Bericht zur Podiumsdiskussion zum Thema Maßregelvollzug am 27.02.2025
Es gab und gibt Anlass genug, sich mit dem Maßregelvollzug zu befassen. Die Vollzugskapazitäten sind knapp, die Einweisungszahlen langfristig betrachtet stetig steigend. Die Zustände in den Vollzugskrankenhäusern sind vielfach geprägt durch Überbelegung und Personalmangel. Wie stellt sich die Entwicklung konkret dar? Sind Effekte durch die Novellierung des Anwendungsbereichs des § 64 StGB eingetreten? Welche Rolle spielen wir als Richter*innen und Staatsanwält*innen in dem Gesamtgefüge und werden wir unseren Aufgaben gerecht? Zur Klärung dieser Fragen hatten wir uns Sachverstand aus ganz verschiedenen Richtungen für die Podiumsdiskussion am 27. Februar 2025 eingeladen.
Frau Dr. Dorothea Gaudernack repräsentierte die Verwaltungsebene. Seit 2015 war sie maßgeblich am Aufbau der neu geschaffenen Fachaufsichtsbehörde über den bayerischen Maßregelvollzug beteiligt und übernahm deren Leitung. Seit 2022 ist sie Leiterin des Referats Maßregelvollzug und öffentlich-rechtliche Unterbringung im Bayerischen Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales. Sie wusste für Bayern zu berichten, dass dort nach der Änderung des § 64 StGB ein massiver Rückgang der Maßregelanordnungen Suchtkranker zu verzeichnen sei. Frühere Reformversuche hätten nur eine „kurzfristige Delle“ bewirkt. Es bestehe aber dieses Mal Grund zu der Annahme, dass die Wirkung nachhaltiger sei. Dies habe Auswirkungen auf den Strafvollzug in den Justizvollzugsanstalten. Dort kämen nunmehr deutlich mehr suchtkranke Menschen an. Dies stelle den Justizvollzug wiederum vor eigene Herausforderungen. Im Übrigen sei festzustellen, dass im Maßregelvollzug nach § 63 StGB tendenziell immer Menschen untergebracht werden und dies auch bei vergleichsweise geringfügigen Anlassdelikten.
Herr Dr. Dominik Dabbert ist Chefarzt der Bremer Maßregelvollzugseinrichtung. Er bestätigte den Eindruck von Frau Dr. Gaudernack, dass zunehmend geringfügige Anlasstaten zur Maßregelanordnung nach § 63 StGB führen. Besonders extrem war der von ihm geschilderte Fall, eines Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz als Anlasstat. Der Vorfall ist äußerst fragwürdig zur Begründung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Es sei eine Verschiebung dahingehend festzustellen, dass die allgemeinpsychiatrische Versorgung bestimmte Personen nicht mehr erreiche und diese dann auch schon bei verhältnismäßig geringfügigen Delikten dem Maßregelvollzug zugewiesen würden. Die Vollzugssituation in Bremen sei insgesamt angespannt. Die Einrichtung hat 155 Plätze. Die Belegung liegt nach Mitteilung von Herrn Dr. Dabbert aktuell bei 160 Untergebrachten. Problematisch im Hinblick auf Entlassungsperspektiven sei das Fehlen von Einrichtungen, die einen geschützten Rahmen bieten.
Als langjähriger Kommentator der §§ 63 ff. StGB und Strafverteidiger brachte Herr Prof. Dr. Helmut Pollähne einige grundsätzliche Kritikpunkte, insbesondere betreffend die Unterbringung nach § 63 StGB ein. Das Fehlen einer Befristung führe zu fragwürdigen Vollzugsdauern ohne Entlassungsperspektive. In den Kliniken werde von vornherein von langen Vollzugsdauern ausgegangen und könne immer wieder nicht festgestellt werden, dass fokussiert daran gearbeitet werde, zeitnah die Voraussetzungen für eine Entlassung herbeizuführen. Sowohl hinsichtlich der Maßregelanordnung als auch der Fortdauerüberprüfungen übte Herr Prof. Pollähne auch deutliche Kritik an der Justiz. Er könne wahrnehmen, dass nicht in jedem Fall eine unabhängige an den Rechtsgrundlagen orientierte Prüfung erfolge. Eine Kritik, der sich Frau Dr. Gaudernack und Herr Dr. Dabbert eingeschränkt, indes aber deutlich bezüglich der vorläufigen Unterbringungsanordnungen nach § 126a StPO, anschlossen. Herr Prof. Pollähne erklärt ferner, dass er seitens der Justiz die Einnahme einer Forderungshaltung gegenüber dem Vollzugs- und Hilfssystem vermisse, etwa in den Fällen, bei denen Entlassungen am Fehlen von Anschlussbetreuungen scheiterten.
Die Veranstaltung war erfreulich gut besucht, wobei sich die verschiedene Besetzung des Podiums im Publikum spiegelte. Die Fragen an die Referent*innen waren entsprechend vielfältig. Aus der Diskussion ging noch als wesentlicher Punkt hervor, dies nach übereinstimmender Einschätzung aller Referent*innen, dass zur Vermeidung sowohl von Maßregelanordnungen als auch deren unnötig langer Dauer auch das System der allgemeinpsychiatrischen Versorgung in den Blick zu nehmen ist. Das PsychKG greife beispielsweise nur bei akuter Selbst- und/oder Fremdgefährung. Wenn diese Einschätzung nicht mehr aktuell sei, biete dieses keine Grundlage mehr für weitere Maßnahmen, die indes in Einzelfällen notwendig seien. Auf diese Weise gelangten psychisch Kranke in den maximal eingriffsintensiven Maßregelvollzug, welcher durch die Sicherstellung einer Behandlung im Vorfeld hätte vermieden werden können.
Die Veranstaltung bot – wie nicht anders zu erwarten war – keine fertigen Antworten. Es konnte aber der Fokus erweitert und durch den interdisziplinären Austausch ein tieferes Verständnis für die spezifischen Problemlagen und Zusammenhänge erreicht werden. Kurzfristig lässt sich der dringende Appell aller Praktiker*innen mitnehmen, die Prüfung der Anordnungsvoraussetzungen, auch bei der vorläufigen Unterbringung nach § 126a StPO, und der Maßregelfortdauer unabhängig und in strenger Orientierung an den gesetzlichen Voraussetzungen und deren enger Auslegung vorzunehmen. Bei der Abwägung des Freiheitsrechts mit den Belangen der öffentlichen Sicherheit im Rahmen der Verhältnismäßigkeit gilt es sich nicht von dem öffentlichen Diskurs treiben zu lassen, der letzterer zunehmend einseitig den Vorrang gibt. Diesem Anspruch wird die Justiz, so die einhellige Wahrnehmung der Referent*innen, leider nicht stets gerecht.