NRV unterstützt Referentenentwurf zur Veröffentlichung gerichtlicher Geschäftsverteilungspläne
Stellungnahme zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz für ein Fünftes Gesetz zur Änderung des Deutschen Richtergesetzes
Wir bedanken uns für die Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem oben bezeichneten Referentenentwurf.
Zu 1. Der Bundesvorstand der Neuen Richtervereinigung begrüßt grundsätzlich die beabsichtigte Änderung des § 21e Abs. 9 GVG (a.). Lediglich in rechtstechnischer Hinsicht möchten wir einen Verbesserungsvorschlag unterbreiten (b.).
a. Durch eine Änderung des § 21e Absatz 9 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) soll die Veröffentlichung der jeweils aktuellen Geschäftsverteilung hinsichtlich der Zugehörigkeit der hauptberuflichen Richterinnen und Richter zu den einzelnen Spruchkörpern im Internet bundeseinheitlich verpflichtend gemacht werden. Dieses Vorhaben unterstützen wir.
Die online-basierte Veröffentlichung von Organigrammen unter Nennung von Zuständigkeiten ist in der öffentlichen Verwaltung heutzutage eine Selbstverständlichkeit. Der deutschen Justiz hingegen fällt es schwer, hierzu auch nur eine gemeinsame Linie zu entwickeln: in einigen Bundesländern (etwa Nordrhein-Westfalen oder Schleswig-Holstein) werden die Geschäftsverteilungspläne bereits online zur Verfügung gestellt – sei es freiwillig oder aufgrund jüngerer Erlasslage (vgl. etwa den Erlass des Ministeriums für Justiz und Gesundheit des Landes Schleswig-Holstein vom 7. Februar 2023). In den meisten Bundesländern hingegen findet sich keine einheitliche Praxis. Einige Gerichte veröffentlichen dort ihre Geschäftsverteilungspläne aus eigener Initiative, andere stellen online keine Informationen zur Verfügung oder – ein Mittelweg – verweisen darauf, dass Geschäftsverteilungspläne auf Anfrage übersandt würden.
Diese digitalen Leerstellen in der deutschen justiziellen Öffentlichkeitsarbeit sind nicht zeitgemäß. Zu Recht fordert die Gesellschaft von Verwaltung und Justiz Transparenz in ihrem Handeln. Der bis dato gesetzlich als Regelfall vorgehaltene Weg der „Einsichtnahme auf der Geschäftsstelle“ ist ganz offensichtlich antiquiert und erzeugt – zu Unrecht und zum Schaden der Justiz – das Bild eines aus der Zeit gefallenen Justizapparates, der sich jeglichen Ansätzen legitimer demokratischer Kontrolle ihres Handelns nach Kräften zu entziehen versucht. Hier niedrigschwellige Informationsmöglichkeiten anzubieten liegt sowohl im legitimen Interesse der Öffentlichkeit als auch im Interesse der Gerichte selbst: „Offene Herangehensweisen können sowohl der Verwaltung helfen, bessere Leistungen im Sinne der Bürgerinnen und Bürger zu erbringen (…). Offenheit kann Vertrauen in Institutionen und Prozesse stärken [und] Teilhabe ermöglichen“ (Erster Nationaler Aktionsplan Open Government).
Zudem gehört die einfache Abrufbarkeit auch zum Service, den die Rechtsuchenden – insbesondere die Anwaltschaft – von der Justiz im 21. Jahrhundert selbstverständlich erwarten dürfen. Das Prinzip des gesetzlichen Richters wird in der Rechtsprechung gerade in Deutschland (zu Recht) sehr hoch gehalten. Dessen fundamentale rechtstaatliche Bedeutung wird dabei u.a. auch damit begründet, dass es „das Vertrauen der Rechtsuchenden und der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit der Gerichte schützen“ soll.[1] Dieses Vertrauen wird aber nicht gefördert, wenn für Rechtsuchende, Anwaltschaft und Öffentlichkeit, welche sich aus welchen Gründen auch immer ein Bild über die Gerichtsbesetzung machen wollen, unzeitgemäße Hürden bei der Einsichtnahme in die vollständigen Geschäftsverteilungspläne errichtet werden.
Hinzukommt, dass durch die Veröffentlichung der Geschäftsverteilungspläne das Selbstverständnis der Justiz als dritter Staatsgewalt deutlich besser – nach Innen und nach Außen – transportiert werden kann als durch die derzeitige Praxis. Nach Art. 92 GG ist die Rechtsprechung eben nicht einer anonymen Institution oder gar einer Behördenleitung zugewiesen, sondern einzelnen Personen, nämlich „den Richtern“ anvertraut. Richter*innen sind nach der Vorstellung unserer Verfassung nicht bloße Glieder einer anonymen Organisation (nicht bloß „Organwalter“)[2], sondern selbst und persönlich verfassungsunmittelbare Organe, die das Grundgesetz als konkrete Personen mit der Wahrnehmung der Aufgaben der dritten Staatsgewalt betraut hat.[3] Justiz ist damit von ihrer Grundkonzeption her – anders als Behörden – personenzentriert, und dies sollte auch in unserer Außendarstellung zum Ausdruck kommen. Als Richter*innen sprechen wir Recht „im Namen des Volkes“ und üben dabei als individuelle Person „zentrale Aufgaben innerhalb der rechtsstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes“[4] aus. In dieser Hinsicht ist es nur konsequent, dass Richter*innen als Träger eines derartig für sich stehenden öffentlichen Amtes auch sichtbar hierfür einstehen.
