Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften sowie sonstigen dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten

2. August 2024| Stellungnahme, FG Strafrecht

Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches

Die Neue Richtervereinigung bedankt sich für die Gelegenheit zur Stellungnahme. Gleichwohl lehnen wir die im Referentenentwurf vorgesehenen Änderungen aus einer Reihe gewichtiger Gründe ab.

Wir gehen auf den Entwurf zur Anpassung des § 46 Abs. 2 StGB ein (A.) und führen sodann zu § 113 Abs. 2 StGB-E aus (B.).

 

A.   Zur Änderung des § 46 Abs. 2 StGB

Zunächst handelt es sich bei der „Eignung der Tat, eine dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen“ bislang um kein anerkanntes Strafzumessungskriterium, weswegen das Gesetz entgegen der Entwurfsbegründung nicht lediglich der Klarstellung dienen würde (I.). Eine Einführung dieses Kriteriums als Novum wird abgelehnt, weil dadurch eine inkonsistente Gesetzeslage entstünde (II.). Denn die Eignung der Tat ist kein Unterfall ihrer Auswirkungen (II. 1.) und die Formulierung ist im Übrigen – entgegen der erklärten Intention des Entwurfsverfassers – so weit geraten, dass sie eine verschuldensunabhängige Haftung für hypothetische Kausalverläufe umfassen würde (II. 2.). Andererseits enthält die Formulierung Redundanzen (II. 3.). Durch die Anerkennung des Strafzumessungskriteriums würden zudem die Gesetzesbestimmtheit und die Rechtssicherheit geschwächt werden (III.). Denn diese gebieten, eine verschärfte Haftung für potentielle Gefahren, wie sie sich aus dem Zumessungskriterium der „Eignung der Tat“ ergibt, systematisch in einem Gesetzestatbestand des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs, der dem strengen Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG unterliegt, tatbestandlich eng zu umreißen und nicht dem unscharfen Bereich der Strafzumessung zu überlassen. Zudem wird der Entwurf abgelehnt, weil das neue Kriterium seine Zielsetzung verfehlen würde und einen unvorhersehbaren Anwendungsbereich hätte (IV). Dies wird anhand des Fallbeispiels der Klimaaktivistin S aufgezeigt, wonach auch Sitzblockaden von Klimaaktivisten vielfach dem Anwendungsbereich des neuen Strafzumessungskriteriums unterfallen würden und damit härter zu bestrafen wären (IV. 1.). Weiter wird damit aufgezeigt, dass es sich bei der vorgeschlagenen Regelung um eine verunglückte Verallgemeinerung handelt (IV. 2.), die ein dogmatisches Einfallstor für politisch-mediale Aufgeregtheiten schaffen würde (IV. 3.). Mit ihr würden zudem an die Stelle klarer Feststellungen Spekulationen treten (IV. 4.). Das fiktive Fallbeispiel der Klimaaktivistin S deutet darüber hinaus subtil an, dass eine Gesetzesbegründung, die Begriffe wie den der „Demokratiefeinde“ aufgreift, einer rationalen Strafrechtspflege nicht guttut. Denn solche Begriffe stellen sich als Kampfbegriffe in der politischen Auseinandersetzung dar, deren Extension vom Standpunkt des jeweiligen Betrachters abhängt und sich mit einer Änderung von Machtverhältnissen schnell ändern kann. Ferner ist der im Entwurf enthaltene Begriff der „gemeinwohldienenden Tätigkeit“ viel zu weit geraten und lässt sich kaum wertungsmäßig zutreffend konkretisieren (IV. 5.). Auch ist die Wirkungsweise der Neuregelung im Falle ihrer Anwendung so zweifelhaft, dass selbst eine kontraproduktive Wirkung (eine Steigerung des Hasses auf entsprechende Berufsgruppen) nicht ausgeschlossen werden kann (IV. 6.). Eine Gesetzesänderung ist schließlich überflüssig (V.), da nach der geltenden Gesetzeslage – wie der Entwurf richtigerweise ausführt – ausreichend Möglichkeiten bestehen, den Taten, die der Entwurfsverfasser offenbar vor Augen hatte, angemessen zu begegnen. Diesbezüglich zeigt die Stellungnahme über die im Entwurf genannten noch zwei weitere Möglichkeiten der Strafschärfung auf. Einer stärkeren Sensibilisierung von Strafverfolgungsbehörden und Gerichten mittels einer qualitativ schlechten AT-Regelung bedarf es hingegen nicht.

