Mannheimer Appell für eine verantwortliche Kriminalpolitik

10. Juli 2019| FG Strafrecht

Unter dem Stichwort „Kettenbewährungen“ fordern die Landesjustizministerinnen und –minister seit ihrer Frühjahrskonferenz am 5. und 6. Juni 2019 unter anderem, den Gerichten per Gesetz zu verbieten, eine Freiheitsstrafe zur Bewährung aussetzen, wenn die Straftat innerhalb einer laufenden Bewährungszeit begangen wurde. Zur Begründung berufen sie sich auf statistisches Zahlenmaterial, das den Eindruck erweckt, als sei eine erneute Bewährungsaussetzung nach einem Bewährungsbruch sehr weit verbreitet.

Angesichts dieser Forderung appelliert die Fachgruppe Strafrecht der NRV an die Verantwortlichkeit der Politik für das Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger.

Der unablässige Ruf nach immer neuen Strafverschärfungen ist geeignet, genau jene Verunsicherung zu schüren, deren angeblicher Bekämpfung diese Gesetzesinitiativen dienen sollen.

Zur Reaktion auf Kriminalität sind die vorhandenen Mittel ausreichend. Dies folgt nicht nur aus der jüngst vorgelegten Kriminalstatistik, sondern auch aus den Antworten des Deutschen Viktimisierungssurvey (DVS), wonach keine grundlegende Veränderung der selbst erfahrenen Kriminalität bei den Bürgerinnen und Bürger zwischen 2012 und 2017 feststellbar ist. Gestiegen ist lediglich die subjektive, durch nichts begründete Kriminalitätsfurcht – und damit das Bedürfnis, Wählerinnen und Wähler durch eine Härte suggerierende Symbolgesetzgebung zu gewinnen. Wünschenswert wäre dagegen bestenfalls eine Erweiterung des Sanktionenkatalogs um solche Instrumente, die die Legalbewährung zu fördern geeignet sind.

Die Behauptung, Gefängnisstrafen erreichten Gesetzestreue besser als eine Ermutigung zu einer nachhaltigen Verhaltensänderung, widerspricht sämtlichen empirischen Erkenntnissen, was in den Justizministerien bekannt sein dürfte. Diese Behauptung dennoch immer wieder vorzubringen, zeugt von einem autoritären und im Kern antidemokratischen Weltbild. Dieses Vorgehen ist geeignet, gerade diejenigen politischen Kräfte zu fördern, die durch das Betonen von Law-and-Order-Forderungen vorgeblich zurückgedrängt werden sollen. Das Gleiche gilt für den impliziten Vorwurf, Richterinnen und Richter urteilten zu lasch und ihnen müssten per Gesetz die Zügel angelegt werden.

Das zur Untermauerung der Forderung der Justizministerkonferenz herangezogene statistische Zahlenmaterial ist zudem unseriös aufbereitet. So erscheint schon die Analyse, dass in mehr als der Hälfte aller Fälle trotz einer bestehenden Bewährung eine zweite gewährt werde, tendenziös fehlerhaft. Es wird hierbei nicht berücksichtigt, dass die Statistik auch dann eine zweite Verurteilung ausweist, wenn es sich tatsächlich um die später erfolgte Verurteilung einer ersten Tat gehandelt hat. Außerdem ist für die Legalprognose allein auf den Zeitpunkt der (letzten) Hauptverhandlung abzustellen. Für eine ernsthafte Bewertung der richterlichen Entscheidungen müsste somit der Zeitablauf seit der abzuurteilenden Tat berücksichtigt werden. Insbesondere wäre eine Analyse in Hinblick auf die allein relevante Fragestellung geboten, ob sich die Gewährung einer zweiten Chance im Ergebnis in dem Sinne als überwiegend zutreffend erwiesen hat, dass danach tatsächlich während der (doppelten) Bewährungszeit keine weitere Straftat mehr begangen wurde. All dies ist dem Zahlenmaterial nicht zu entnehmen, auf dessen Grundlage die Justizministerkonferenz ihre Forderung aufgestellt hat.

Die Forderung nach einer vermeintlich konsequenteren Sanktionierung rekurriert zudem auf das Vorurteil, dass im Falle der Aussetzung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung keine spürbare Reaktion auf strafbares Verhalten erfolge. Tatsächlich kann aber gerade durch Bewährungsauflagen und –weisungen beim Verurteilten eine Verhaltensänderung erreicht werden. Erholsam ist eine aktive Bewährungszeit für den Verurteilten nicht.

Nur am Rande sei erwähnt, dass die bundesdeutschen Gefängnisse ohnehin bereits in Besorgnis erregender Weise überbelegt sind. Hierdurch kann der Strafvollzug seiner verfassungsrechtlich gebotenen Aufgabe, die Resozialisierung der Verurteilten zu fördern, noch schlechter gerecht werden.

Kein Politiker, der entgegen aller wissenschaftlichen Erkenntnisse behauptet, die von ihm geforderten Strafschärfungen dienten der Verhinderung von Kriminalität, soll später sagen, er habe die mit dieser Stimmungsmache von ihm selbst erzeugte Gefährdung des demokratisch verfassten Rechts- und Sozialstaats nicht erkannt. Populistische Töne tragen entscheidend dazu bei, die repräsentative Demokratie zu gefährden, anstatt sie zu bewahren.

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