Disziplinarrechtliches Vorgehen der Justizverwaltung in Brandenburg gefährdet demokratische Gewaltenteilung

In dieser Woche verhandeln Hauptrichter- und Staatsanwaltsrat und das Ministerium der Justiz über die Erteilung eines Verweises an einen von zwei Landessprecher*innen der Neuen Richtervereinigung, Landesverband Berlin-Brandenburg, wegen Verstoßes gegen die Pflicht zur Unabhängigkeit.

Dies ist nunmehr die dritte Verhandlungsrunde zwischen Justizverwaltung und Richter*innengremien. Sowohl der Richterrat des VG Potsdam als auch der Gesamtrichterrat der Verwaltungsgerichtsbarkeit haben den jeweiligen Gerichtspräsidenten die Zustimmung zu dieser Disziplinarmaßnahme verweigert.

In der dritten Verhandlungsebene stehen sich nun oberste Richter*innenvertretung des Landes und das von der wiederholt Verfassungsverletzungen verantwortende Justizministerin geführte Ministerium der Justiz als oberste Disziplinarbehörde gegenüber.

Der Sachverhalt ist einfach, wenn auch für den Zustand der Demokratie im Land Brandenburg besorgniserregend:

Am 16. April 2020 hat die Ministerin einen „Nichtanwendungserlass“ für die im Richtergesetz des Landes vorgesehene Mitbestimmung der Richtergremien ausgegeben- bereits dies verstößt gegen die verfassungsmäßig verankerte Gesetzesbindung der Verwaltung nach Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 2 Abs. 5 der Verfassung des Landes Brandenburg.

Im Dezember 2020 erklärte das BVerwG das Richterbeurteilungswesen in Brandenburg für verfassungswidrig (Beschluss vom 21.12.2020 -BVerwG 2 B 63.20; ECLI:DE:BVerwG:2020:211220B2B63.20.0, Rn. 24)  und bestätigte damit die Bedenken,  die der Landesverband bereits seit Jahren geäußert hatte (vgl. statt aller https://www.neuerichter.de/details/artikel/article/stellungnahme-zur-geplanten-ueberarbeitung-der-beurteilungsrichtlinien-anforderungsav-und-beurtav-654 ). Dennoch sah sich die Justizverwaltung nicht früher zu Änderungen veranlasst und brachte ein nicht allen verfassungsrechtlichen Bedenken des Bundesverwaltungsgerichts Rechnung tragendes sog. „Reparaturgesetz“ (vgl. LT-Drs. 7/6794) auf den Weg.

Im September 2022 versetzte die Ministerin sodann unter Missachtung des Votums des Richterwahlausschusses Kollegen der Arbeitsgerichtsbarkeit in andere Arbeitsgerichte. Dieses Vorgehen  hat nunmehr sowohl das Dienstgericht als auch der Dienstgerichtshof des Landes als Verfassungsverstoß (gegen Art. 98 Abs. 4 GG) sanktioniert und ausdrücklich erwähnt, dass der Zweck der Mitentscheidung dieses Ausschusses in der Stärkung der demokratischen Legitimation der für die Besetzung des konkreten Richteramtes vorgesehen Person liege und dazu diene, die Akzeptanz von Personalentscheidungen des Ministeriums zu erhöhen und die richterliche Unabhängigkeit zu stärken (vgl. DienstGH Brandenburg Beschl. v. 24.3.2023 – DGH 2/23, ECLI:DE:OLGBB:2023:0324.DGH2.23.00 m. w. N.).

 

Als Reaktion auf dieses wiederholte verfassungswidrige Handeln der Justizverwaltung und in einer dadurch durchaus „aufgeheizten Stimmung“ hat der Landessprecher der NRV, Peter Pfennig, nach einer verbandsinternen Meinungsbildung folgendes Statement im Rahmen einer Pressemitteilung, in welcher  die o.g. Vorgänge beschrieben wurden, als so genannten „O-Ton“ abgegeben: „Anstatt ihre Bindung an Gesetz und Recht zu beachten, verhält sie sich insbesondere im Fall der beiden Arbeitsrichter wie eine Querulantin, die unbedingt ihren Willen durchgesetzt bekommen will. So ist sie als Justizministerin nicht tragbar. Wir fordern Ministerpräsident Dietmar Woidke auf, Frau Hoffmann unverzüglich an ihre Aufgaben als Justizministerin zu erinnern und sie zu ermahnen, aus dem Amt heraus keinen weiteren Schaden in und an der rechtsprechenden Gewalt anzurichten, andernfalls nur noch bleibt, den sofortigen Rücktritt einzufordern.“

Dies nun nahm die Brandenburgische Justizverwaltung zum Anlass gegen den Landessprecher der NRV vorzugehen und beabsichtigt, diesem wegen des genannten O-Tons der Pressemitteilung einen Verweis zu erteilen.