 

Im Einzelnen:

I.   Keine Klarstellung, sondern Novum

Nach dem Referentenentwurf soll § 46 Abs. 2 StGB dahingehend ergänzt werden, dass nach dem dort aufgeführten Strafzumessungskriterium der „verschuldeten Auswirkungen der Tat“ nach einem Komma eingefügt wird: „auch die Eignung der Tat, eine dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen“.

 

Die Begründung des Entwurfs ist unrichtig, insofern sie behauptet, es handele sich dabei lediglich um eine „Ergänzung“, die „der Klarstellung und Bekräftigung der geltenden Rechtslage dient“ bzw. um eine „Konkretisierung“. Stattdessen handelt es sich bei diesem Strafzumessungskriterium um ein dogmatisches Novum, das theoretisch nicht abgesichert ist und unvorhersehbare Folgen haben wird. Denn anders als der Entwurfsverfasser offenbar annimmt, ist die potentielle Gefährlichkeit der Tat für nicht-tatbestandliche Rechtsgüter bislang kein zulässiges Strafzumessungskriterium. Soweit der Entwurfsverfasser zur Begründung hierfür auf ein Urteil des OLG Düsseldorf verweist (Urteil vom 1.7.2016 – 6 StS 1/16), gelingt ihm der Beleg damit nicht, da das OLG auf eine (subjektive) Absicht des Täters abgestellt hat und nicht auf eine (objektive) Eignung der Tat.

 

Die geplante Änderung des § 46 Abs. 2 StGB greift damit – ohne dass dies dem Entwurfsverfasser bewusst zu sein scheint – tief in das Strafzumessungsrecht ein. Sie würde das dort aufgeführte Verschuldenskriterium, den Zurechnungszusammenhang zwischen der Tat und ihren Auswirkungen, hinsichtlich einiger Auswirkungen beseitigen und die potentielle Gefährlichkeit der Tat (für ein nicht-tatbestandliches Rechtsgut) ausreichen lassen. Unklar ist, welche Auswirkungen diese Änderung hat und in der Rechtsprechung haben könnte. Insbesondere werden die tatsächlich betroffenen Delikte und Fallgruppen nicht deutlich.

 

Zwar sind die in § 46 Abs. 2 StGB aufgezählten Strafzumessungskriterien nicht abschließend. Das heißt aber nicht, dass sie beliebig ergänzt werden könnten. Vielmehr unterliegen sämtliche Kriterien den Anforderungen des § 46 Abs. 1 StGB. Da die Aufzählung in § 46 Abs. 2 nur beispielhaft erfolgt („namentlich“), wäre das neue Kriterium daher geeignet, die Zumessungskriterien in der Rechtsprechung nochmals zu erweitern mit dem Argument, der Gesetzgeber habe die Berücksichtigung potentieller Gefahren der Tat (für außertatbestandliche Rechtsgüter) bei der Strafzumessung in diesem beispielhaften Fall (gemeinwohldienliche Tätigkeit) – und damit grundsätzlich – anerkannt. Solche Wege erscheinen besonders naheliegend in Fällen, in denen die Zurechnung von Tatfolgen regelmäßig nicht gelingt, aber auch darüber hinaus.

 

II.   Inkonsistente Gesetzeslage entsteht

1. Die Eignung der Tat ist begrifflich kein Unterfall ihrer Auswirkungen

Der Entwurfsverfasser ist der Auffassung, dass das neue Kriterium („die Eignung der Tat, eine dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen“) ein Unterfall der „Auswirkungen der Tat“ sei, was die Formulierung des § 46 Abs. 2 StGB-E mit dem Wort „auch“ zum Ausdruck bringen soll.

 

Aber die Auswirkungen der Tat sind etwas von der Tat (räumlich, zeitlich oder logisch) zu trennendes, die Eignung der Tat hingegen etwas der Tat immanentes. Daher kann – entgegen der Formulierung des Entwurfs und der Entwurfsbegründung – die Eignung der Tat kein Unterfall der Auswirkungen der Tat sein. Die Änderung würde also begriffliche Verwirrung stiften. Ein qualitativ gutes Strafrecht lebt aber von begrifflicher Klarheit (Art. 103 Abs. 2 GG).

 

2.   Verschuldensunabhängige Haftung für hypothetische Kausalverläufe

Der Entwurfsverfasser will der Entwurfsbegründung nach auf ein Verschulden des Täters hinsichtlich der Eignung der Tat nicht verzichten.