Erwähnung finden darf im Übrigen auch, dass die derzeitige Rechtslage überflüssige personelle Ressourcen bindet. Gerichtsinterne Diskussionen über den richtigen Umgang mit dem Thema der Veröffentlichung der Geschäftsverteilungspläne beschäftigen immer wieder Gerichtsverwaltungen – die hierzu etwa umfangreichere datenschutzrechtliche Vermerke zu verfassen gehalten sind[5] -, Mitbestimmungsgremien verschiedener Ebenen bis hin zu Verwaltungsgerichten[6]. Diese wenig fruchtbaren Diskussionen durch eine zeitgemäße Gesetzesfassung zu vermeiden, kann nur im Interesse der Justiz sein.
Soweit gegen die Veröffentlichung von Geschäftsverteilungsplänen vorgebracht wird, hierdurch würden Möglichkeiten eröffnet, die in Rechtsprechungsdatenbanken veröffentlichten Gerichtsentscheidungen unter Einsatz von künstlicher Intelligenz personenbezogen auszuwerten und hierdurch das Profiling bzw. Scoring von Richter*innen erleichtert, folgt der Bundesvorstand der Neuen Richtervereinigung dem nicht. Zum einen bestehen technische Möglichkeiten, das massenhafte und automatisierte Crawling von Dateien – hier Geschäftsverteilungsplänen – zu verhindern, etwa durch entsprechende Indexierung, die auch in einzelnen Bundesländern bereits eingesetzt wird. Zudem darf darauf hingewiesen werden – ohne dieses Thema hier abschließend behandeln zu wollen -, dass die spruchkörperbezogene Auswertung gerichtlicher Entscheidungen auch Aspekte legitimer demokratischer Kontrolle hoheitlicher Tätigkeit enthalten kann. So wie es in einem demokratischen Rechtsstaat möglich sein muss, das Handeln von Angehörigen der Exekutive kritisch zu beleuchten, so kann es auch berechtigte Gründe dafür geben, die Entscheidungspraxis einzelner Kammern kritisch zu hinterfragen. Es steht einer selbstbewusst und im obigen Sinne als dritter Staatsgewalt unabhängig agierender Richterschaft nicht gut zu Gesicht, derartige Ansätze legitimer Kontrolle dadurch zu behindern, dass sie im Unterschied insbesondere zu Behörden ihre Geschäftsverteilungspläne hinter nicht mehr zeitgemäßen Zugangshürden verbirgt.
Zuletzt erfordert auch der Schutz der Entscheider*innen vor Anfeindungen im Internet nicht, dass von einer Veröffentlichung der Geschäftsverteilungspläne abgesehen wird. In jenen Verfahren, die Gegenstand der öffentlichen Debatte werden (insb. Strafverfahren), gelangen die Namen der Richter*innen ohnehin bereits durch die Presseberichterstattung aus der mündlichen Verhandlung heraus in die Öffentlichkeit. Die Problematik von Angriffen auf Richter*innen im Netz im Nachgang zu Entscheidungen stellt sich entsprechend auch bisher in allen Bundesländern und völlig unabhängig davon, ob dort Geschäftsverteilungspläne veröffentlicht sind oder nicht. Entsprechend zeigt auch die Erfahrung in jenen Bundesländern und bei jenen Gerichten, in denen schon jetzt die Geschäftsverteilungspläne veröffentlicht werden, dass es zu keinerlei wahrnehmbaren Änderung der ohnehin bestehenden Problemlage gekommen ist. Vielmehr gilt auch hier wie oben: Eine selbstbewusste Justiz sollte sich den bestehenden Herausforderungen von Desinformation und Hass im Netz durch aktive, zeitgemäße und vertrauensbildende Öffentlichkeitsarbeit stellen – nicht hingegen durch eine der eigenen Rolle in der Gesellschaft nicht angebrachte Flucht in die Anonymität.
b. In rechtstechnischer Hinsicht muss bedacht werden, dass Geschäftsverteilungspläne unterjährig im Rahmen des § 21e GVG immer wieder geändert werden (müssen). Die Gründe werden in den Protokollen der Präsidiumssitzungen oder den (Umlauf-) Beschlüssen niedergelegt. In der Regel werden die derart beschlossenen Änderungen sodann in eine konsolidierte Fassung des Jahres-Geschäftsverteilungsplanes eingefügt.
