Regelbeurteilung ist der falsche Ansatz für eine Reform des Beurteilungswesens
NRV SH: Die Wiederbelebung der Idee der Regelbeurteilung ist der falsche Ansatz für eine Reform des Beurteilungswesens
Vor dem Hintergrund der im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Zielsetzung der Landesregierung, die inhaltlichen Grundzüge des richterlichen und staatsanwaltlichen Beurteilungswesens im Rahmen eines ergebnisoffenen Dialogs auf Änderungs- und Ergänzungsbedarf hin zu überprüfen, hat das Ministerium zu einer Auftaktveranstaltung am 14.10.2024 in Kiel eingeladen, bei der der Richter am Bundesverwaltungsgericht und Präsident des Thüringer Verfassungsgerichtshofs Dr. Klaus von der Weiden einen Vortrag zu dem Thema „Regel- und/oder Anlassbeurteilungen? Beurteilungssystem im Vergleich mit Blick auf verfassungsrechtliche Anforderungen und praktische Erfordernisse“ halten wird.
Auch wenn wir es sehr begrüßen, dass die Grundzüge des Beurteilungswesens auf Änderungsbedarf überprüft werden, überrascht es doch, dass dies offenbar mit Blick auf die Frage geschehen soll, ob man von dem bei auf Lebenszeit ernannten Kolleg:innen in Schleswig-Holstein etablierten System der Anlassbeurteilung bleiben oder doch gegebenenfalls auf die Regelbeurteilung wechseln soll.
Diese Fragestellung ist für Schleswig-Holstein bereits in langen Diskussionsprozessen dahingehend geklärt, dass das System der Anlassbeurteilung ganz mehrheitlich gewünscht war und ist. Regelbeurteilungen, wie sie derzeit nur für Kolleg:innen auf Probe vorgesehen sind, weisen im Ergebnis lang zurückliegender Diskussionen nur Nachteile auf. So hat sich die Neue Richtervereinigung schon im Jahr 2002 gegen Regelbeurteilungen ausgesprochen.
Die oft als Vorteil des Regelbeurteilungssystems beschriebenen Effekte wie die Schaffung einer Vergleichsbasis durch stets aktuelle Beurteilungen ohne Bezug auf die Bewerbung auf bestimmte Beförderungsämter, die Förderung von Chancengleichheit, lückenlose Beurteilungszeiträume und die Möglichkeit des direkten Vergleichs mit anderen Kolleg:innen, erfordern bei genauer Betrachtung keine Regelbeurteilung. Gleiches gilt für den angeblich positiven Effekt, gerade Frauen, die in unserer Gesellschaft immer noch den Hauptteil der Erziehungsarbeit leisten, wären bei einem anderen System benachteiligt gegenüber solchen Bewerbern, die durch wiederholte Bewerbungen über eine breitere Beurteilungslage verfügen.
Tatsächlich werden diese Effekte durch die Einführung der Regelbeurteilung nicht erreicht, häufig wird das Gegenteil der Fall sein. Denn Kolleg:innen, die befördert werden wollen, erhalten Anlassbeurteilungen. Kolleg:innen, die auch ohne Anlass einer Beförderung oder eines Wechsels der/des Dienstvorgesetzten eine Beurteilung wünschen, können sich beurteilen lassen (§ 13 bs. 1 Nr. 3 lit. RiStaBuVO). Dies gilt auch für Kolleg:innen, die Erziehungszeit in Anspruch nehmen. Für die Verwirklichung der oben genannten Ziele ist die Einführung einer Regelbeurteilung also weder erforderlich noch sinnvoll.
Stattdessen bietet die Regelbeurteilung erhebliche Nachteile. Sie mag zwar mit der verfassungsrechtlich garantierten richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) vereinbar sein, es lässt sich aber nicht bestreiten, dass Regelbeurteilungen die Arbeit von Kolleg:innen oft negativ beeinflussen, wie es auch oft von Proberichter:innen beschrieben wird. Denn typischerweise erzeugt die regelmäßige Beurteilung Leistungsdruck, der weniger auf die Qualität der Arbeit als auf den Erledigungsdruck gerichtet ist. Auch für die rechtsuchenden Bürger:innen kann das gerade bei sehr aufwändigen Verfahren, die sich nicht schnell erledigen lassen, mit erheblichen Nachteilen verbunden sein, da oft die schnell zu erledigende Akte vorgezogen werden könnte.
Kolleg:innen, die aus Sicht des Beurteilenden keine zufriedenstellenden Leistungen liefern, werden durch regelmäßige Beurteilungen kaum zu besserer Leistung motiviert werden können, wenn sie ohnehin nicht befördert werden wollen. Stattdessen würde eine in regelmäßigen Abständen wiederholte negative Beurteilung zur weiteren Demotivation führen.
Und schließlich bleibt als gravierender Nachteil, dass Regelbeurteilungen für alle Beteiligten zeitaufwändig sind und Arbeitskraft binden, die anderweitig weitaus sinnvoller genutzt werden kann. Zu beurteilende Kolleg:innen müssen Akten zur Vorlage aussuchen, die Beurteilenden müssen die Sitzungen der zu
Beurteilenden besuchen, die vorgelegten Akten und weitere Erkenntnisquellen auswerten. Durch ein Regelbeurteilungswesen werden Beurteilungen zum Massengeschäft. Dies birgt die Gefahr, dass individuelle und differenzierende Beurteilungen zurückgedrängt und durch Textbausteine und Verweise auf Vorbeurteilungen verdrängt werden.
Im Ergebnis geht es bei der Einführung der Regelbeurteilung vor allem um die Stärkung der Stellung des Beurteilenden. Frühzeitig würden Kolleg:innen entweder auf den Beförderungsweg geleitet oder davon abgebracht werden. Der Verdacht, dass Anlassbeurteilungen schlicht der Durchsetzung von Personalentscheidungen dienen, kann so nicht entkräftet werden. Die Regelbeurteilung kann hingegen unzutreffende Einschätzungen zementieren.
Die Reform eines Beurteilungswesens könnte und sollte ganz andere Ansätze verfolgen. Zu überlegen wären Ansätze, die Beurteilung einem Gremium aus Richter:innen zu übertragen, um die Machtposition von Beurteilenden besser auszubalancieren und zu ausgewogenen Ergebnissen zu kommen. Stattdessen das längst totgeglaubte Schreckgespenst der Regelbeurteilung für auf Lebenszeit ernannte Kolleg:innen wiederbeleben zu wollen, ist eine denkbar schlechte Idee.
Der Sprecherrat der Neuen Richtervereinigung Schleswig-Holstein