Dennoch schüfe er mit der neuen Gesetzesformulierung ihrem Wortlaut nach genau dies: eine verschuldensunabhängige Haftung für hypothetische Kausalverläufe, so dass eine Strafschärfung erfolgen könnte, ohne dass beim Täter „Kenntnis“ oder „fahrlässige Unkenntnis“ von der Eignung der Tat, eine dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen, vorgelegen hat. Dies resultiert daraus, dass der Entwurfsverfasser die „Eignung“ der Tat als Unterfall ihrer „Auswirkungen“ ansieht und daher das bereits im Gesetz genannte Verschuldenskriterium („verschuldete Auswirkungen“) auch auf die Eignung bezogen sieht.

Straftheoretisch ist das Verschuldenskriterium jedenfalls unverzichtbar und müsste für den neuen Eignungstatbestand von der Rechtsprechung über den Gehalt des § 46 Abs. 1 StGB in den Abs. 2 des § 46 hineingelesen werden, obwohl der Wortlaut des § 46 Abs. 2 StGB-E und seine neue Systematik (da Verschulden bei den „Auswirkungen“ ausdrücklich genannt) eher dagegensprächen. Ein Verzicht auf das Verschuldenskriterium wäre jedenfalls ein weiteres – straftheoretisch nicht akzeptables und schädliches – Novum.

 

3.  Redundanzen

Umgekehrt enthält die neue Formulierung Redundanzen.

So soll nach der Entwurfsbegründung das Wort „auch“ – neben der begrifflichen Unterordnung – darauf hinweisen, dass das neue Strafzumessungskriterium in eine Abwägung mit den übrigen Strafzumessungskriterien einzustellen ist. Dies erscheint redundant und leicht irritierend, da Strafzumessung per se Gesamtabwägung ist. Ähnliches gilt für die explizit formulierte Erheblichkeitsschwelle. Strafzumessungsgesichtspunkte müssen vom Tatrichter immer gewichtet und mit anderen abgewogen werden. Der Hinweis, dass unerhebliche Beeinträchtigungen keine Berücksichtigung finden, erscheint daher entbehrlich.

 

III.  Gesetzesbestimmtheit und Rechtssicherheit werden geschwächt

Durch die geplante Änderung würde das bestehende Maß der Gesetzesbestimmtheit reduziert werden, worin ein rechtsstaatlicher Rückschritt läge und wodurch die Rechtssicherheit geschwächt würde. Dies ergibt sich aus Folgendem:

Der Entwurf verändert bis zu einem gewissen Grad, indem er den Strafzumessungsgesichtspunkt der potentiellen Gefährlichkeit der Tat für gemeinwohldienliche Tätigkeiten in das Strafgesetz einführt und im System des Strafgesetzbuchs überbetont, den Charakter sämtlicher Delikte, egal ob es sich um Delikte gegen die Person, gegen das Vermögen, gegen staatliche Interessen oder gegen sonstige Allgemeinrechtsgüter handelt. Die Änderung des Deliktscharakters erfolgt dabei in doppelter Hinsicht: Aus Erfolgsdelikten werden in gewisser Weise auch potentielle Gefährdungsdelikte, wobei die Gefährdung (bei den allermeisten der betroffenen Tatbestände) ein außertatbestandliches Rechtsgut (gemeinwohldienliche Tätigkeit) betrifft. Diese wesensmäßige Änderung sämtlicher Delikte erscheint in keiner Weise theoretisch fundiert zu sein. Insbesondere hält sie der Entwurfsverfasser offenbar irrtümlich für eine „Klarstellung“ der geltenden Rechtslage. Aus rechtsstaatlicher Sicht gehören potentielle Gefährdungstatbestände in den – dem strengen Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG unterliegenden – Besonderen Teil des Strafgesetzbuchs und sind dort in eng umgrenzten Tatbeständen scharf zu umreißen. Sie gehören nicht in den unscharfen Bereich der Strafzumessung

 

IV.   Zielsetzung wird verfehlt und Anwendungsbereich ist unvorhersehbar

Der Entwurf verfehlt seine Zielsetzung und hat einen unvorhersehbaren Anwendungsbereich bei unklarer Wirkungsweise. Dies soll anhand eines Fallbeispiels demonstriert werden:

  1. Fallbeispiel:  Protest der Klimaaktivistin S

Die 24jährige Studentin S macht sich große Sorgen um den Klimawandel und ist im Einklang mit dem Bundesverfassungsgericht der Meinung, dass die von der Bundesregierung ergriffenen Maßnahmen zur Eindämmung des CO2-Ausstoßes nicht ausreichend sind, um die Klimaziele zu erreichen. Sie hat sich diesbezüglich viel Fachwissen angeeignet und sich bereits in entsprechenden universitären Organisationen engagiert. Da sie keine Möglichkeit sieht, sich im demokratischen Diskurs anderweitig ausreichend Gehör zu verschaffen und auf die drohende Klimakatastrophe aufmerksam zu machen, klebt sie sich mit ihren Freundinnen auf eine Straße fest, um einen Stau zu verursachen. Eine Rettungsgasse wird freigelassen, in der Großstadt bilden sich jedoch Folgestaus. Der passive Protest wird von der Polizei nach einer halben Stunde aufgelöst. Niemand ist zu Schaden gekommen.

