Anhebung des Zuständigkeitsstreitwerts für die Amtsgerichte

Stellungnahme für die Bund-Länder-Arbeitsgruppe

Zu dem Anliegen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe nehmen wir für die Neue Richtervereinigung wie folgt Stellung:

Eine insgesamt im Verband abgestimmte Meinung können wir schon wegen der Kürze der hier zur Verfügung stehenden Zeit nicht präsentieren. Eine Abfrage bei den Mitgliedern hat aber durchaus ein geschlossenes Meinungsbild ergeben, das hier in seinen Grundzügen wiedergegeben werden soll und von den Unterzeichnerinnen mitgetragen wird.

  1. Zur Anhebung des Zuständigkeitsstreitwerts

Es besteht grundsätzlich Einigkeit, dass eine Anhebung der Streitwertgrenze für die Zuständigkeit der Amtsgerichte geboten ist. Dabei ist insbesondere hervorzuheben, dass ein Zuständigkeitsstreitwert von 5.000,00 € angesichts der Geldentwertung nicht mehr zeitgemäß ist. Diese Begrenzung führt bereits zu einer teilweise erheblichen Reduzierung der Fallzahlen bei den Amtsgerichten. Beklagt wird zudem, dass angesichts dieses Streitwerts das Amtsgericht als Zivilgericht (mit Ausnahme in Mietsachen) anders als z. B. in Strafsachen zu einem Gericht vor allem in Bagatellverfahren geworden ist – so gibt es die Bau-, Bank- oder Arzthaftungssache mit einem Gegenstandswert von 5.000,00 € praktisch nicht mehr – worunter nicht zuletzt die Arbeitszufriedenheit der mit diesen Verfahren befassten Richter:innen leidet.

Allerdings ist hier der Zielkonflikt mit dem sich aus § 72 a Abs. 1 GVG ergebenden Ausbau der Spezialisierung hervorzuheben, die der Gesetzgeber nur bei den Landgerichten für erforderlich hält und dort dem Kammerprinzip Vorrang einräumt.
Dieser Zielkonflikt bedarf der Auflösung. So wird vorgeschlagen, die Zuständigkeit von Amts-  und Landgericht streitwertunabhängig zu formulieren. Wir zitieren insoweit aus der Zuschrift eines Mitglieds, eines Präsidenten eines Landgerichts:

„Eine Anhebung der Streitwertgrenze steht aber in einem Zielkonflikt mit dem Ausbau der Spezialisierung: Einerseits soll eine bürgernahe Justiz auch in der Fläche erhalten bleiben, wozu eine Erhöhung beitragen würde, weil dies den Bestand ländlicher Gerichte sichern würde. Andererseits muss die Justiz auf die zunehmende Komplexität unserer Rechtsordnung und die immer stärkere Spezialisierung der Anwaltschaft reagieren. Genau um diese Spezialisierung zu fördern, hat der Gesetzgeber seit 2018 die Landgerichte in § 72a I GVG verpflichtet, Spezialkammern für Bank-, Bau-, Arzthaftungs-, Versicherungs-, Presse-, Erb- und Insolvenzsachen zu bilden. In diesen Verfahren ist zudem originär die Kammer und nicht der Einzelrichter zuständig (§ 348 I Nr. 2 ZPO), sie sollen also nach dem Willen des Gesetzgebers durch drei Berufsrichter entschieden werden (in der Praxis entscheidet beim Landgericht T. jedoch im Regelfall der Einzelrichter). Eine Erhöhung der Streitwertgrenze würde nun dazu führen, dass diese Spezialmaterien unterhalb des angehobenen Zuständigkeitsstreitwerts wieder aus der Zuständigkeit einer spezialisierten Kammer in die Zuständigkeit der (trotz der Möglichkeit in § 13 GVG praktisch kaum spezialisierten) Amtsgerichte fallen. Dieses Ergebnis kann kaum im Interesse des Gesetzgebers sein, weil es Sinn und Zweck der Reform aus dem Jahr 2018 und die Zielsetzung des aktuellen Koalitionsvertrags konterkarieren würde.

 Eine zeitgemäße Auflösung des eingangs beschriebenen Zielkonflikts wäre es daher, den Weg der streitwertunabhängigen Zuständigkeitszuweisung an Amts- und Landgerichte weiterzugehen und die Zuständigkeit verstärkt nach anderen Variablen zu bestimmen. Wo Ortsnähe sinnvoll ist – etwa in mietrechtlichen Streitigkeiten (vgl. § 23 Nr. 1 GVG), Nachbarstreitigkeiten und Verkehrsunfallsachen – sollte sie deutlich stärker in den Vordergrund treten. Wo hingegen Sachkunde deutlich wichtiger ist, sollte diese im Mittelpunkt stehen.

Das spricht dafür, den Zuständigkeitsstreitwert in § 23 Nr. 1 GVG deutlich über den Inflationsausgleich (7700.- €) anzuheben, aus meiner Sicht auf 10.000.- €, gleichzeitig aber für viele Spezialgebiete aufzugeben. Unabhängig vom Streitwert den Landgerichten zugewiesen werden sollten in jedem Fall die in § 72a GVG genannten Rechtsgebiete, ggf. auch die weiteren in § 348 I Nr. 2 ZPO genannten Gebiete. Die Amtsgerichte wären dann für deutlich höhere Streitwerte zuständig, allerdings beschränkt auf die eher „allgemeinen“ Rechtsmaterien, also insbesondere das Miet-, Kauf- und Verkehrsunfallrecht. Für Spezialmaterien, die besondere Sachkunde erfordern, wären hingegen streitwertunabhängig die Landgerichte zuständig.“

Unabhängig von diesen Überlegungen weisen die Unterzeichnerinnen darauf hin, dass die Diskussion um die Anhebung des Zuständigkeitsstreitwerts Veranlassung sein sollte, grundsätzlich der Frage nachzugehen, ob es einer Aufspaltung der Zuständigkeit in Amts- und Landgericht überhaupt bedarf. Der ursprüngliche Gedanke, dass Streitigkeiten mit höheren Gegenstandswerten komplexer und/oder rechtlich diffiziler seien und daher einer kollegialen Entscheidung bedürfen, ist nicht nur im Ansatz zweifelhaft, sondern entspricht auch nicht mehr der Rechtspraxis an den Landgerichten, wo oftmals Streitigkeiten bis zu Millionenstreitwerten regelmäßig den Einzelrichter:innen (und damit nicht selten frischgebackenen Assessor:innen) zugewiesen werden.

