Gesetzentwurf zur Umsetzung des Rechtssatzvorbehalts bei dienstlichen Beurteilungen in der Justiz, Drs. 17/16487
Schriftliche Anhörung von Sachverständigen durch den Rechtsauschuss
Die nachfolgende Stellungnahme stellt zunächst kurz dar, was der Gesetzentwurf vermissen lässt (A) und welchen Bedenken die Neuregelung des § 14 Abs. 5 LRiStaG begegnet (B), um sich dann nachfolgend eingehend mit der in § 14 Abs. 6 LRiStaG vorgesehenen gesetzlichen Festschreibung des Erprobungserfordernisses auseinander zusetzen(C).
A.
Das Gesetzesvorhaben verfolgt das Ziel, gemäß den Vorgaben der jüngsten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts die Erstellung von Beurteilungen nicht allein in Verwaltungsvorschriften zu regeln. Beurteilungen müssen der Verwirklichung des grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 33 Abs. 2 GG dienen und damit den gleichen und leistungsgerechten Zugang von Richterinnen und Richtern in Beförderungsämter gewährleisten. Der hierzu vorgelegte Entwurf kann diesem Anspruch jedoch schon deshalb nicht gerecht werden, weil er das zentrale Steuerungsinstrument des Beurteilungssystems und damit die entscheidende Stellschraube bei der Ämterbesetzung unangetastet lässt: Die Beurteilungsmacht in der Hand einzelner.
Handlungsbedarf besteht schon seit langem. Das Entscheidungsmonopol von Präsidentinnen und Präsidenten ist nicht nur fehleranfällig, weil ein Überprüfungs- und Reflektionskorrektiv fehlt. Es ist Nährboden für ergebnisgesteuerte Beurteilungen und ein sich hierauf aufbauendes Geflecht von Begünstigungen und Abhängigkeiten. Solange diese Grundlage für intransparente und willkürliche Entscheidungen bestehen bleibt, wird immer nebensächlich sein, ob und welche dabei bemühten Beurteilungskriterien in Gesetzen, Verordnungen oder Richtlinien verankert sind.
Seit langem ist daher zentrale Forderung der NRV, stattdessen Beurteilungsgremien unter Beteiligung von gewählten Vertreterinnen und Vertretern aus der Richterschaft bzw. der Staatsanwaltschaft zu etablieren. Beurteilungen würden in diesen Gremien dann im Mehraugenprinzip erstellt. Damit würden reflektierte, transparente und legitimierte Entscheidungen möglich und so die maßgebliche Grundlage für eine echte Bestenauswahl geschaffen.
Die hiergegen gern angeführte Behauptung, dieser Vorschlag sei unpraktikabel, erweist sich schon bei einem Blick über den nationalen Tellerrand als unzutreffend. In Österreich ist eine Beteiligung der Richterschaft an Beurteilungen bereits seit Jahren gesetzlich verankert und wird in Gestalt der Personalsenate erfolgreich praktiziert. Und auch im Bereich der Bundesbeamten ist das Vier-Augen-Prinzip im Beurteilungswesen längst geltendes Recht (§ 50 Abs. 1 Satz 1 Bundeslaufbahnverordnung: „Die dienstlichen Beurteilungen erfolgen … in der Regel von mindestens zwei Personen.“).
Eine entsprechende Umgestaltung des Beurteilungssystems auch für Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte ist nun längst überfällig und muss vom Gesetzgeber endlich angegangen werden!
B.
Mit der vorgesehenen Neuregelung des § 14 Abs. 5 wird die mit dem LRiStaG gerade erst erreichte Stärkung der Beteiligungsrechte von Richterinnen und Richter und Staatsanwältinnen und Staatsanwälten in Personalangelegenheiten für den bedeutsamsten Bereich der dienstlichen Beurteilungen wieder deutlich eingeschränkt. Durch die geplante Verordnungsermächtigung können nun alle bislang durch Verwaltungsvorschriften – und damit unter Mitbestimmung der Personalvertretungen – zustande gekommenen Beurteilungsrichtlinien nunmehr durch den Erlass von Rechtsverordnungen einseitig bestimmt und damit der Mitbestimmung völlig entzogen werden. Dies wird – anders als im Bereich des allgemeinen Beamtenrechts – nicht durch eine § 93 LBG NRW vergleichbare Vorschrift kompensiert. Eine ungehemmte Gestaltungsmacht gefährdet jedoch nicht nur die Wahrung richterlicher Interessen, sie baut auch die Abhängigkeit der Justiz von ministeriellen Vorgaben weiter aus.