Der Richter hätte bei der Verurteilung zu einer Strafe wegen Nötigung im Wesentlichen zugunsten der S zu berücksichtigen, dass S nicht vorbestraft ist, dass sie ein Geständnis abgelegt hat und dass das von ihr mit der Nötigung verfolgte sog. Fernziel „Klimaschutz“ ein positives, vom Gesetzgeber anerkanntes ist. Zu ihren Lasten fiele das Ausmaß der beeinträchtigen Fortbewegungsfreiheit der betroffenen Autofahrer ins Gewicht. Die strafmildernden Umstände würden überwiegen. Dieses nüchterne, rechtsstaatlich-liberale Ergebnis steht im Widerspruch zur sozial-medialen Aufgeregtheit und Hetze durch den politischen Gegner der Klimaaktivisten („Klimaterroristen“). Bei dem neu eingeführten Kriterium könnte der Tatrichter zu einem anderen Ergebnis gelangen: Durch den Folgestau hätte ein Rettungswagen beim Durchkommen gehindert werden und nicht rechtzeitig zu einem möglichen Unfallopfer gelangen können, das dann möglicherweise deswegen gestorben wäre. Der Richter gelangt zu dem Ergebnis, dass die Tat von S daher geeignet war, eine dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen. Folglich wird S härter bestraft. Im Urteil führt der Richter aus, dass S schließlich auch nach der Gesetzesbegründung zu § 46 Abs. 2 StGB-E eine gemeinwohlschädliche Straftat begangen habe.

S kann dies nicht nachvollziehen. Sie sei doch diejenige, die sich in einer eher egoistischen Gesellschaft für einen allgemein anerkannten, überragend wichtigen Gemeinwohlbelang eingesetzt hat. Durch die Äußerung des Politikers P, nach der sie einer Gruppe von „Klimaterroristen“ angehöre, fühlt sie sich verleumdet. Sie hält diese Äußerung für geeignet, ihre dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit als Klimaaktivistin nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen. Schließlich wurde sie – wohl in Nachahmung des Politikers – von dem wutentbrannten Autofahrer A während ihrer Protestaktion ebenso lautstark betitelt und zudem noch mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Politiker P hingegen, der sich seines politischen Selbstverständnisses regelmäßig in vollen Bierzelten vergewissert, in denen er gerade erst für jene Äußerung einhellig lautstarken Zuspruch erhalten hat, hält einen Zusammenhang zwischen der Körperverletzung zum Nachteil der S und seiner Äußerung für „völligen Quatsch“. Im Übrigen hat P, der dank seiner selbst erfundenen Strategie des bewussten Missverstehens des politischen Gegners schon beachtliche Wahlerfolge erringen konnte, seinen Lebtag insgeheim nichts mehr gehasst als diese jungen „Intellektuellen“, die ihm „immer widersprechen“ und „dauernd rumdiskutieren“ wollen, was ihm respektlos erscheint. Die Studentin S ist für ihn eine Demokratie- und Rechtsstaatsfeindin, da sie ja vorsätzlich gegen Strafgesetze verstößt. Die Neufassung des § 46 Abs. 2 StGB hält er für dringend geboten, um gegen die zunehmende Verrohung in der Gesellschaft endlich etwas zu unternehmen.

 

2. Verunglückte Verallgemeinerung

Es ist zweifelhaft, ob der Entwurfsverfasser den hier gebildeten Fall des Fallbeispiels zu IV. 1. (viele weitere ließen sich bilden) und damit die Auswirkungen seines Gesetzes im Blick hatte. Nach der gegenwärtigen Gesetzeslage kann eine Strafschärfung vorgenommen werden, wenn im Rahmen der Nötigung durch eine sog. Klimakleberin ein Stau verursacht wird, der tatsächlich verhindert, dass ein Rettungswagen rechtzeitig zu einem Patienten gelangt, der daraufhin tatsächlich verstirbt und die Täterin dies zumindest fahrlässig verschuldet hat. Nach dem Entwurf wäre nur die Verursachung eines Staus erforderlich – alles Weitere bliebe hypothetisch. Die bloße Möglichkeit würde der Täterin zugerechnet – und dies – dem Wortlaut der neuen Regelung nach – unabhängig von einem Verschulden.

