Beurteilungswesen / beabsichtigte Änderung des Sächsischen Richtergesetzes

24. März 2022| Stellungnahme, LV Sachsen

Die NRV Landesverband Sachsen hält den vorgelegten Entwurf, der in Absatz 1 an den drei Beurteilungsarten Regelbeurteilung, Anlassbeurteilung und Probezeitbeurteilung festhält, Absatz 2 um das Erfordernis abschließender Gesamturteile ergänzt – wobei eine entsprechende Vorgabe für die Probezeitbeurteilung, vormals in Absatz 3 geregelt, nunmehr fehlt – und der in Absatz 3 eine umfassende Verordnungsermächtigung vorsieht, für im Ansatz verfehlt.

Der Gesetzentwurf ist getragen von dem Versuch, sich an den Anforderungen zu orientieren, die der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu entnehmen sind. Diese Entscheidungen betrafen das Beurteilungswesen für Beamte. Soweit es um die Anforderungen geht, die an die Beurteilung insbesondere von Richter:innen und Richtern zu stellen sind, bleibt dem Gesetzgeber zur Orientierung nichts als die Verfassung.

Die Verfassung schreibt in Art. 98 Abs.3 S.1 GG vor, dass die Rechtsstellung der Richter durch besondere Gesetze zu regeln ist.
Das Thüringer Laufbahngesetz, an dem sich der vorliegende Entwurf orientiert haben will, weil er solchermaßen vom BVerwG “gebilligt” worden sei, gilt für Beamte. Richter und Staatsanwälte sind aus dem Geltungsbereich ausdrücklich ausgenommen (§ 1 Abs.2 Nr.2 ThürLaufbG – was allerdings allenfalls hinsichtlich der Staatsanwälte zu regeln erforderlich gewesen sein dürfte).

So begrüßenswert es erscheint, dass der Entwurf zunächst dadurch, dass er viele Fragen, insbesondere auch solche, die nach der gegenwärtigen Rechtslage gesetzlich geregelt sind, offen zu lassen beabsichtigt, einen weiten Raum für Diskussionen belässt, so unbefriedigend ist es, dass nach dem Entwurf die Anlassbeurteilung als jenes Beurteilungsinstrument beibehalten werden soll, das unbestreitbar das im Sinne der Bestenauslese ungeeignetste ist. Auf eine Auflistung obergerichtlicher Urteile, die diesem Beurteilungsinstrument eine ganz besondere Anfälligkeit für Ämterpatronage, Günstlingswirtschaft und exekutiver Steuerung ganz gemäß dem Ausspruch des Preußischen und Reichs-Justizministers Gerhard Adolf Leonhardt: “Solange ich über die Beförderungen bestimme, bin ich gern bereit, den Richtern ihre so genannte Unabhängigkeit zu konzedieren.” attestieren, muss aus Platzgründen verzichtet werden.

Und der Ansatz, die Regelung wirklich aller weiteren Inhalte auf den Verordnungsweg zu verweisen, wird gerade bezogen auf die Beurteilung von Richterinnen und Richtern der Wesentlichkeitsdoktrin, zu deren Umsetzung die Neuregelung ja erfolgen soll, nicht gerecht. Ohne insoweit zur verfassungsrechtlichen Argumentation zu weit auszuholen: Die Regelungen zum Beurteilungswesen betreffen die Abgrenzung der Exekutive von der Judikative. Gerade diese Grenzziehung wird der Landesgesetzgeber höchst selbst vorzunehmen haben. Er darf sie nach Auffassung der NRV allenfalls in Randbereichen delegieren. Soweit er dies beabsichtigt ist vorzusehen, dass das landesverfassungsrechtlich verbürgte Recht auf Mitbestimmung gewahrt bleibt.

In diesem Zusammenhang bedauert es die NRV Landesverband Sachsen noch einmal ausdrücklich, dass sich der jetzt eingeschlagene Verfahrensweg zur Normsetzung die Möglichkeiten verstellt, einen Blick über den eigenen Tellerrand hinaus zu werfen, um auch ganz andere Ansätze berücksichtigen zu können. So wäre es ein Leichtes, sich vor der anstehenden Entscheidung alternative Modelle des Beurteilens – mit ihren Vor- und mit ihren Nachteilen – vorstellen zu lassen. Zu denken ist hier insbesondere an das Modell der Personalsenate in Österreich und ihrer Aufgabe, die “Dienstbeschreibung” genannten dienstlichen Beurteilungen zu erstellen (§§ 51 ff Öster. RStDG).