Zur Auswahl des Verweises als Disziplinierungsmittel erklärt der Präsident des VG: „Dies wird der Schwere des Dienstvergehens, dem Persönlichkeitsbild von Herrn Pfennig als einem justizpolitisch besonders engagierten Richter sowie dem Umfang gerecht, in welchem er das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit durch den Verstoß gegen das Mäßigungsgebot beeinträchtigt hat.“

Der OVG-Präsident fügt hinzu: „Diese Rolle [als Sprecher einer justizpolitischen Vereinigung] mag ihm ein größeres Maß an Zuspitzung und Vergröberung erlauben, aber keine persönliche Beleidigung.“

Keines der bisher vorgebrachten Argumente hält verfassungsrechtlichen Erwägungen stand, sondern vertieft erneut das verfassungswidrige Verhalten der Brandenburger Justizverwaltung.

Das Disziplinarverfahren gründet sich allein auf einen Verstoß gegen § 39 DRIG, wonach ein Richter sich innerhalb und außerhalb seines Amtes, auch bei politischer Betätigung, so zu verhalten hat, dass das Vertrauen in seine Unabhängigkeit nicht gefährdet wird.

Ein Disziplinarverfahren setzt dabei voraus, dass ein Richter ein nicht nur objektiv pflichtwidriges, sondern auch schuldhaftes und im besonderen Maße zur Achtungs- und Vertrauenseinbuße geeignetes Verhalten gezeigt hat. Dabei sind Richter keine Beamten, weshalb von ihnen allein die ausdrücklich in § 39 DRiG normierten Pflichten gefordert werden können, die bewusst die Pflicht zur Wahrung der Unabhängigkeit in den Mittelpunkt stellen.

Die Pflicht zur Unabhängigkeit ist dabei als eine äußere und innere Unabhängigkeit als Neutralität, Unparteilichkeit und Distanz zu verstehen. Sie fordert Offenheit und Ausgewogenheit sowie die Freiheit der Rechtsprechung gegenüber Staat und Gesellschaft, gegenüber Wertvorstellungen und Ideologien. Diese innere und äußere Unabhängigkeit des Richters und das Vertrauen in diese Unabhängigkeit werden vom Gesetz als selbstverständlich vorausgesetzt. Dabei sind sowohl überspitzte Anforderungen und Empfindlichkeiten auf der einen Seite als auch “schlechte Sitten“ auf der anderen Seite für die Beurteilung unbeachtlich (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.10.1987 – 2 C 72/86, NJW 1988, 1748, beck-online, mit weiteren, insbesondere bundesverfassungsgerichtlichen, Nachweisen).

Gemessen daran ist der disziplinarrechtliche Vorwurf abwegig. In Reaktion auf nachgewiesene Rechtsverletzungen  sowohl der Landes- als auch der Bundesverfassung hat der Landessprecher mit zugegeben harten Worten unter Aufzählung der dokumentierten Verstöße die Unabhängigkeit der Justiz verteidigt. Gemessen am Maßstab des Bundesverfassungsgerichts zur Pflicht zur Unabhängigkeit, die alle Richter*innen gleichermaßen auch bei der Ausübung von Justizverwaltungsfunktionen trifft, läge bezüglich des (Weiter-)Betreibens des hiesigen Disziplinarverfahren eine objektive Rechtverletzung von § 39 DRIG durch die am Verfahren beteiligten Gerichtspräsidenten aufgrund der eigenen Äußerungen näher.

Erschwerend kommt seitens des direkt dienstvorgesetzten VG-Präsidenten ein weiterer Verfassungsverstoß hinzu: Der NRV-Landessprecher wird hier zielgerichtet in seiner Funktion als Sprecher einer berufsständischen Vereinigung („als einem justizpolitisch besonders engagierten Richter“), also einer als Spitzenorganisation anerkannten berufsständischen Gruppierung angegriffen, womit zugleich seine individuelle durch Art. 9 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich garantierte Koalitionsfreiheit ebenso wie mittelbar die kollektive Koalitionsfreiheit der NRV verletzt wird. Ein solches zielgerichtetes Vorgehen gegen die verfassungsrechtliche Koalitionsfreiheit ist einfachgesetzlich gemäß § 71 DRIG, § 52 Satz 2 BeamtStG explizit ausgeschlossen.