Der Fall zeigt: Strafgesetzgebung funktioniert nicht, indem man (primär) von einem Einzelfall (Wahlplakatierer wird niedergeschlagen, möglicherweise schreckt dies ihn oder andere Menschen ab, sich demokratisch zu engagieren) oder einer bestimmten Fallkonstellation einfach die vermeintlichen differentia specifica wegnimmt. Dadurch gelangt man nicht zu einer allgemeingültigen (abstrakt-generellen) AT-Regelung. Auf weitere Ausführungen muss an dieser Stelle verzichtet werden.

 

3. Dogmatisches Einfallstor für politisch-mediale Aufgeregtheiten

Im Fallbeispiel zu IV. 1. würden nach der Neuregelung die Urteilsgründe lauten: Erschwerend ist zu berücksichtigen, dass die Angeklagte einen Stau verursacht hat, der den Rettungsdienst – und damit eine dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit – hätte nicht unerheblich beeinträchtigen können. Denn es hätte ja ein Rettungswagen blockiert und zu spät zu einem möglichen Patienten kommen können, der deswegen hätte sterben können. Die Neuregelung würde damit die politisch-mediale Aufgeregtheit über die Täterin einer entsprechenden – nüchtern betrachtet eher lästigen oder nervigen (und nicht gefährlichen) – Tat in „Strafrechtsdogmatik“ gießen und den politischen Gegner verstärkt kriminalisieren. Das Strafrecht könnte daher mit der angestrebten Neuregelung die ihm zu Gebote stehende Nüchternheit, seine politische Neutralität, seine Unaufgeregtheit und seine Rationalisierungsfunktion – und damit auch seine übergreifende Akzeptanz – einbüßen.

Eher fernliegend erscheint es, dass der Entwurfsverfasser nur solche potentiellen Auswirkungen erfasst haben wollte, die hypothetisch nach der Beendigung der Tat eintreten könnten (beispielsweise: nach Beendigung einer politisch motivierten Körperverletzungstat engagiert sich das Opfer wie bisher weiter in der Politik, hypothetisch hätte es sich aber auch dazu entscheiden können, sich aufgrund der Tat aus der Politik zurückzuziehen). Eine solche Differenzierung nach hypothetischen Beeinträchtigungen von gemeinwohldienlichen Tätigkeiten während der Tat einerseits und nach der Tat andererseits ist in der Gesetzesformulierung nicht verankert und wäre wertungsmäßig kaum zu rechtfertigen. Jedenfalls müsste das obige Fallbeispiel dann nur leicht abgeändert werden: der nötigungsbedingte Stau besteht nach Beendigung der Nötigung fort und zeitigt hypothetische Beeinträchtigungen.

 

4. Spekulationen ersetzen klare Feststellungen

Das Fallbeispiel zu IV. 1. zeigt weiter: Der Entwurf könnte dazu führen, dass im Gerichtssaal wilde Spekulationen darüber angestellt werden, was alles hätte passieren können und warum die vorliegende Tat deswegen als besonders schlimm anzusehen ist. Rechtsanwender könnten sich zu solchen Spekulationen verpflichtet fühlen. Urteile könnten in der Revisionsinstanz wieder aufgehoben werden, wenn entsprechende Spekulationen nicht angestellt und im Urteil nicht oder falsch dargelegt worden sind. Das alles würde zu einer vollkommen unnötigen Mehrbelastung und Verlangsamung des Justizbetriebs führen, der sich stattdessen zur Erfüllung seiner Aufgaben auf Wesentliches und Tatsächliches zu konzentrieren hat. Vor allem ist der Entwurf geeignet, die Glaubwürdigkeit der Justiz und ihre Akzeptanz zu beeinträchtigen durch Urteile, die sich auf Spekulationen stützen, nach denen dieses oder jenes auch noch hätte passieren können („Hätte-hätte-Fahrradkette-Rechtsprechung“). Solche Urteilsbegründungen sind für Rechtsunterworfene nicht mehr greifbar, könnten sogar als willkürlich erscheinen und erzielen dann auch nicht die erhofften Wirkungen.

