Bleibt die Änderung des bremischen Richterrechts hängen?

15. Oktober 2012| LV Bremen

Anlass der Diskussion

Da Bremen ein Haushaltsnotlageland ist, wird allenthalben aufgrund der Sparauflagen der Finanzsenatorin auch im Bereich des Senators für Justiz und Verfassung nach Einsparmöglichkeiten gesucht. Dabei muss man wissen, dass diese Behörde nicht vollständig sich auf Rechtspolitik und Rechtsanwendung konzentriert; sondern sowohl der Senator (= Minister), als auch der Staatsrat (=Staatssekretär) sind eigentlich im Hauptamt Senator für Wirtschaft, Arbeit und Häfen bzw. dort Staatsrat und leiten sozusagen nebenbei die Dienststelle des Justizsenators. Politisch bestand zunächst der Plan, innerhalb der Justiz insgesamt 1247 Stellen wegfallen zu lassen. Aufgrund erheblicher Widerstände aus dem Bereich der Politik, der Verbände und Gewerkschaften und schließlich durch den versammelten Protest der Chefpräsidenten und der Generalstaatsanwältin (s. verdikt 2.11 S. 20) wurde dieser Einsparplan relativiert und beschlossen, mögliche Einsparungen bezogen auf einzelne Dienststellen und Gerichte konkreter zu fassen. Der gegenwärtige Stand dieser Einsparbemühungen ist noch nicht klar erkennbar, wird aber aller Voraussicht nach zu deutlich weniger Stelleneinsparungen führen.

Eines der Mittel, das der Senator in dieser Spardiskussion eingesetzt hat, ist der Bericht zur Belastung der Bremischen Justiz vom 06. Januar 2012, in dem – bezogen auf die verschiedenen Gerichtsbarkeiten – Eingänge, Erledigungen, Laufzeiten in Bremen im Durchschnitt jeweils im Vergleich zum Bundesdurchschnitt dargestellt werden. Danach kommt die ordentliche Gerichtsbarkeit in Bremen mit der bestehenden personellen Ausstattung „gerade“ aus. Die bremischen Gerichte und Dienststellen würden im Leistungsvergleich mit anderen Bundesländern ganz überwiegend leicht oberhalb des Bundesdurchschnitts liegen. Lediglich in einzelnen Bereichen, wie etwa in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, wo bis einschließlich 2008 (ausnahmsweise) die Zuständigkeit für Verfahren nach dem SGB II (= Hartz IV) lag, und der Sozialgerichtsbarkeit, die vorher schon relativ schlecht personell aufgestellt war, wurden stärkere Belastungen gesehen; gleiches gilt für den Justizvollzug, für den eine angespannte Personalsituation konstatiert wurde. Diese Diskussion wurde insgesamt gefördert durch einen Vorstoß der CDU, die in einer kleinen Anfrage vom 29. November 2011 die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege in Bremen und Bremerhaven gefährdet sah.

Weiter muss man wissen, dass in dem kleinen Bundesland Bremen nur einige wenige „beherrschende Gestalten“ die Personalentscheidungen in der Justiz steuern. In der Vergangenheit haben sich mehrfach Konkurrentenstreitigkeiten ergeben, in denen die unterlegenen Bewerber gegen die Auswahlentscheidung des Senators vor dem Verwaltungsgericht im Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes erfolgreich vorgehen konnten. Die Stelle des leitenden Oberstaatsanwalts war seit über einem Jahr nicht besetzt, ebenso die Stelle eines Vorsitzenden beim Oberlandesgericht und verschiedene andere Stellen. Auch Kreise innerhalb der größten Fraktion in der Bürgerschaft – also der SPD – kritisierten verschiedentlich Personalentscheidungen. Das führte zur Initiative einiger Mitglieder der SPD-Fraktion, das Bremische Richtergesetz mit dem Ziel zu ändern, die Einflussmöglichkeiten des Richterwahlausschusses deutlich auszuweiten.

Gegenwärtiger Rechtstand

Schon nach dem aktuellen Richtergesetz besteht ein Richterwahlausschuss in der Besetzung 5 Abgeordnete, 3 Senatoren und 3 von der Richterschaft gewählte Richter. Zuständig ist er jedoch nur bei der Wahl von Richtern auf Lebenszeit. Außerdem zieht dieser Richterwahlausschuss beratend einen (vom Vorstand der Rechtsanwaltskammer benannten) Rechtsanwalt, die Chefpräsidenten der jeweiligen Gerichtszweige sowie in der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit je einen Vertreter von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite hinzu. Meist fallen die Entscheidungen in diesem Gremium ohne lange Debatte, jedoch mit großer zeitlicher Verzögerung, weil die viel beschäftigten Herrschaften eine schnelle Terminabstimmung nicht schaffen und den Ausschuss als unbedeutend ansehen – was ja auch stimmt.

