Entwurf einer Beurteilungsverordnung (BeurtVO-LRiStAG)
Wir dürfen zunächst auf unsere Stellungnahme vom 16.05.2022 anlässlich der Änderung von § 5 des Landesrichter- und -staatsanwaltsgesetzes (Ihr AZ: JUMRI-JUM-2000-49/13/7) Bezug nehmen, in der zum Beurteilungswesen grundsätzliche Ausführungen gemacht und spezifische Punkte genannt wurden, die auch im Hinblick auf die geplante Beurteilungsverordnung weiter von Bedeutung sind.
Die NRV begrüßt ausdrücklich, dass das Ministerium – den Forderungen der Richterverbände folgend – die Altersgrenze von 50 Jahren für die Teilnahme an der Regelbeurteilung beibehalten will.
Ebenso begrüßen wir, dass nun die „weiteren Beurteilungsbeiträge“, die insbesondere anlässlich eines Dienststellenwechsels oder Ausscheidens des Beurteilers zu erstellen sind, dem Beurteilten unverzüglich bekannt gemacht werden müssen. Diese Regelung sollte allerdings – wie bereits von den Richterverbänden in der Stellungnahme zu § 5 Abs. 6 LRiStAG-E gefordert – auch auf alle anderen Beurteilungsbeiträge ausgedehnt werden. Die Beurteilungsbeiträge bilden weithin die (Tatsachen-) Grundlage jeder dienstlichen Beurteilung. Hier eine frühzeitige Kontrolle durch die Möglichkeit einer Kenntnis- und Stel-lungnahme des Beurteilten zu schaffen, erhöht die Richtigkeitsgewähr und Akzeptanz der späteren Beurteilung. Genau das ist die Bedeutung rechtlichen Gehörs. Zwar kann – wie im Entwurf vorgesehen – rechtliches Gehör auch nach der Entscheidung des Beurteilers gewährt werden. Dann führt ein Abänderungsbedarf aber zu einem erheblichen Aufwand für alle Beteiligten. Damit wiederum ist eine deutlich höhere Schwelle bei den Betroffenen verbunden, sich gegen fehlerhafte Beurteilungsgrundlagen zu wehren. Es ist nach wie vor nicht nachvollziehbar, warum für Richter:innen und Staatsanwält:innen im Vergleich zu den Landesbeamt:innen nachteiligere Regeln gelten sollten (vgl. Tz 12.4 der gemeinsamen Verwaltungsvorschrift aller Ministerien über die dienstliche Beurteilung der Beamtinnen und Beamten des Landes Baden-Württemberg, GABl. 2015, 178, i. d. F. v. 05.12.2019).
Bei § 25 Abs. 2 BeurtVO-E, der Beurteilerkonferenzen auch dann vorsieht, wenn es nach den Umständen des Einzelfalls geboten ist, ist aus Sicht der NRV das Beispiel („Bewerber aus mehreren Gerichtsbarkeiten“) wenig überzeugend. Man kann der Meinung sein (und es entspricht der Erfahrung der Präsidialrates), dass bereits unterschiedliche Beurteiler:innen ganz unterschiedliche Beurteilungen schreiben. Ob dem auch ein unterschiedlicher Beurteilungsmaßstab oder nur Idiosynkrasien in der Darstellung zugrunde liegen, ist oft schwer zu beurteilen. Will man hier nicht am unvermeidbaren und (zumeist) unschädlichen individuellen Verständnis der Beurteiler:innen anknüpfen und schon bei unterschiedlichen Endbeurteilern eine Abstimmung vorsehen, bietet es sich – wie im Entwurf – an, denkbare organisationskulturelle Differenzen als Anlass für eine Abstimmung des Maßstabs zu nehmen. Der weitaus größere Bruch dürfte insoweit aber kaum zwischen den Gerichtsbarkei-ten verlaufen als vielmehr zwischen den Gerichten, den Staatsanwaltschaften und der Ministerialverwaltung. Die Erfahrungen der letzten Jahre im Präsidialrat zeigen, dass es er-hebliche Differenzen in Darstellungslänge, Darstellungsart und dem Verhältnis der Be-schreibungen im Textteil und der Endnote zwischen diesen drei Organisationen gibt. Aus Sicht der NRV sollte § 25 Abs. 2 S. 2 BeurtVO-E entweder gestrichen werden oder lauten: „Dies kann insbesondere geboten sein, wenn Bewerbungen aus mehreren Gerichtsbarkei-ten bzw. aus unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen (Gericht, Staatsanwaltschaft, Ministe-rium) vorliegen.“
Dass die Ergebnisse der Beurteilerkonferenzen künftig bekanntzugeben sind, § 15 Abs. 3 BeurtVO-E, entspricht der Forderung der Verbände und ist ein gute Entwicklung in Rich-tung einer höheren Transparenz des Beurteilungswesens.