 

5. Begriff „gemeinwohldienende Tätigkeit“ viel zu weit und nicht sinnvoll konkretisierbar

Nach der Entwurfsbegründung sollen von dem Begriff der dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten „auch beruflich tätige Personen, deren Tätigkeit für das gesellschaftliche Zusammenleben bedeutsam ist“ erfasst sein. Es dürfe nicht „um die Verwirklichung ausschließlicher Privatinteressen“, sondern müsse „um das Wohl einer unbestimmten Vielzahl von Menschen“ gehen. Die Tat müsse „spezifisch im Zusammenhang mit der aktuellen oder weiteren gemeinwohlorientierten Tätigkeit des Opfers“ stehen.

Der Begriff erscheint damit sehr weit und nur schwer konkretisierbar. Bis zu einer Konkretisierung dieses Begriffs durch die Oberlandesgerichte und den Bundesgerichtshof, die sich erst anhand einer ganzen Reihe von Entscheidungen herausbilden wird, würde bei den Tatgerichten eine erhebliche Rechtsunsicherheit herrschen. Es erscheint darüber hinaus ganz zweifelhaft, ob eine solche Konkretisierung überhaupt sinnvoll gelingen kann. Fraglich ist, wie man begrenzen kann, wer oder was dem Gemeinwohl und der Demokratie dient. Und wenn eine Begrenzung durch die obergerichtliche Rechtsprechung gelänge, würde diese wertungsmäßig zutreffend, zufriedenstellend und gerecht sein?

Fraglich ist beispielsweise auch, ob das Aufhängen von Wahlplakaten für die AfD von einem Strafrecht – das einerseits auf den Grundwerten der Verfassung aufbaut, andererseits damit auch der Neutralität gegenüber politischen Parteien verpflichtet ist – als eine dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit und damit als etwas für das Gemeinwohl „Höherwertigeres“ angesehen werden kann als sonstige Tätigkeiten. Dies erscheint zumindest in Ländern, in denen die AfD vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft wird, sehr zweifelhaft. Fraglich wäre dann weiter, ob ein Fall unterschiedlich entschieden werden müsste, je nachdem, ob er beispielsweise in Thüringen oder in Schleswig-Holstein stattfindet. Im Ergebnis würden möglicherweise AfD-Plakatierer gegenüber Menschen privilegiert, die auf ihre Weise für das Gemeinwohl und die Demokratie wirklich wertvoll sind.

 

6. Kontraproduktive Wirkungsweise nicht ausgeschlossen

Daran schließt sich die Frage an, ob die kaum zu vermeidenden Ungleichbehandlungen zu einer verstärkten Akzeptanz der entsprechenden Urteile in der Bevölkerung führen würden oder ob sie nicht sogar geeignet wären, Hass und Gewalt gegen auf diese Weise bevorzugte Berufsgruppen und Tätigkeiten, aber auch gegen die Angehörigen der Justiz, erst recht weiter zu schüren (indem sie beispielsweise hinsichtlich Amts- und Mandatsträgern den Eindruck einer „abgehobenen Elite“ verstärken). Unklar ist, ob die unterschiedliche Wertzuschreibung im unbewussten Reflex sogar zur Schwächung der demokratischen Integration beitragen kann und eben zu jener „Blasenbildung“, die auch mit zu der zunehmenden Aggressivität im Gemeinwesen führt.

 

V. Bestehende Gesetze reichen aus

Dabei sind die in jüngerer Zeit zunehmenden Angriffe auf Politiker ebenso wie Angriffe auf Polizei und Rettungskräfte auch nach Auffassung der Neuen Richtervereinigung konsequent zu verfolgen und angemessen hart zu bestrafen, was aber nach der geltenden Rechtslage – wie die Entwurfsbegründung richtigerweise ausführt – bereits möglich ist: Zu berücksichtigen sind nach § 46 Abs. 2 StGB verschuldete (auch außertatbestandsmäßige) Auswirkungen der Tat, die Beweggründe und Ziele des Täters (beispielsweise: Einschüchterung des Opfers oder Dritter) und die Gesinnung, die aus der Tat spricht (beispielsweise: Ablehnung von Demokratie). Darüber hinaus ist – wie die Entwurfsbegründung richtigerweise ausführt – eine Strafschärfung auch möglich aufgrund einer gemeinschaftsgefährlichen Zunahme ähnlicher Taten, wie sie konkret zur Aburteilung steht, wenn die Notwendigkeit allgemeiner Abschreckung für den Gemeinschaftsschutz besteht.