Plan einiger SPD-Mitglieder

Der erste Rohentwurf aus Abgeordnetenkreisen wollte die Zuständigkeit des leicht veränderten Richterwahlausschusses (fünf Abgeordnete, zwei gewählte Richter und ein Rechtsanwalt) erweitern und ihm die Entscheidungen über Einstellung, Anstellung, Beförderung und insbesondere Ernennung von Chefpräsidenten zuweisen. Dieser Vorschlag war zum einen davon geprägt, nicht mehr die drei Senatoren im Richterwahlausschuss zu haben, weil diese sehr oft aufgrund ihrer Dienstgeschäfte verhindert waren; zum anderen stand dahinter, die Ernennungspraxis des Justizsenators insbesondere bei Beförderungen zu beeinflussen.

Dieser Vorschlag stieß sofort auf erheblichen Widerstand bei den Chefpräsidenten, wobei allerdings im Vordergrund der Kritik stand, dass der Richterwahlausschuss auch bei der Einstellung tätig werden sollte. Es wurde insbesondere beklagt, dass er schon aus Zeitgründen viel zu schwerfällig sei, um jungen Richterinnen und Richtern hinsichtlich der Einstellung zeitnah eine Zusage geben zu können, so dass die Gefahr bestünde, gute Kandidaten würden wegen einer von dort gegebenen schnellen Zusage ins niedersächsische Umland abwandern. Gegenwärtig besteht in Bremen aufgrund einer Allgemeinverfügung des Justizsenators die Verwaltungsübung, einzustellende Richter (nach einem Vorgespräch mit dem Personalreferenten des Justizsenators) einem sogenannten Beteiligungsausschuss vorzustellen, in dem die Abteilungsleiterin für Personalsachen des Justizsenators den Vorsitz führt und bei dem der jeweilige Chefpräsident und der Behördenleiter der ins Auge gefassten Anstellungsbehörde, die Frauenbeauftragte, der Schwerbehindertenbeauftragte und ein Mitglied des Richterrates beteiligt sind, die am Ende der Anhörung eine Empfehlung abgeben, welche für den Justizsenator aber nicht bindend ist.

Die Reaktion der Richterverbände

Die mitgliederstärkste Gruppe der Richtervertretungen, der Verein Bremischer Richter und Staatsanwälte, mit einem Organisationsgrad von etwa 40 v. H.(?) und deren Leitung der Präsidentin des Landgerichts obliegt (sic!) haben sich grundsätzlich sehr für diesen Vorschlag ausgesprochen, weil da und dort die bisherige Beförderungspraxis des Justizsenators kritisch gesehen wurde. Zugleich sieht der Verein in dem Vorstoß die Möglichkeit, eigene Vorstellungen über die Selbstverwaltung der Justiz zu befördern. Allerdings wurde vom Verein von Anfang an darauf gedrungen, dass die bisherige Praxis des Beteiligungsausschusses fortgeführt werden und damit der Richterwahlausschuss nicht für die Einstellung zuständig werden sollte. Die beteiligten Chefpräsidenten haben sich wohl durchgehend für die Beibehaltung des bisherigen Rechtszustandes ausgesprochen. Die Vereinigung der bremischen Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichter, die nicht Mitglied im DRB, sondern im BDVR sind, standen aus verfassungsrechtlichen Gründen einer Stärkung des Richterwahlausschusses von Anfang an skeptisch gegenüber.

Die örtliche ver.di-Gruppe zeigte sich in ihrer internen Meinungsbildung geteilt: Sehr viele Mitglieder sprachen sich für die Beibehaltung des bisherigen Rechtszustandes aus, auch wenn die gewählten Sprecher der Gruppe und frühere Sprecher deutlich darauf hinwiesen, dass schon vor über 10 Jahren eine Ausweitung der Rechte des Richterwahlausschusses von der Gruppe gefordert worden war (s. verdikt 2.02 S.11). . Vor diesem Hintergrund kamen die Vertreter der genannten drei Richterorganisationen und der NRV (welche in Bremen nur sehr wenige Mitglieder hat) überein, zunächst eine gemeinsame Arbeitsgruppe zu bilden, um den Versuch zu unternehmen, eine eigene Stellungnahme aller vier Richterverbände den Parteien in der Bürgerschaft vorzulegen, weil so die größten Realisierungschancen gesehen wurden. Die Arbeitsgruppe tagte im Laufe des Jahres häufig; ihre Arbeitsweise war davon geprägt, dass sehr unterschiedliche Vorstellungen bei ihren einzelnen Mitgliedern zusammengeführt werden sollten.