Problematisch ist die Regelung in § 11 Abs. 2 S. 2 BeurtVO-E, jedenfalls bei den Regelbeurteilungen, wonach der Beurteiler eines an das Justizministerium abgeordneten Beurteilten unmittelbar dessen Dienstvorgesetzter im Justizministerium werden soll. Der Übergang der Beurteilungszuständigkeit von der Justiz auf das Ministerium – im Gegensatz zu Abordnungen zu anderen Dienststellen im Geschäftsbereich des Justizministeriums, bei denen die Beurteilungszuständigkeit erst nach einem Jahr auf den Dienststellenleiter übergeht! – leuchtet nicht ein. Sollten allerdings im Ministerium auch abgeordnete Kolleg:innen beurteilt werden, dann müssen die entsprechenden Beurteiler:innen notwendig auch an den Beurteilerkonferenzen teilnehmen und an die dortigen Absprachen gebunden sein. Das sollte klargestellt werden.
Das Diskriminierungsverbot in § 5 BeurtVO-E verweist auf die bereits seit langem bestehende Gesetzeslage und ist insoweit selbstverständlich. Vielleicht wäre es hilfreich, hier die bereits in den anderen Gesetzen aufgeführten Diskriminierungsverbote noch einmal zu wiederholen. Allerdings dürfte auch das zunächst wenig an der bisherigen Beurteilungs- und Beförderungspraxis ändern. Mehr Potenzial haben die neu aufgenommenen Bestim-mungen über einen Gleichstellungsbericht. Die Bereitschaft, die bisherige Praxis durch eine Evaluation zu problematisieren und transparenter zu machen, ist bereits ein erfreuli-ches Zeichen. Wird dies ernsthaft und folgenreich umgesetzt, ist es ein wichtiger Schritt zur Verhinderung struktureller Diskriminierung und zur konkreten Verwirklichung des Gleich-stellungsauftrages des Grundgesetzes. Die Einhaltung der notwendigen fachlichen Stan-dards bei der Erstellung eines Gleichstellungsberichts (normativer Teil, deskriptiver Teil, Handlungsempfehlungen) sollten bereits in der BeurtVO aufgenommen werden.
In die Verordnung sollte außerdem eine Fortbildungspflicht für Beurteiler:innen aufgenom-men werden. Nur so lässt sich die bereits im Chancengleicheitsplan des Justizministeriums vorgesehene Schulung, die „für die Notwendigkeit und die Herausforderungen einer ge-schlechtergerechten Beurteilung sensibilisiert“ (Chancengleichheitsplan des Ministeriums der Justiz und für Europa Baden-Württemberg für den höheren Dienst bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften … 2019 – 2024, S. 36), sichern. Die Erfahrung der letzten Jahre aus dem Präsidialrat lehrt auch, dass bisher in Beurteilungen die in Familien- und Pflegeaufgaben und in ehrenamtlicher Tätigkeit erworbenen überfachlichen Kompetenzen nach Maßgabe des § 11 Abs. 2 ChancenG in keiner Weise einbezogen werden. Auf diese Vorschrift sollte deshalb explizit in § 12 der BeurtVO-E hingewiesen werden.
Im Übrigen: Es dürfte sich anbieten, in § 4 nicht von „Beurteilungsermessen“, sondern von „Beurteilungsspielraum“ oder schlicht von „Beurteilung“ zu sprechen, weil dies der weit überwiegend verwendeten öffentlich-rechtlichen Terminologie entspricht. Die Beurteilung ist als Werturteil selbst keine Ermessensentscheidung im rechtlichen Sinne (so ausdrücklich BVerwG, Urteil vom 5. November 1998 – 2 A 3/97 –, BVerwGE 107, 360-363, Rn. 15; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 10. Dezember 2021 – 1 WB 34/21 –, Rn. 53, juris).