Die vorgesehen Pauschalermächtigung ist daher schon im Interesse einer unabhängigen Justiz abzulehnen und auch im Lichte der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht geboten. Sie begegnet zudem hinsichtlich ihrer fehlenden Bestimmtheit durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
C.
Ebenso ist die geplante Bestimmung des § 14 Abs. 6 LRiStaG abzulehnen, mit der das Erfordernis einer Erprobung vor einer Beförderung von Richterinnen und Richtern sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälten in das Landesrichter- und Staatsanwältegesetz erstmals gesetzlich normiert werden soll.
Das Erfordernis einer Erprobung ist zwar in Nordrhein-Westfalen für alle Beförderungsämter – mit Ausnahme der weiteren aufsichtführenden Richterinnen und Richter – seit langer Zeit ständige Verwaltungsübung und durch Verwaltungsvorschrift vorgeschrieben. Es ist indes nicht wegen Vorgaben des höherrangigen Rechts zwingend erforderlich. Zwar ist das Erfordernis nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung mit dem Grundsatz der Bestenauslese aus Art. 33 Abs. 2 GG und auch der richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) vereinbar. Darauf, dass eine Erprobung nicht die einzig richtige oder zumindest die beste und zweckmäßigste Voraussetzung zur Verwirklichung des Leistungsgrundsatzes sein muss, hat das Bundesverwaltungsgericht aber schon sehr früh hingewiesen, ohne dies je revidiert zu haben (BVerwG, Urteil vom 4.11.1976, 2 C 59.73, juris, Rn. 25). Nicht alle Bundesländer haben sich dann auch für das Erfordernis einer Erprobung entschieden.
Die Erfahrungen mit der Erprobung und Rückmeldungen aus der Richterschaft sprechen aus Sicht der NRV dagegen, an ihr festzuhalten. Jedenfalls sollte vor einer übereilten und rechtlich möglicherweise nicht notwendigen Festlegung des Erfordernisses im Gesetz (was eine evtl. zukünftige Aufhebung/Modifizierung erschweren würde), das Kriterium zunächst einer ergebnisoffenen Betrachtung unterzogen werden. Der dringliche Bedarf, das Erfordernis durch formelles Gesetz zu regeln, wovon der Landesgesetzgeber wegen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Beurteilungswesen auszugehen scheint, ist zweifelhaft, weil das Bundesverfassungsgericht das Erfordernis eines formellen Gesetzes ausdrücklich verneint hat (BVerfG, Beschluss vom 22.6.2006, 2 BvR 957/05, juris, Rn. 8).
Eine systematische Untersuchung in Nordrhein-Westfalen, vor welche (praktischen) Probleme das Erfordernis einer Erprobung Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte stellt und inwieweit das Erfordernis zumindest faktisch zu einer nichtleistungsbezogenen (also unsachgemäßen) Einengung der möglichen Bewerberinnen und Bewerber auf Beförderungsämter führt, liegt nicht vor bzw. ist zumindest nicht öffentlich bekannt. In der Verwaltungsgerichtsbarkeit hat sich im Jahr 2006 zwar eine Arbeitsgruppe mit der Erprobung in der Verwaltungsgerichtsbarkeit befasst (https://www.ovg.nrw.de/aufgaben/qualitaetsdiskussion/07_erprobung-13-7-2006_endfassung.pdf); die grundsätzliche Frage nach Legitimation und Sinn der Erprobung wurde aber gezielt von der Untersuchung ausgenommen. Andere Untersuchungen (für andere Gerichtszweige) sind der NRV nicht bekannt.