Auch der seitens des Präsidenten des OVG erhobene Tatvorwurf einer Beleidigung, § 185 StGB, ist rechtlich nicht haltbar: nach Auffassung in der Rechtsprechung stellt schon der in der rechtlichen Auseinandersetzung benutzte Ausdruck „wie eine Querulantin“ in Bezug auf verfassungswidriges Verhalten einer Politikerin gerade keine strafbare Beleidigung dar (vgl. zur Beleidigung von Politiker*innen, BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19. Mai 2020- 1 BvR 2397/19 -, ECLI:DE:BVerfG:2020:rk20200519.1bvr239719, Rn. 31 m.w.N., zum Begriff des „Querulanten“ vgl. AG Tostedt, Urt. v. 3. 4. 2012 – 5 C 316/11, NJW-RR 2012, 1415, beck-online).  Diese Rechtskenntnis darf für einen disziplinarrechtlich geübten Dienstvorgesetzten als bekannt vorausgesetzt werden. Eine solch haltlose Verächtlichmachung eines Richters in einem Disziplinarverfahren ist wiederum geeignet, weiteren Schaden an dem Institut der richterlichen Unabhängigkeit zu bewirken.

Derartige Vorgehen können ein Aspekt sein, weshalb rd. 67% der deutschen Justizangehörigen die Unabhängigkeit der Justiz in Deutschland in Gefahr sehen (vgl. ROLAND Rechtsreport 2023):

In einem von der NRV im Rahmen einer Fachtagung durchgeführten „Stresstest Justiz“ war zwar festzustellen, dass in Deutschland grundsätzlich eine durch das Grundgesetz und durch  gelebte demokratische Kultur gesicherte richterliche Unabhängigkeit besteht. Zugleich ist aber auch deutlich geworden, dass diese in Gefahr ist, wenn eine Partei in Regierungsverantwortung Bestrebungen entfaltet, Einfluss auf die personelle Zusammensetzung der Richterschaft und die Rechtsprechung zu nehmen. Als besonders vulnerabel erweist sich dabei die hierarchische Justiz(verwaltung)struktur, in der das Justizministerium maßgeblichen Einfluss auf die Ernennung und Beförderung und disziplinarrechtliche Verfolgung von Richter*innen und Staatsanwält*innen nehmen kann. Insbesondere die Entkopplung der Personalkompetenz aus dem Justizministerium sowie eine dezentrale Gerichtsverwaltung werden benötigt, um antidemokratischen politischen Angriffen standzuhalten (vgl. https://www.neuerichter.de/details/artikel/article/strukturdefizite-im-deutschen-justizsystem-wie-wehrhaft-ist-der-rechtsstaat ).

Auch der Europäische Gerichtshof hat sich zuletzt mit der Frage befasst, ab wann bereits die richterliche Unabhängigkeit in Gefahr ist, und dazu ausgeführt, dass besonders wichtig sei, dass sich Richter*innen vor jeglicher direkter und indirekter Einflussnahme geschützt sehen, die geeignet sind, beim Rechtssuchenden den Eindruck zu erwecken, die Richter*innen könnten nicht unabhängig und frei entscheiden. Hierbei gefährde bereits die reine Aussicht für Richter*innen darauf, dass sie politscher Kontrolle, Druck oder Einschüchterung unterliegen und aus politischen Gründen einem Disziplinarverfahren unterzogen werden, ihre eigene richterliche Unabhängigkeit ( EuGH, Urteil vom 5. Juni 2023, C-204/21, ECLI:EU:C:2023:442, Rn. 94-101 m.w.N.).

Genau dies aber zeigt sich im hiesigen Disziplinarverfahren, das nicht nur rechtlich höchst fraglich argumentiert, sondern sich zusätzlich zielgerichtet gegen das allgemeine berufsständische Engagement des Landessprechers richtet.

Es ist an der Zeit, dass die Brandenburger Justizverwaltung dem Dienstgerichtshof, dem Bundesverwaltungsgericht, dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof sowie dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Folge leistet und weitere Verfassungsverletzungen – insbesondere im Rahmen von haltlosen Disziplinarverfahren gegen Justizangehörige – beendet.

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