Die Möglichkeiten der Strafschärfung sind damit aber noch nicht ausgeschöpft: Über die Entwurfsbegründung hinaus lässt sich bei Fortsetzung der politischen Tätigkeit durch das Opfer strafschärfend berücksichtigen, wenn dies nur noch unter tatsächlichen Einschränkungen der Handlungsfreiheit erfolgt, die dem Täter zurechenbar sind, beispielsweise, wenn in der Folge auf nächtliches Plakatieren verzichtet wird oder Personenschutz in Anspruch genommen werden muss. Ebenso kann darüber hinaus bei Fortsetzung der Tätigkeit strafschärfend berücksichtigt werden, wenn das Opfer hierbei gleichwohl tatsächlich Furcht vor einem erneuten Angriff hat.

Die mit dem Entwurf ausdrücklich angestrebte „Signalwirkung“, die sich „in erster Linie an Rechtsprechung und Literatur“ richten und bei Gerichten und Ermittlungsbehörden für eine „noch stärkere Sensibilisierung“ für außertatbestandsmäßige Folgen solcher Taten sorgen soll, erscheint überflüssig. Eine effektivere Sensibilisierung der Strafgerichte kann durch entsprechende Fortbildungsangebote erreicht werden. Bei Strafverfolgungsbehörden kommt hinzu, dass sie weisungsgebunden sind und über Ermessensrichtlinien entsprechend – und effektiver – zur etwaigen Berücksichtigung angehalten werden können. Jedenfalls wäre für eine solche „Signalwirkung“ und „Sensibilisierung“ der Strafverfolgungsbehörden und Gerichte die vorgeschlagene Änderung des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs, die dessen hohe Qualität aus den dargelegten Gründen erheblich verschlechtern würde, das falsche Mittel.

 

B. § 113 Abs. 2 StGB-E

Die Neue Richtervereinigung lehnt auch die im Referentenentwurf vorgesehene Änderung des § 113 Abs. 2 StGB ab. Einer solchen Ergänzung käme im Wesentlichen eine rein symbolische Funktion zu, ohne dass sich abschätzen ließe, welche rechtsdogmatischen Auswirkungen eine solche Änderung auf das Konkurrenzverhältnis zwischen einerseits der Strafbarkeit der dem allgemeinen Rechtsgüterschutz dienenden Körperverletzungsdelikte und andererseits dem Schutz der Autorität staatlicher Vollstreckungsakte haben wird. Denn Ausgangspunkt einer Strafbarkeit nach §§ 113 ff. StGB ist – bislang – ein staatliches Handeln. In der nunmehr im Entwurf vorgesehenen Ergänzung droht sich die Strafbarkeit einer “Widerstandshandlung” hiervon jedoch zu lösen.

Ohne ersichtlichen Nutzen (zu I.) wird die bestehende Gesetzessystematik infrage gestellt (zu II.).

 

I.   Normative Folgenlosigkeit

Die Überlegung, durch eine Ergänzung des § 113 Abs. 2 StGB den Regelbeispielen des besonders schweren Falls des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte ein weiteres hinzuzufügen, nimmt für sich nicht in Anspruch, eine Strafbarkeitslücke zu füllen. So verweist die Begründung ausdrücklich darauf, dass in den einschlägigen Konstellationen eine Strafbarkeit nach § 224 Abs.1 Nr. 3 StGB gegeben sein dürfte.

Die Rechtsfolgen sind geringfügig anders: Sollte eine Fallkonstellation denkbar sein, in der Widerstand mittels eines hinterlistigen Überfalls geleistet oder ein entsprechender tätlicher Angriff geführt würde, ohne dass zugleich der Straftatbestand einer gefährlichen Körperverletzung erfüllt wäre, so wäre, bei gleicher Mindeststrafhöhe, die Strafobergrenze niedriger. Als Regelbeispiel bedarf es der Ergänzung nicht, um etwaigen Abweichungen vom Regeltatbestand Rechnung tragen zu können.

Eine Fallkonstellation, in der zwar ein Widerstand gegen oder ein tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte durch hinterlistigen Überfall begangen wird, ohne dabei zumindest zugleich den Versuch der gefährlichen Körperverletzung zu verwirklichen, ist nicht ersichtlich. Die Gesetzesbegründung geht von der Notwendigkeit eines Angriffs aus. Dieser muss sich gegen den Körper von Beamten richten und ist damit jedenfalls nach Vorstellungsbild der Täterschaft nicht ausschließbar verletzungsgeneigt. Damit liegt ein strafbarer Versuch der gefährlichen Körperverletzung vor, aus dem nur nach einer Rücktrittshandlung nicht bestraft werden kann (und mangels Rechtsgutsbeeinträchtigung und Handlungsunrecht auch sollte).