Zu einzelnen Regelungen

Die NRV, Landesverband Sachsen, schlägt eine zentrale Norm folgenden Inhalts vor:

„Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte auf Lebenszeit sind alle drei Jahre von einer Beurteilungskommission zu festen Stichtagen dienstlich zu beurteilen (Regelbeurteilung).“

Regelbeurteilungen beziehen sich auf einen grundsätzlich identischen Beurteilungszeitraum, haben einen gemeinsamen Stichtag und sind nicht durch ein besonderes Ereignis – insbesondere die Ausschreibung eines höherwertigen Statusamtes oder einer förderlich zu besetzenden Stelle – veranlasst. Nur diese Einheitlichkeit gewährleistet, dass die dienstliche Beurteilung für sämtliche Richter:innen und Staatsanwält:innen die zu beurteilenden Merkmale nicht nur punktuell, sondern gleichmäßig erfasst und sie auch in ihrer zeitlichen Entwicklung unabhängig von einer konkreten Auswahlentscheidung bewertet. Demgegenüber begegnen Anlassbeurteilungen grundsätzlich Bedenken, weil sie gerade im Hinblick auf eine anstehende Auswahlentscheidung erstellt werden und damit der Verdacht entstehen kann, sie dienten – zielgerichtet – lediglich der Durchsetzung von vorgefassten, Art. 33 Abs. 2 GG nicht genügenden Personalentscheidungen. Ohnehin ist die Aussagekraft einer ausnahmsweise zulässigen Anlassbeurteilung begrenzt. Da sie einen deutlich kürzeren Zeitraum als die Regelbeurteilung abbildet, muss die Anlassbeurteilung aus der Regelbeurteilung entwickelt werden und darf diese lediglich fortentwickeln (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Juli 2020 – 2 A 6/19 – Rn. 11 und Urteil vom 9. Mai 2019 – 2 C 2.18 – Rn. 41).

Soweit dies als erforderlich erachtet wird, mag die Regelbeurteilung im Falle einer Bewerbung ergänzt werden können um ein lediglich die Kriterien der Eignung und Befähigung umfassendes Prognoseurteil, das, ebenso wie die Proberichterzeitbeurteilung, lediglich 3 Prädikatsstufen kennt, nämlich nicht geeignet / noch nicht geeignet / geeignet.

Im Übrigen sind den § 6 SächRiG ergänzende Regelungen vorzusehen

  • zur Probezeitbeurteilung, deren Frequenz, den Prädikatsstufen, den zu beurteilenden Kompetenzen, und deren Gewichtung,
  • zur Zusammensetzung der Beurteilungskommission, zu Anforderungen an deren Mitglieder und zum Verfahren ihrer Berufung sowie zu etwaigen Inkompatibilitäten,
  • zu den Grundlagen, den Inhalten und den Maßstäben der Beurteilung, insbesondere zur Frage, ob der Beurteilung außerdienstliche Umstände zugrunde gelegt werden können / zu legen sind, und ob Entwicklungstendenzen Erwähnung finden dürfen, sowie zu deren Gewichtung,
  • zum Beurteilungsverfahren, insbesondere zur Beteiligung des zu Beurteilenden und zur etwaigen Einbeziehung Dritter (Stichwort 360°),
  • zu den Möglichkeiten, von der Regelbeurteilung ausgenommen zu werden.

Die NRV Sachsen hatte sich bereits am 18.11.2021 umfänglich zu ihren Vorstellungen geäußert. Auf diese Ausführungen wird, auch wenn die zur Begründung angeführte Argumentation nach weiterer Befassung mit der Thematik so nicht mehr in vollem Umfang wiederholt werden würde, hinsichtlich der dort erhobenen Forderungen verwiesen.

In Hinblick auf zwei seither neu aufgeworfene Fragen, die Gegenstände betreffen, die einer Regelung bedürfen, möchte sich die NRV Sachsen hiermit ergänzend äußern:

1. Die NRV Sachsen hält es für zwingend geboten, im Rahmen einer dienstlichen Beurteilung auch Tatsachen berücksichtigen zu können, die nicht primär dienstlich sind. Dies sei kurz begründet:

In immer weiterem Umfang fordert das Gesetz zur Wahrnehmung bestimmter Aufgaben spezielle, über das Recht und seine Anwendung hinausgehende, in diesem Sinne also interdisziplinäre Kompetenzen. Das ist seit langem so in Bezug auf Jugendrichter:innen, jetzt aber auch in Hinblick auf Insolvenzrichter:innen und Familienrichter:innen. Gleiches gilt selbstverständlich auch für Staatsanwält:innen. Insbesondere solche Kenntnisse, die das eigene Fachgebiet überschreiten, werden ganz oft außerhalb des Angebots des Dienstherrn vermittelt. Der Erwerb entsprechender Kenntnisse muss aber mitberücksichtigt werden können.

Nach § 9 DRiG gehört Sozialkompetenz zu den ganz zentralen Fähigkeiten, die Richter:innen aufzuweisen haben. Wie dies auch im Rahmen der Einstellung von Assessoren von Belang ist, so bleibt die Frage nach der Umsetzung von Sozialkompetenz insbesondere in sozialem Engagement auch darüber hinaus ein für eine realistische Beurteilung von Eignung und Befähigung maßgebliches Kriterium. Es ist daher ebenfalls mit zu berücksichtigen.

