Überarbeitung der BeurteilungsAV und der AnforderungsAV
Wir danken namens der Neuen Richtervereinigung für die Möglichkeit, zu den von Ihnen beabsichtigten Änderungen der Beurteilungsrichtlinien (AnforderungsAV und BeurtAV) Stellung nehmen zu können.
Wir raten davon ab, die o.g. Richtlinien zu ändern. Vielmehr empfehlen wir, umgehend eine Gesetzesvorlage für das Abgeordnetenhaus unter Beteiligung der Gremien und Verbände zu erarbeiten. Die Gesetzesvorlage sollte eine Änderung des Berliner Richtergesetzes zum Inhalt haben, mit der die wesentlichen Vorgaben für die Erstellung der dienstlichen Beurteilungen vchtern, mithin betreffend den Inhalt und das Verfahren zur Erstellung dieser Beurteilungen, geregelt werden. Die wesentlichen Vorgaben für die Erstellung der Beurteilungen müssen vom Gesetzgeber bestimmt und dürfen nicht der Exekutive in Gestalt von Verwaltungsvorschriften überlassen werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Dezember 2020 – 2 B 63/20 –, juris Rn. 22 f. m.w.N.).
Die im Land Berlin für die dienstlichen Beurteilungen von Richtern maßgebliche Vorschrift erscheint defizitär. § 9 Abs. 3 Berliner Richtergesetz überlässt die Regelung der dienstlichen Beurteilung von Richtern in Gestalt einer Blankettermächtigung der obersten Dienstbehörde in Form von
Beurteilungsrichtlinien, d.h. bloßen, dem Wesentlichkeitsgebot nicht genügenden Verwaltungsvorschriften. Das Richtergesetz des Landes Berlin selbst bestimmt in § 9 Abs. 1 und 2 unmittelbar nur wenige inhaltliche Vorgaben. Es regelt lediglich die Arten der Beurteilungen, den Vorrang der Regelbeurteilung und den Anspruch des betroffenen Richters auf Beteiligung des Richterrats an der Besprechung der dienstlichen Beurteilung (vgl. BVerwG a.a.O. Rn. 24).
Die Beurteilungsrichtlinien, deren Änderung beabsichtigt ist, sind verfassungswidrig, da sie gegen den Vorbehalt des Gesetzes (vgl. Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz) verstoßen. Es mag letztlich auf sich beruhen, ob die Beurteilungsrichtlinien, deren Änderung beabsichtigt ist, übergangsweise weiter anzuwenden sind, obwohl sie gegen diesen Vorbehalt verstoßen. Denn die Senatsverwaltung ist jedenfalls aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht befugt, diese verfassungswidrigen und damit nichtigen Verwaltungsvorschriften zu ändern (vgl. BVerwG, Urteile vom 26. Juni 2008 – 2 C 2.07 –, juris Rn. 9 und 11, und vom 28. Mai 2008 – 2 C 24.07 –, juris Rn. 12). Durch die beabsichtigte Änderung der Beurteilungsrichtlinien würde erneut gegen den Vorbehalt des Gesetzes verstoßen und der bereits bestehende Verstoß gegen diesen verfassungsrechtlichen Grundsatz intensiviert, – anders gesagt – vertieft.
Aus diesen Gründen darf von der verfassungsrechtlich unzureichenden Ermächtigung in § 9 Abs. 3 Berliner Richtergesetz nicht weiter Gebrauch gemacht werden. Stattdessen sollte umgehend die genannte Gesetzesvorlage erarbeitet werden (vgl. dazu Art. 59 Abs. 2 i. V. m. Art. 67 Abs. 1 Nr. 1 Verfassung von Berlin), um den baldigen Erlass des verfassungsrechtlich gebotenen Änderungsgesetzes zu fördern.