Es ist daher nicht ersichtlich und wird auch nicht dargelegt, welche Bedeutung dieser Ergänzung, über eine rein symbolische Gesetzgebung hinaus, zukommen soll. Denn die strafrechtliche Auswirkung wäre allenfalls marginal. Eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte würde sich nicht in der Tenorierung, sondern nur in der Auflistung angewandter Vorschriften ändern, nämlich statt §§ 113 Abs.1. 114 Abs.1, 224 Abs.1 Nr. 3 StGB wäre zu schreiben: §§ 113 Abs.1 und 2, 114 Abs. 1 und 2, 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB. Die Zahl verletzter Straftatbestände bliebe identisch. Die Würdigung, dass sich der hinterlistige Überfall, mittels derer die Körperverletzung begangen wurde, auf einen Vollstreckungsbeamten bezog und damit deren Autorität und das Gewaltmonopol des Staates infrage stellt, wäre im Rahmen der Strafzumessung in jedem Fall zu prüfen.

 

II.   Risiko einer Entgrenzung durch die Rechtsprechung

Etwaige Folgen, die sich aus dieser harmlos erscheinenden Weiterung auf das Grundverständnis der §§ 113 ff. StGB ergeben können, werden in der Begründung nicht erörtert. Dabei können die rechtsdogmatischen Auswirkungen trotz fehlender normativer Wirkung erheblich sein.

Ein Straftatbestand, dem der Gesetzgeber keinen eigenständiger Regelungsgehalt zuweist, weil er ihn nicht ob der gesetzlichen Wirkung fasst, sondern als Ausdruck von Wertschätzung versteht, birgt die Gefahr, von der Rechtsprechung im Laufe der Zeit mit einer ihm ursprünglich gar nicht zugedachten Zwecksetzung gefüllt zu werden. Eine Ergänzung des Normengefüges, die keinen eigenen Anwendungsbereich aufweist und die deshalb dem vom Bundesverfassungsgericht postulierten Verschleifungsverbot zuwiderläuft, wird eben deshalb von der Rechtsprechung tendenziell als Anreiz gesehen, ihr einen eigenständigen Sinn zu verleihen. Insofern besteht die Gefahr der Entgrenzung einer Strafrechtsnorm auch und gerade dann, wenn der Gesetzgeber damit gar keinen normativ eigenständigen Anwendungsbereich ins Auge gefasst hatte.

Dies soll zudem in einem gesetzessystematischen Umfeld erfolgen, in dem ohnehin vom Gesetzgeber selbst nicht behandelte Konkurrenzsituationen auftreten, allen voran das Verhältnis von § 113 StGB, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, zum tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte nach § 114 StGB. Die neue Variante des § 113 Abs. 2 StGB-E soll nach der Gesetzesbegründung einen Angriff verlangen. Das heißt, die Variante wird nur dann einschlägig sein, wenn § 114 StGB verwirklicht ist. Gleichwohl ist sie als besonders schwerer Fall des § 113 StGB ausgestaltet. Zwar verweist § 114 Abs. 2 StGB auf ebenjene besonders schweren Fälle. Allerdings ist kein Fall denkbar, in dem § 113 Abs. 2 Nr. 3 StGB-E die Strafzumessung nur des § 113 Abs. 1 StGB bestimmt. Die Folge: Die Vorschrift ist falsch verortet und hebt die bereits jetzt kaum zu leistende Trennung zwischen den Tatbeständen auf. Vor einer neuerlichen Ausweitung der einheitlich anzuwendenden besonders schweren Fälle wäre es dringend geboten, die unklare Normensystematik zwischen dem milder bestraften § 113 Abs. 1 StGB und dem mit Mindestfreiheitsstrafe bedrohten § 114 Abs. 1 StGB zu bereinigen. Es drohen bereits jetzt mit dem Schuldgrundsatz nicht vereinbare Strafen für Taten ohne Gefährlichkeit nur aufgrund der (scheinbar) heimlichen Begehungsweise noch härter zu werden und damit erst Recht in Konflikt mit der Verfassung zu geraten.

Erst eine umfassende Analyse der Normsystematik und Überlegungen zur eigenständigen Funktion der §§ 46 Abs. 2, 113 Abs. 2 Nr. 3 StGB-E rechtfertigen eine neue Norm im Gefüge der ultima ratio Strafrecht. Die notwendigen Vorarbeiten sieht die Neue Richtervereinigung noch nicht erbracht.

 

Für die Fachgruppe Strafrecht der NRV

Dr. Johannes Schrägle                                    Ruben Franzen

Richter, Landgericht Göttingen                        Richter am Amtsgericht Eilenburg

Datei zum Download: PDF herunterladen
Alle Meldungen