Schließlich erscheint es gesellschaftlich wünschenswert, dass die Kundgabe einer spezifisch richterlichen Sicht sich nicht nur auf den Gerichtssaal beschränkt. Wenn es insofern wünschenswert ist, dass Richter:innen beispielsweise publizieren, oder dozieren, oder sich in anderer Weise außerhalb des Dienstes rechtlich äußern, sollte dies auch in einer dienstlichen Beurteilung erwähnt werden können.
Einer verbindlichen Regelung bedarf dies schon deshalb, weil dies bislang eher uneinheitlich gehandhabt worden zu sein scheint.

2. Wie oben ausgeführt, spricht sich die NRV Sachsen für eine Beibehaltung der Regelbeurteilung aus. Sie erlaubt es einerseits, ein umfassendes Leistungsbild erstellen und beurteilen zu können, wie jene, denen eine Beförderung wichtig ist, im Gesamtklassement liegen. Andererseits bietet sie die Möglichkeit, auch jene anderen, die zwar leistungsstark, befähigt und geeignet sind, die dies aber so für sich nicht einschätzen, oder die sonst zurückhaltender sind, und die daher einer Zusprache bedürfen, mit in den Bewerberkreis um Beförderungsstellen einbeziehen zu können. Beides dient dazu, im Sinne der Bestenauslese eine für die Justiz möglichst optimale Besetzung von Beförderungsämtern vornehmen zu können.

Allerdings tangiert eine jede Beurteilung die richterliche Unabhängigkeit. Dies betrifft sowohl den intensiven Einblick, den ein Beurteiler nimmt, nehmen sollte, und der für sich schon geeignet ist, das eigene Verhalten zu ändern, als auch die daran anschließende Beurteilung. Der Beurteilung von Richer:innen kommt in dieser Hinsicht, wie bereits erwähnt, eine grundsätzlich – und grundgesetzlich – andere Bedeutung zu als der Beurteilung von Beamten. Dies spricht dafür, so wenig wie möglich zu beurteilen und jedenfalls die Erforderlichkeit des dienstlichen Beurteilens unter diesem Gesichtspunkt besonders zu betrachten.

Als Lösungsmodell könnte sich insofern anbieten eine Regelung, die es Richter:innen und Staatsanwät:innen erlaubt, nach Vollendung des 50. Lebensjahres aus der Regelbeurteilung auszuscheiden. Anders als bisher, sollte es sich bei diesem Opt-out-Modell um eine bewusste Entscheidung gegen das weitere Beurteilt-werden handeln. Diesem Vorschlag liegen folgende Erwägungen zugrunde:

Derzeit wirft insbesondere die Frage der Vergleichbarkeit von Regelbeurteilten und solchen, die in Ermangelung einer solchen Beurteilung “nur” auf eine Anlassbeurteilung verweisen können, Probleme auf.

Lösen ließen sich dieses Problem eigentlich nur dadurch, dass das Vorliegen einer Regelbeurteilung zur Voraussetzung für eine Beförderung gemacht wird, weil sich nur so ein fairer Wettbewerb gewährleisten lässt.

Wenn dies so geregelt oder obergerichtlich eindeutig entschieden würde, wäre der Dienstherr in Wahrnehmung seiner Fürsorgepflicht gehalten, auf die Folgen aufmerksam zu machen, die mit einem Verzicht auf die Teilnahme an weiteren Regelbeurteilungsrunden verbunden sind. Dies dürfte sich am praktikabelsten umsetzen lassen, wenn es den Richter:innen obliegt, sich nach entsprechender Belehrung schriftlich gegen weitere Beurteilungen zu entscheiden.

Abschließend bitten wir, den weiteren Normsetzungsprozess so offen wie möglich zu gestalten und alternative Regelungskonzepte mit in die Betrachtung einzubeziehen, wobei es sinnvoll sein dürfte, grundsätzliche Überlegungen zur Personalentwicklung in der Justiz im Rahmen dieser Überlegungen mit zu berücksichtigen.

Der jetzt durch das BVerwG angestoßene Normsetzungsprozess sollte als Chance verstanden werden, über das Beurteilungswesen hinaus im Sinne eines “Qualitätsmanagements Justiz” bestehende Mängel und Dysfunktionalitäten zu analysieren und nicht zuletzt vor dem Hintergrund neuer Anforderungen an die Justiz eine Neuausrichtung vorzunehmen. Dies betrifft wesentlich auch die Frage, wie die für befriedigende Rechtsprechung existenzielle Motivation der dazu Berufenen aufrechterhalten und gefördert werden kann. Die Ausgestaltung des Beurteilungswesens spielt in diesem Zusammenhang nicht die einzige, aber eine entscheidende Rolle.

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