Die weiteren Aussichten

Die Arbeitsgruppe hat inzwischen einen weitgehend ausformulierten Gesetzesvorschlag erarbeitet, der aber schließlich in den Mitgliederversammlungen des DRB und BDVR keine Mehrheit fand. Der Vorschlag war davon geprägt, dass die bisherige Praxis der Vorschaltung eines Beteiligungsausschusses – sozusagen als Arbeitsinstrument – gesetzlich abgesichert wird und dass im Falle der Einstellung auch eine nachträgliche Beteiligung des Richterwahlausschusses möglich sein sollte. Dem Beteiligungsausschuss sollten angehören: Ein Vertreter des Justizsenators, der jeweilige Chefpräsident, der jeweilige Gerichtsleiter, die Frauenbeauftragte, der Schwerbehindertenvertreter, ein Mitglied des Richterwahlausschusses mit beratender Stimme und – für Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit – jeweils drei Vertreter von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite. Der nachgeschaltete Richterwahlausschuss sollte zuständig sein für die (endgültige) Einstellung, Anstellung, Beförderung (wobei aus eher ideologischen Gründen eine andere Bezeichnung gewählt wurde) und die Ernennung zum Präsidenten eines obersten Landesgerichts. Er sollte aus sieben Mitgliedern der Bürgerschaft (Landtag), fünf Richtern und einem Rechtsanwalt bestehen; der Justizsenator sollte den Vorsitz – allerdings ohne Stimmrecht – führen. Die richterlichen Mitglieder sollen von der Richterschaft gewählt werden. Allerdings gab es bei verschiedenen Einzelheiten – insbesondere in der Formulierung eines Gesetzesvorschlags – noch durchaus unterschiedliche Tendenzen bei den handelnden Personen.

Zusätzlich sollte in diesem Gesetzesvorschlag der Versuch unternommen werden, die Richterräte zu stärken. Insbesondere sollte eine Beteiligung des Richterrats bei personellen Maßnahmen – vor allem bei Abordnungen und Versetzungen – erreicht werden. Daneben sollte auch der Inhalt von Ausschreibungen der Richterstellen, die Übertragung eines anderen Amtes, die Bestellung von Arbeitsgemeinschaftsleitungen, die Auswahl für eine Erprobung oder für die Übertragung von Verwaltungsaufgaben ausdrücklich der Mitbestimmung unterworfen werden.

Parallel sollte dazu eine Stärkung der Befugnisse des Präsidialrates erfolgen, in dem ausdrücklich die vorherige Beteiligung vor einer Entscheidung des Richterwahlausschusses, Veränderung der Gerichtsorganisation oder Abordnungen geregelt werden.

Ob daneben auch die Schaffung eines Staatsanwaltschaftsrates vorgeschlagen werden soll, war noch nicht geklärt. Gegenwärtig wird in Bremen die Staatsanwaltschaft nach den Regelungen des Personalvertretungsgesetzes vertreten; lediglich traditionsgemäß führt ein Staatsanwalt den Vorsitz im Personalrat.

Da bislang der Vorstoß von einigen Mitgliedern der SPD-Fraktion sich lediglich auf eine Ausweitung der Befugnisse des Richterwahlausschusses bezog, erscheint es zweifelhaft, ob Vorschläge zur Ausweitung der Befugnisse der Richterräte, des Präsidialrates oder die Schaffung eines Staatsanwaltschaftsrates tatsächlich realistisch in ein Gesetzgebungsverfahren einmünden könnten.

Das Ende?

Bei den örtlichen Verwaltungsrichtern fand der Vorschlag keine Mehrheit, weil überhaupt das Instrument eines Richterwahlausschusses als problematisch angesehen wurde; die örtlichen DRB-Mitglieder wollten sich mehrheitlich am baden-württembergischen Modell orientieren. Dies war für die Verdi-Vertreter deswegen enttäuschend, weil – unter Mühen – sich alle Arbeitsgruppenmitglieder auf den ausformulierten Vorschlag geeinigt hatten und nun DRB und BDVR ihre Leute im Regen stehen ließen. Wie es weiter gehen wird, bleibt abzuwarten. Es kann gut sein, dass die betreffenden SPD-Abgeordneten ihr Vorhaben weiter verfolgen. Doch ist jedenfalls eine Chance vertan worden, durch einen von allen örtlichen Richterverbänden unterstützten Vorschlag eine Verbesserung für den Richterwahlausschuss und die Richterräte zu erreichen. Denn eine Einigkeit der betroffenen Richter hätte im politischen Raum gewiss mehr Eindruck gemacht.

Die Debatte um Stellenstreichungen im Justizhaushalt ist nicht abgeschlossen; ihr Verlauf ist noch nicht übersehbar. Bei der Polizei und dem Justizvollzug ist gegenwärtig von der Finanzsenatorin beabsichtigt, die freie Heilfürsorge abzuschaffen.

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