ist der Gang ins Gericht notwendig. Derweil tritt die Einführung der elektronischen Akte auf der Stelle, weil die nötigen technischen und personellen Voraussetzungen für eine funktionierende und effektive Anwendung weiter nicht ausreichend sicher gestellt sind. Aktuell können hierzu coronabedingt nicht einmal die notwendigen Fortbildungen durchgeführt werden, da virtuelle Schulungsangebote fehlen. Auch wird der Fortbildungsbetrieb in der JAK nur eingeschränkt wieder aufgenommen, weil es derzeit – anders als bei der Referendarausbildung – offenbar nicht möglich ist, Unterricht per Webinars durchzuführen. Wichtige Ausschusssitzungen und Besprechungen werden wegen der Kontakt- und Abstandsgebote ersatzlos gestrichen. So etwa die gerade derzeit besonders wichtigen Sitzungen der Richtervertretungen, z.B. die der Hauptrichterräte mit dem Ministerium der Justiz. Hier wäre eine Videokonferenz eine praktikable Alternative!
Die hierfür fehlenden technischen Möglichkeiten erweisen sich gerade jetzt in der Corona – Pandemie als äußerst misslich. Aus unserer Sicht ist es daher dringend erforderlich, dass zügig die notwendige Soft- und Hardware für die Justiz angeschafft wird, um ein modernes, nicht gesundheitsgefährdendes Arbeiten zu ermöglichen.
Das bedeutet auch alle Gerichte, die den entsprechenden Bedarf haben, zeitnah mit einer praxisgerechten Videokonferenztechnik auszustatten, die auch eine Zuschaltung außerhalb des Justiznetzes gestattet. Damit würde z.B. den Richter*innen im Zivilbereich die Möglichkeit gegeben, gemäß § 128 a ZPO zu verhandeln. Hierzu bedarf es einer niederschwelligen Einbindung der Rechtsanwält*innen, der Behörden und sonstigen Beteiligten an den Verfahren. Beim Landgericht Düsseldorf ist für die Rechtsanwaltschaft Voraussetzung zur Teilnahme die Anschaffung einer kostenintensiven Software, was viele zu Recht scheuen. Es ist nicht einsichtig, dass dieses Erfordernis an Kostengesichtspunkten scheitern sollte, weil die Verwendung von Videotechnik in vielen Verfahrensarten die Arbeit erleichtern kann, die Akzeptanz der Justiz erhöht und jegliches Gesundheitsrisiko ausschließt. Die Länder Niedersachen und Hessen beispielsweise statten die Richterschaft mit Skype For Business – Lizenzen aus, so dass das LSG Darmstadt bereits seit Mai 2020 Güteverhandlungen mittels Videotechnik durchführt. Das Land Baden Württemberg nutzt hierfür die Software von Webex.
Es ist für eine moderne Justiz unerlässlich, jetzt für alle Richter*innen VPN Zugänge mit mobilen Endgeräten anzuschaffen und die entsprechenden Serverkapazitäten grundlegend auszuweiten. Benötigte Software für datensichere Video- und Telefonkonferenzen muss zur Verfügung gestellt und entsprechende Videokonferenztechnik in den Gerichten installiert werden. Dieses Erfordernis besteht schon von Gesetzes wegen und wird nicht erst durch entsprechende Anträge der Verfahrensbeteiligten begründet. Es ist auch Ausfluss der richterlichen Unabhängigkeit, zwischen verschiedenen Arten, Verfahren zu führen, wählen zu können. Dies setzt jedoch voraus, dass die Justiz diese Möglichkeiten auch anbietet.
Spätestens die Corona-Pandemie hat uns gezeigt, wie schnell die Justiz an ihre Grenzen stößt, wenn der Sprung in die digitale Welt nicht endlich mit umfassender personeller und technischer Ausstattung vorangetrieben wird.
Als unverzichtbar nächste Schritte hierzu fordern wir ausreichende und belastbare VPN Zugänge, Laptops inklusive Webcams und praktikable Videotechnik für die Richter*innen in NRW!
Mit freundlichen Grüßen,
Stefanie Roggatz
(für den Sprecherrat der NRV)