Stellungnahme zum Gesetzesentwurf zur Bestimmung Georgiens und der Republik Moldau als sichere Herkunftsländer

Die Neue Richtervereinigung bedankt sich für die Möglichkeit, zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Bestimmung Georgiens und der Republik Moldau als sichere Herkunftsstaaten Stellung zu nehmen. Zunächst möchten wir jedoch darauf hinweisen, dass diese Verbändebeteiligung mit einer derart unangemessen kurzen Frist verbunden ist, die dem eigentlichen Zweck der Verbändebeteiligung widerspricht, zumal Eilbedürftigkeit hier nicht zu erkennen ist. Die in den Verbänden vorhandene Expertise kann so kaum zielführend dargestellt werden. Demgemäß behalten wir uns vor, auch im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zu relevanten Punkten Stellung zu nehmen. Wegen dieser kurzen Frist bezieht sich unsere Stellungnahme auch nur auf den Herkunftsstaat Georgien.

Die Neue Richtervereinigung weist darauf hin, dass es äußerst fraglich erscheint, ob die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen des Art. 16a Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz für die Bestimmung von Georgien als sicherer Herkunftsstaat vorliegen. Die deutsche Rechtsprechung zum Herkunftsland Georgien ist keinesfalls völlig einheitlich. So wird internationaler Schutz nicht nur in ganz extremen Einzelfällen zuerkannt.

Vielmehr erkennt das VG Berlin LGBT-Personen in ständiger Rechtsprechung den Flüchtlingsstatus zu. Darüber hinaus entschieden in den vergangenen Jahren und auch in jüngster Zeit mehrere deutsche Verwaltungsgerichte unabhängig voneinander, dass von Ehrenmord bedrohten Frauen aus Georgien und deren Kindern subsidiärer Schutz zuzuerkennen sei. Die Gerichte trafen dabei mehrfach verallgemeinerungsfähige Feststellungen auch zum Fehlen inländischer Fluchtalternativen.

Durch die Einstufung Georgiens als sicherer Herkunftsstaat drohen mithin insbesondere Personengruppen, welche sich der patriarchalisch geprägten Gesellschaftsordnung Georgiens nicht unterwerfen wollen oder können, benachteiligt zu werden.

Nachfolgend ein Überblick über verwaltungsgerichtliche Urteile der letzten Jahre, in denen Asylsuchenden aus Georgien ein internationaler Schutzstatus zuerkannt wurde:

I. VG Halle (Saale), Beschluss vom 15. Mai 2023 – 5 A 224/22 –, juris: subsidiärer Schutz für Familie wegen Bedrohung durch Ex-Partner

„Danach steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass nicht nur die Klägerin zu 2., sondern auch deren Kinder, die Kläger zu 3. und 4., sowie der Kläger zu 1. als ihr zweiter Ehemann wiederholt und beharrlich vom Ex-Mann der Klägerin zu 2. bedroht und angegriffen wurden.“ (juris, Rn. 29)

„Gegen die Annahme, dass für die Kläger in einem anderen Teil Georgiens keine begründete Furcht vor Verfolgung droht oder sie dort Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3 d AsylG haben, spricht bereits der Umstand, dass dies den glaubhaften Schilderungen der Kläger zu 1. und 2. zufolge in der Vergangenheit weder in Tiflis, noch in Kobuleti, noch in Batumi, noch in Gori gewährleistet war und der Ex-Mann der Klägerin zu 2. gegenüber signalisierte, dass sie schon irgendwann wieder zurück nach Georgien kämen und er sie dann kriegen werde.

Unbeschadet dessen erscheint den Klägern angesichts der verheerenden Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die georgische Wirtschaft (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsdienst der Staatendokumentation, Georgien, vom 15. Oktober 2021, S. 47) eine innerstaatliche Fluchtalternative auch unter humanitären Gesichtspunkten nicht zumutbar, zumal die Kläger ihren ebenfalls glaubhaften Angaben zufolge im Herkunftsland nicht mehr über eine Unterkunft verfügen.“ (juris, Rn. 32-33)

II. VG Berlin, Urteil vom 1. April 2022 – 38 K 467/20 A –, juris: Flüchtlingsschutz für lesbische Frau wegen drohender Zwangsheirat und Diskriminierung

„In der Gesamtschau und Abwägung aller Umstände ist davon auszugehen, dass sich die LGBTI+-Gemeinschaft in Georgien insgesamt einer solchen erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sieht. Gewalttätige Übergriffe bilden insoweit nur die schwerwiegendsten Manifestationen einer weit verbreiteten homophoben und transphoben Grundhaltung, die nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln für LGBTI+-Personen in nahezu allen Bereichen des täglichen Lebens zu teilweise massiven Problemen führt. Wie die Kammer bereits in ihren Entscheidungen vom 21. November 2019 festgestellt hat, sehen sich LGBTI+-Personen in zentralen Lebensbereichen wie dem Berufs- und Arbeitsleben, dem Bildungsbereich und sogar der medizinischen Versorgung häufig mit erheblicher Diskriminierung und daraus resultierenden Zugangshindernissen konfrontiert (ausführlich hierzu VG Berlin, Urteil vom 21. November 2019 – VG 38 K 170.19 A –, juris Rn. 50 ff. m.N.). Auch der Zugang zu einer adäquaten medizinischen Versorgung ist aufgrund eines verbreiteten Stigmadenkens des medizinischen Personals sowie Unkenntnis und Unwissen über die spezifischen medizinischen Bedürfnisse von LGBTI+-Personen erschwert (VG Berlin, Urteil vom 21. November 2019 – VG 38 K 170.19 A –, juris Rn. 51 m.N.). Überdies findet die Abneigung gegenüber LGBTI+-Personen in der Form von „Hate-Speech“ verbreitet Ausdruck in der georgischen Gesellschaft (VG Berlin, Urteil vom 21. November 2019 – VG 38 K 170.19 A –, juris Rn. 58 m.N.).

