Frauen an die Bundesgerichte
An die Mitglieder des Richterwahlausschusses
des Deutschen Bundestages
Justizminister/innen der Länder
Bundesministerin der Justiz
Bundesministerin für Arbeit und Soziales
Anstehende Wahlen neuer Bundesrichterinnen und -richter
Sehr geehrte Damen und Herren,
das Ergebnis der letzten Bundesrichterwahl von März d.J. gibt uns Anlass, noch einmal auf die letztjährige, von uns unterstützte Kampagne des Deutschen Juristinnenbundes (djb) „Frauen in die roten Roben“ und auf unser Schreiben vom 11. November 2011 zurückzukommen. Ohne die aufgeführten Argumente wiederholen zu wollen, möchten wir für die nun anstehende neue Kampagne noch einmal daran erinnern, dass es in der Richterschaft der Bundesgerichte deutlich zu wenige Frauen gibt und dass auch der Richterwahlausschuss rechtlich gehalten ist, hier für ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis zu sorgen.
Bekanntermaßen und nach wie vor liegt der Frauenanteil unter den RichterInnen an den Bundesgerichten durchgehend unter 30 %. Dennoch fanden sich unter den im März 2011 gewählten 18 BundesrichterInnen nur drei Frauen (16,6 %); im März 2012 wurden auf 17 Stellen fünf Frauen gewählt (nahezu 30 %). Dies hätte als positives Signal gedeutet werden können, doch trübt sich das Bild schnell, sobald man den Blick insbesondere auf den BGH richtet. Ausgerechnet am größten der fünf obersten Gerichte finden wir den niedrigsten Frauenanteil von nur 21 %; ausgerechnet hier kamen die Frauen bei der letzten Wahl wieder extrem zu kurz, denn unter den zwölf zum BGH gewählten RichterInnen waren nur zwei Frauen (16,6 %). Dabei hätte gerade hier die Möglichkeit bestanden, für ein wirklich positives Signal zu sorgen, lag doch der Frauenanteil unter den Vorschlägen immerhin bei 13 von 39 und war damit doppelt so hoch wie der Anteil der dann tatsächlich Gewählten. Auffällig ist in diesem Zusammenhang auch, dass alle 13 Frauen von SPD und Grünen präsentiert worden sein sollen, während die CDU als stärkste Fraktion des Bundestages in diesem Durchgang insgesamt keine einzige Frau vorgeschlagen haben soll.
Uns ist klar, dass sich eine gleichberechtigte Quote nicht von heute auf morgen herstellen lässt. In Anbetracht der aufgeführten Befunde fällt es allerdings auch schwer, sich mit der Beteuerung des guten Willens einerseits und mit einem Verweis auf das Fehlen qualifizierter Frauen andererseits zufrieden zu geben. Eher stellen sich Zweifel ein, ob sich die Einsicht in die gesellschaftliche, politische und nicht zuletzt rechtliche Notwendigkeit einer paritätischen Besetzung der höchsten Rechtsprechungsorgane im Richterwahlausschuss tatsächlich durchgesetzt hat und ob bei den beteiligten Akteuren in Bund und Ländern tatsächlich der Wille besteht, auch die Rahmenbedingungen entsprechend zu gestalten. Genährt werden diese Zweifel nicht zuletzt durch eine Meldung der SZ vom 30. März 2012, wonach aus dem Kreis des Richterwahlausschusses die Einschätzung bekannt geworden sei, dass Richterinnen bei den Wahlen nach wie vor zu kurz kämen und diese insbesondere bei der Kandidaten-Auswahl immer noch auffallend schlechter benotet würden als ihre Kollegen.
Die Neue Richtervereinigung möchte Sie deshalb auch in diesem Jahr daran erinnern und auffordern,
- sich verstärkt um geeignete weibliche Kandidaten zu bemühen und deren Anteil auf den Vorschlagslisten zu erhöhen und
- bei der Richterwahl den Gleichstellungsgrundsatz zu berücksichtigen, wonach Frauen bei Vorliegen von gleicher Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung (Qualifikation) bevorzugt zu berücksichtigen sind.
Darüber hinaus würden wir mit Ihnen gern in die Diskussion über langfristig wirkende Strategien zur Erhöhung des Anteils gewählter Richterinnen und zur Modernisierung und Attraktivierung des Richterwahlverfahrens eintreten. Vielleicht ist es an der Zeit, auch in der Justiz die Diskussion über eine gesetzliche Frauenquote zu eröffnen – nicht als Allheilmittel gedacht, aber als wichtiger (Zwischen-)Schritt hin zu gleicher Teilhabe und nur solange, bis eine gleichberechtigte Repräsentation der Geschlechter eine Selbstverständlichkeit geworden ist. Diese Überlegung ließe sich mit der von den Berufsverbänden der Justiz seit Jahren geforderten Reform des Wahlverfahrens, insbesondere des Richterwahlgesetzes aus dem Jahre 1950, verbinden. Sich diesem antiquierten, intransparenten Verfahren zu stellen, ist für die interessierten Kolleginnen und Kollegen eine Zumutung ganz eigener Art, die Männer im Übrigen vielleicht auch eher bereit sind in Kauf zu nehmen als Frauen.
Mit freundlichen Grüßen
Christine Nordmann
Sprecherin des Bundesvorstandes der Neuen Richtervereinigung