Eine Einengung des Bewerberkreises durch das Erfordernis der Erprobung ist insbesondere deshalb zu befürchten, weil die Erprobung regelmäßig eine erhebliche Belastung für die Familien der Betroffenen mit sich bringt. Nicht selten können Erprobungsrichterinnen und Erprobungsrichter während der Erprobung ihrer familiären Verantwortung nicht gerecht werden, müssen deshalb etwa die Betreuung von Kindern weit überwiegend dem anderen Elternteil überlassen. Dies kann die Betroffenen im Ergebnis vor die Wahl, Erprobung (und damit die Möglichkeit zur Beförderung) oder Aufgabe familiärer Verantwortung stellen. Alleinerziehende Richterinnen und Richter haben diese Wahl schon gar nicht. Sie werden damit von Beförderungsmöglichkeiten ausgeschlossen bzw. können eine Erprobung erst dann machen, wenn ihre Kinder deutlich älter sind.
Besonders betroffen von der Problematik der Vereinbarkeit von Erprobung und Familie sind Erprobungsrichterinnen und Erprobungsrichter mit langen Anfahrtswegen zur Erprobungsdienststelle. So ist etwa die räumliche Distanz für eine in Aachen lebende Verwaltungsrichterin zum Oberverwaltungsgericht in Münster zu groß, um diese Fahrtstrecke täglich überwinden und gleichzeitig ein (Klein-)Kind betreuen zu können. Nichts anderes gilt für die zum Teil erheblichen Distanzen in den Gerichtsbezirken der Oberlandesgerichte. Die Möglichkeit der Ersatzerprobung kann diese Problematik zwar etwas relativieren, aber nicht ausreichend kompensieren. Denn in aller Regel wird auch der Weg zur Ersatzerprobungsstelle deutlich länger als zum Heimatgericht sein und muss zudem für die Dauer von regelmäßig mindestens zwei Jahren überwunden werden. Dies ist mit der Betreuung von (kleinen) Kindern nur unter erheblichen Schwierigkeiten möglich. Eine Vereinbarkeit von Erprobung und Familie wird für Richterinnen und Richtern an entfernten Gerichten sich letztlich häufig nur über eine „Teleerprobung“ herstellen lassen, wie sie etwa die Verwaltungsgerichtsbarkeit teilweise schon praktiziert. Einen Anspruch auf diese Art der Erprobung besteht bislang aber nicht. Ob genügend Erprobungsplätze diese Art zur Verfügung stehen, hängt zudem (neben den erforderlichen technischen Rahmenbedingungen) in hohem Maße von der Bereitschaft der jeweiligen obergerichtlichen Spruchkörper hierfür ab. Eine Erprobung in Teilzeit, die die Landesregierung als Ausdruck „familienbewusster Personalführung“ versteht (vgl. LT-Drs. 17/13981, S. 12), benachteiligt Richterinnen und Richter, die ohne Erprobung „trotz“ Familie in Vollzeit arbeiten könnten. Dabei ist auffällig, dass vom 1.1.2011 bis zum 31.12.2020 247 Richterinnen, Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte eine Erprobung in Teilzeit abgeschlossen haben, 231 (also ca. 93 %) davon waren Frauen (LT-Drs. 17/13981, S. 16). Es liegt nahe, dass zumindest ein Anteil dieser Richterinnen und Staatsanwältinnen sich zur Erprobung in Teilzeit wegen der Betreuung von Kindern gezwungen gesehen haben. Letztlich ist das Erprobungserfordernis damit auch eine Benachteiligung von Frauen.
Neben einer zu befürchtenden Verengung des Bewerberkreises im Hinblick auf familiäre Belastungen bestehen weitere Bedenken gegen die Erprobung. So überzeugt es insbesondere nicht, dass eine obergerichtliche Erprobung Erfordernis für die Beförderung zum Vorsitzenden Richter in der ersten Instanz ist. Denn es dürfte nur ein geringer bis kein Zusammenhang zwischen der Tätigkeit als Beisitzer an einem Obergericht und der Tätigkeit als Vorsitzender Richter in der ersten Instanz bestehen. Hiervon geht auch die Landesverwaltung selbst aus, wie die Anforderungsprofile für Richterinnen und Richter und Staatsanwältinnen und Staatsanwälte des Landes Nordrhein-Westfalen (Anlage 1 zur Verwaltungsvorschrift Dienstliche Beurteilungen der Richterinnen und Richter sowie der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte) zeigen. In diesen finden sich (zu Recht) erhebliche Unterschiede in den Anforderungen an die Tätigkeit als Vorsitzender Richter in der ersten Instanz und als Beisitzer beim Obergericht. Die Leitung eines Spruchkörpers benötigt Kompetenzen (insbesondere Führungs- und Leitungskompetenzen), die „Hilfsrichterinnen und Hilfsrichter“ in einem „dritten Staatsexamen“ am Obergericht nicht zeigen können. Es bestehen zudem erhebliche Zweifel, warum die Beurteilung des aufnehmenden Gerichts nach einer in der Regel 9-monatigen Erprobung aussagekräftiger sein sollte im Vergleich zu einer Beurteilung am abgebenden Gericht, an dem die Betroffenen in der Regel schon mehrjährig tätig sind.