Seit den genannten Kammerentscheidungen lässt sich nach Erkenntnislage des Gerichts auch in den vorstehend genannten Bereichen keine wesentliche Besserung verzeichnen.“ (juris, Rn. 36-37)

 „Schließlich besteht für die Klägerin auch keine interne Fluchtalternative. Zwar ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ausgeschlossen, wenn der Schutzsuchende in einem Teil des Zielstaates keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung hat und er sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt, § 3e Abs. 1 AsylG. Nach den Erkenntnissen des Gerichts ist die geschilderte unmenschliche und erniedrigende Behandlung durch die georgische Gesellschaft jedoch nicht auf einzelne Landesteile Georgiens beschränkt. Auch fehlt es im gesamten Staatsgebiet an der gebotenen Schutzbereitschaft des Staates (dazu ausführlich Kammerurteil vom 21. November 2019 – VG 38 K 170.19 A –, juris Rn. 81; siehe auch Kammerurteil vom 21. November 2019 – VG 38 K 148.19 A –, juris Rn. 72; zudem VG Berlin, Urteil vom 9. April 2021 – VG 38 K 141/20 A –, juris Rn. 51 f.). Der Umstand, dass sich in Tiflis inzwischen eine aktive LGBTI+-Szene herausgebildet hat, führt – wie bereits ausgeführt wurde – ebenfalls nicht dazu, dass sich LGBTI+-Personen dort im alltäglichen Leben nicht mehr einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sehen.“ (juris, Rn. 50)

III. VG Sigmaringen, Urteil vom 20.10.2021 – A 13 K 3663/19 -, asyl.net: M30188: subsidiärer Schutz für Frau mit minderjährigem Sohn wegen Bedrohung durch Ex-Partner

„Die Kläger sind in diesem Zusammenhang als vorverfolgt i. S. d. Art. 4 Abs. 4 QRL anzusehen. Denn beide, insbesondere die Klägerin zu 1, haben vor ihrer Ausreise, konkret seit 2012 bis zu seiner Verhaftung im Jahre 2018, haben seitens des Ex-Mannes massive physische Verletzungen, Nachstellungen und Demütigungen erlitten. […]

Denn es ist nicht gesichert, dass den Klägern nicht landesweit ein ernsthafter Schaden durch den Ex-Mann drohte. Mithin fehlt es an der Voraussetzung des § 3e Abs. 1 Nr. 1 AsylG, d. h. den Klägern droht landesweit ein ernsthafter Schaden: […] Denn im Verlauf der mündlichen Verhandlung hat sich ergeben, dass die Klägerin zu 1 nicht über das alleinige Sorgerecht für den Kläger zu 2 verfügt, sondern dass dies vielmehr zwischen den Eltern (auf)geteilt ist. Hieraus schließt der erkennende Berichterstatter, dass es dem Ex-Mann der Klägerin zu 1 als Sorgeberechtigten des Klägers zu 2 unschwer möglich sein würde, den Aufenthaltsort desselben in Erfahrung zu bringen. Nachdem der Ex-Mann wiederholt und nachhaltig sein Interesse, diesen Aufenthaltsort in Erfahrung zu bringen, “dokumentiert” hat, erscheint es beachtlich wahrscheinlich, dass er auch in Zukunft ein gesteigertes Interesse und zugleich die rechtliche wie tatsächliche Möglichkeit dazu hätte, den Aufenthaltsort der Kläger im Falle ihrer Rückkehr nach Georgien in Erfahrung zu bringen.

Angesichts dieses Risikos und der Unfähigkeit des georgischen Staates, die Kläger wirksam von dem Ex-Mann zu schützen, besteht die vermutete Verfolgungsgefahr fort, ohne dass die Kläger hiervor (staatlichen wie internen) Schutz erhalten könnten.“

IV. VG Stade, Urteil vom 25.03.2021 – 3 A 2387/17 – asyl.net: M29729: Flüchtlingsschutz für yezidische Frau wegen drohendem Ehrenmord durch Familie

„Die Klägerin ist in Georgien von nichtstaatlichen Akteuren i. S. d. § 3c Nr. 3 AsylG verletzt und mit dem Tod bedroht worden. Bei diesen Akteuren handelt es sich um die yezidische Familie der Klägerin einerseits und die von dieser Familie instrumentalisierten Helfer andererseits. […]

Der georgische Staat ist auch heute noch nicht ausreichend willens und in der Lage, der Klägerin Schutz im Sinne von § 3d AsylG zu gewähren. Zwar ist Georgien zahlreichen internationalen Abkommen zum Schutz der Menschen- und Frauenrechte beigetreten und die Bereitschaft, gegen Gewalt innerhalb von Familien vorzugehen, hat zugenommen. Fälle häuslicher Gewalt werden von der Gesellschaft und den Behörden indes weiterhin meist als interne Familienangelegenheit betrachtet (Auswärtiges Amt, Seite 11). Gesetzliche Regelungen gegen Diskriminierung von Frauen und gegen die weit verbreitete häusliche Gewalt werden noch nicht ausreichend angewandt (Auswärtiges Amt Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien, Stand November 2020. Seite 12).“

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