Insbesondere auf eine mögliche Diskontinuität kann sich in diesem Zusammenhang nicht berufen werden, denn zum einen zeigt das hiesige Beteiligungsverfahren, dass auch direkt vor Wahlen zum Abgeordnetenhaus wichtige Grundsatzangelegenheiten weiter zu bearbeiten sind, zum anderen liegt es allein in der Zuständigkeit des Abgeordnetenhauses, von der gemäß Art. 41 Abs. 1 Verfassung von Berlin i.V.m. § 92 Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin bisher allgemein normierten Diskontinuität abzuweichen; andernfalls ist es Pflicht des Senats, die Gesetzesvorlage sofort erneut einzubringen, so dass mit der Erarbeitung einer Gesetzesvorlage und dem hierzu erforderlichen Beteiligungsverfahren mit Blick auf die besondere Bedeutung des Beurteilungswesen gemäß Art. 33 Grundgesetz nicht bis nach der Wahl abgewartet werden darf.
Das erforderliche Änderungsgesetz sollte genutzt werden, um das Beurteilungswesen grundlegend und umfassend zu reformieren. Hierzu haben wir mit Blick auf die von uns seit langem vertretene Verfassungswidrigkeit der Beurteilungsrichtlinien bereits weitreichende Vorschläge in unserer Stellungnahme vom 19. November 2019, die in der Anlage nochmals übersandt wird, erarbeitet. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass mit Blick auf das vergleichsweise änderungsanfällige Richtergesetz eine regelmäßige Evaluation noch aussteht. Zu den Grundsätzen der Gesetzesevaluation sei auf die bereits 1983 erschienene Forschungsarbeit von Prof. Dr. Dr. Klaus König (König, Klaus,
Evaluation als Kontrolle der Gesetzgebung, Speyer 1983) verwiesen. Mit dem Institut für Gesetzesfolgenabschätzung und Evaluation (InGFA) ist nunmehr bereits seit längerem ein öffentliches Forschungsinstitut vorhanden, das methodenkompetent hierzu Anleitungen geben kann.
Des Weiteren weisen wir mit Blick auf die Verfassungswidrigkeit des Beurteilungswesens darauf hin, dass Art. 9 Abs. 2 des Staatsvertrags über die
Errichtung gemeinsamer Fachobergerichte der Länder Berlin und Brandenburg anlässlich der Erarbeitung des Änderungsgesetzes ebenfalls zu ändern wäre, und zwar dahin, dass nunmehr beide Länder darauf hinwirken, dass gesetzliche und untergesetzliche Regelungen über das Beurteilungswesen für Gerichtsbarkeiten mit gemeinsamen Obergerichten in beiden Bundesländern einheitlich ergehen. Insofern
dürfte gerade in diesem Feld ein weitreichender Anknüpfungspunkt für eine effektive Normenevaluation im Beurteilungswesen gegeben sein, von der auch Gerichtsbarkeiten ohne gemeinsame Obergerichte profitieren können.
Die Vorschläge in unserer Stellungnahme vom 19. November 2019 würden sich in eine nunmehr ohnehin gebotene Änderung des Beurteilungsrechts einfügen.Insbesondere haben alle Punkte zu formellen Aspekten des Beurteilungswesens (Zuständigkeit, Verfahren, Beurteilungsarten) nicht an Relevanz verloren. Ergänzend merken wir zum jetzigen Zeitpunkt lediglich noch Folgendes an:
- Wir begrüßen grundsätzlich, dass die Diversität nunmehr auch Einzug in die juristische Personalentwicklung hält.
- Aus gleichstellungspolitischen Gründen ist es im zukünftigen Beurteilungswesen erforderlich, dass Engagement nicht mehr in zusätzlicher Arbeitszeit gemessen wird. Andernfalls dürfte nach europarechtlichen Grundsätzen zumindest eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Familienstandes oder sogar des Geschlechts gegeben sein, denn zusätzlichen Arbeitsaufwand kann nur übernehmen, wer nicht durch Pflegearbeit außerhalb seiner Erwerbsarbeit bereits gebunden ist. Insofern sollte ein zukünftiges Beurteilungswesen dafür Sorge tragen, dass solche gesellschaftlichen Fehlanreize nicht noch befördert werden.
Mari Weiß
Marianne Krause