Diese Situation ist in dem Gesetzentwurf derzeit nicht eindeutig abgebildet, was zu Auslegungsschwierigkeiten führen dürfte. Satz 1 der Neufassung legt nahe, dass auf den Homepages künftig die vorgenannten jeweils aktuellen konsolidierten Fassungen zu veröffentlichen sind – nicht hingegen die Vorfassungen oder die – regelmäßig in Protokollen enthaltenen – Änderungsbeschlüsse selbst. Satz 2 der Neufassung scheint hingegen – konträr hierzu – davon auszugehen, dass (auch?) die Änderungsbeschlüsse und ihre Gründe – zu veröffentlichen sind, wobei dann im Einzelfall von der Veröffentlichung der Gründe abgesehen werden kann.
Vor diesem Hintergrund sollte klargestellt werden, welche Dokumente nach dem Willen des Gesetzgebers auf den Homepages zu veröffentlichen sind.
Sinnvoll erscheint aus unserer Sicht, dass jeweils die konsolidierten, aktuell gültigen Fassungen veröffentlicht werden, um es den Interessierten nicht zuzumuten, den aktuellen Stand des Geschäftsverteilungsplanes aus dem Ausgangsplan und den nachfolgenden Beschlüssen mühsam zu rekonstruieren. Zudem bietet sich eine Regelung dahingehend an, etwa in einem Archiv auf der Homepage, den zu Beginn des Jahres festgelegten (Jahres-) Geschäftsverteilungsplan und alle unterjährig nachfolgenden konsolidierten Fassungen zu veröffentlichen, in denen die Änderungen kenntlich gemacht wurden.
Die Änderungsbeschlüsse selbst und ihre Gründe müssten aus unsere Sicht nicht auf den Homepages veröffentlicht werden. Diese enthalten persönliche Daten (Arbeitszeitveränderungen, Elternzeiten, Krankheiten, dienstliche Maßnahmen etc.), bei denen sehr oft ein schützenswertes Interesse der Richter*innen besteht, diese jedenfalls nicht über die Homepages der Gerichte zu veröffentlichen. Eine klare Regelung dazu würde die Gerichtsverwaltungen von der Notwendigkeit befreien, in jedem Einzelfall eine Abwägungsentscheidung treffen zu müssen, die auch streitig werden kann.
Uns ist dabei bewusst, dass damit die Bedürfnisse der Anwaltschaft, die etwa die ordnungsgemäße Besetzung eines Spruchkörpers prüfen möchte – wie es insbesondere in Strafsachen häufig vorkommt – nicht voll erfüllt werden. Aus Sicht der Anwaltschaft besteht nachvollziehbar ein Interesse an der Prüfung, ob Änderungsbeschlüsse den Anforderungen des § 21e GVG gerecht werden – ohne hierfür zu Gericht fahren zu müssen. Allerdings dürfte dieses sehr spezifische Interesse nicht für eine vollständige Veröffentlichung ausreichen. Denn insoweit könnte es andere Lösungen geben, etwa die Möglichkeit, auf Anfrage Änderungsbeschlüsse zu übersenden, wenn sich ergibt, dass die Besetzung eines Spruchkörpers in einem bestimmten Fall gegenüber dem Jahresgeschäftsverteilungsplan geändert wurde.
Eine entsprechende Fassung könnte lauten:
„Der jeweils gültige Geschäftsverteilungsplan des Gerichts sowie dessen unterjährige Änderungen sind in der von dem Präsidenten oder aufsichtführenden Richter bestimmten Geschäftsstelle des Gerichts zur Einsichtnahme aufzulegen und in Form konsolidierter Fassungen, in denen die Änderungen kenntlich gemacht wurden, auf der Internetseite des Gerichts zu veröffentlichen. Bei einem besonderen rechtlichen Interesse sind die Änderungsbeschlüsse und ihre Gründe auf Antrag mitzuteilen.“
- Im Hinblick auf die in Erwägung gezogene Neufassung des § 32 GVG bestehen hier keine Bedenken. Die Vorschläge erscheinen sachgerecht.
Für den Bundesvorstand
VRiLG Dr. Marc Petit
[1] BVerfG Urteil vom 20.3.1956 – 1 BvR 479/55 -, BeckRS 9998, 121046.
[2] BVerwG, Urteil vom 24. September 1992 – 2 WD 13/91 -, BVerwGE 93, 287 ff., Juris.
[3] Sachs/Detterbeck, 9. Aufl. 2021, GG Art. 92 Rn. 24.
[4] BVerfG, Urteil vom 5.5.2015 – 2 BvL 17/09 ua – , NJW 2015, 1935.
[5] Vgl. hierzu etwa Labusga/Petit, NJW 2022, 300 ff.
[6] VG Kassel, Urteil vom 06.12.2023 – 1 K 503/22.KS -, BeckRS 2023, 43237.