Das derzeitige System eines Nebeneinanders von Amts- und Landgerichten als Eingangsinstanzen folgt damit keiner inneren Logik: Aufgrund des nahezu umfassenden Einzelrichterprinzips an den Landgerichten werden in den nicht einer Spezialkammer zugeordneten Fällen praktisch alle Verfahren von Einzelrichter:innen entschieden, die sich bis auf die Kammervorsitzenden sämtlichst im richterlichen Eingangsamt befinden. Hängt man der These an, dass ein Beförderungsamt auch eine höhere rechtliche Qualifikation belegt, dann ist die Unterscheidung zwischen Amts- und Landgericht nicht nachvollziehbar. Diese Widersprüchlichkeit setzt sich darin fort, dass häufig auch Berufungsentscheidungen von Einzelrichter:innen getroffen werden. Für den Rechtssuchenden erschließt sich nicht, welche höhere Richtigkeitsgewähr eine Entscheidung hat, die von der im hierarchischen System gleichgestellten Richter:in gefasst wird. Wir schlagen daher vor, eine umfassende Reform des Prozessrechts zu erwägen, mit einer einheitlichen Eingangsinstanz, wobei hinsichtlich der Spezialmaterien Konzentrationen zu bestimmten Gerichtsstandorten möglich sein sollten und Entscheidungen in diesen Spezialmaterien sowie in der Rechtsmittelinstanz durch einen Spruchkörper die Regel sind. Eine solche Konzentration ermöglicht zudem die Beibehaltung einer bürgernahen Justiz, weil so die bisherigen Amtsgerichte als Eingangsgericht vor Ort erhalten bleiben können.

  1. Zu den Folgen einer Anhebung des Zuständigkeitsstreitwerts

Einigkeit besteht auch dahingehend, dass die personellen Folgen einer Anhebung des Zuständigkeitsstreitwerts zu bedenken sind. Dies gilt nicht nur für den richterlichen Dienst sondern auch für alle nachgeordneten Bereiche, ohne die die Gerichte nicht funktionieren. Dabei ist dringend zu fordern, den Personalbedarf – auch angesichts der fortschreitenden Digitalisierung – neu zu erheben. Es herrscht der Eindruck vor, dass Digitalisierung derzeit zu Mehrarbeit führt und nicht zu dem angestrebten Gegenteil. Hinzukommt, dass allein von den Amtsgerichten der richterliche Bereitschaftsdienst zu gewährleisten ist. Ob hier das Zahlenwerk bei Pebb§y noch auf der Höhe der Zeit ist, muss bezweifelt werden.

Wichtig ist, dass die Anhebung des Zuständigkeitsstreitwerts zwingend und gleichzeitig auch mit einer Neubewertung der amtsgerichtlichen Pebb§y-Produkte einhergeht. Ansonsten ist zu befürchten, dass bei einer bloßen Anhebung des Zuständigkeitsstreitwerts bei gleichbleibender Pebb§y-Basiszahl an dem jeweiligen Gericht die Anhebung zu einer großen Personaleinsparungsmaßnahme führt. Es ist also nicht erst nach einer möglichen Änderung des Prozessrechts zu prüfen, ob sich der durchschnittliche Bearbeitungsaufwand verändert, sondern die sofortige Neubewertung muss demgegenüber unverzichtbare Voraussetzung für eine Streitwerterhöhung sein.

 

 

2.

Es wird darauf hingewiesen, dass auch § 708 Nr. 11 ZPO angepasst werden sollte, (1.500,00 €).

 

  1. Beschwer und § 495a ZPO

1.

Einheitlich zustimmend unter unseren Mitgliedern ist die Bewertung der Anhebung etwa der Berufungssumme nicht. Der Gesetzgeber muss hier in den Blick nehmen, dass eine solche Anhebung nicht berücksichtigt, dass z. B. Bezieher*innen von ALG II – Zahlungen lediglich 449, -€ im Monat zur Verfügung haben. Ihnen wird mit der Anhebung der Beschwer eine Berufung unmöglich gemacht.

 

 

2.

Noch deutlicher fällt die Kritik an einer Anhebung der Grenze zur Durchführung eines Verfahrens gem. 495a ZPO aus. Dieses Verfahren wird grundsätzlich in Frage gestellt und darauf hingewiesen, es tue dem Recht nicht gut, wenn es unkontrolliert gesprochen werden könne. Zudem wird bereits jetzt auch in gängiger Kommentarliteratur, vgl. Zöller (Herget) zu § 495a ZPO, Rdn.1, problematisiert, dass richtig angewandt, die Regelung kaum eine richtige Entlastung bringen könne, „der Richter“ der Versuchung, ihn missbräuchlich anzuwenden, widerstehen müsse. Die Anhebung der Wertgrenze ist hier jedenfalls nicht zwingend.

 

Unsere Stellungnahme kann nicht abschließend sein. Wir gehen aber davon aus, auch weiterhin in den Meinungsbildungsprozess eingebunden zu werden.

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