Besonders offensichtlich ist die fehlende Relevanz der mit einer Erprobung zu erwerbenden Kenntnisse und Erfahrungen für das Amt der weiteren aufsichtführenden Richterinnen und Richter. Erfordert doch das Anforderungsprofil hierfür vielseitige Erfahrungen (nur) in erstinstanzlichen Aufgabenbereichen sowie in der Bearbeitung von Verwaltungsaufgaben; Kompetenzen, die durch eine Erprobung in einem Senat eines OLG, LAG bzw. LSG offenkundig nicht zu erwerben sind. Dementsprechend nimmt die derzeit maßgebliche Erprobungs-AV vom 2.5.2005 (i.d. Fassung von 2014) bislang dieses Amt auch ausdrücklich vom Erprobungserfordernis aus. Eine solche ausdrückliche Ausnahme fehlt indes im vorgelegten Gesetzentwurf. Vorgesehen ist lediglich eine allgemeine Öffnungsklausel für nicht näher genannte Ämter. Ob und für wen davon Gebrauch gemacht wird, obliegt dann aber wiederum (mitbestimmungsfrei!) nur der Verordnungsmacht des Ministeriums. Sollte von der bisherigen Praxis abgewichen und eine Erprobung auch für die Übertragung des Amtes als weitere aufsichtführende Richterin oder weiterer aufsichtführender Richter gefordert werden, dürfte es aufgrund der oben beschriebenen Erschwernisse insbesondere an kleineren oder ländlich gelegenen Gerichten schwierig werden, ausreichend geeignete Bewerber zu finden.
Letztlich ist auch nicht verständlich, warum die Erprobung von Richterinnen und Richtern sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälten im Vergleich zu Landesbeamtinnen und –beamten anders ausgestaltet ist. Letztere müssen vor der Beförderung eine Erprobungszeit von mindestens drei Monaten auf dem konkreten Dienstposten absolvieren, bevor sie befördert werden (§ 19 Abs. 1 LBG NRW). Dies ermöglicht es dem Dienstherrn zu beurteilen, ob die Betroffenen sich auf dem konkreten Dienstposten bewähren. Diese Regelung ist im Vergleich zur (obergerichtlichen) Erprobung vorzugswürdig. Sie würde es gleichermaßen ermöglichen, eine Richterin oder einen Richter vor einer Beförderung in einer Erprobungszeit auf dem Dienstposten einer/eines Vorsitzenden Richter*in als auch auf dem Dienstposten als Beisitzer*in an einem Obergericht einzusetzen. Die unstreitig bestehenden positiven Effekte einer Erprobung, insbesondere der Einblick in die Arbeitsweise und das Verfahrensrecht eines Obergerichts, blieben so für den Personenkreis, der an einem Obergericht tätig sein möchte und für den diese Erfahrungen deshalb besonders wichtig sind, gewahrt.
Es gibt mithin genug Anlass, das Erprobungserfordernis auf den Prüfstand zu stellen, anstatt es nun einfach auch noch gesetzlich festzuschreiben.
D.
Mit dem Gesetzentwurf wird nicht nur eine Gelegenheit zur Weiterentwicklung des Beurteilungswesens zu einem modernen und effektiven Instrumentarium einer leistungsgerechten Ämterbesetzung vertan. Die rechtlich fragwürdige Pauschalermächtigung beschneidet auch die Mitbestimmungsrechte der Vertretungen von Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte. Durch die gesetzliche Festlegung der Erprobung als zwingende Beförderungsvoraussetzung wird zudem ein in Sinn und Zweck höchst zweifelhaftes Instrumentarium ohne jede Evaluierung zementiert.
Johannes Orth
Nuria Alkonavi
Felix Helmbrecht