Hessen-Info 10/2018

1. November 2018| LV Hessen

Das neue Hessen-Info 2018 ist erschienen!

Aus dem Inhalt:

  • Mangelhafte Ausstattung in jeder Hinsicht – Die Justiz dient seit Jahrzehnten als rechtsstaatlicher Steinbruch für Finanzen anderswo
  • Die Zeiten ändern sich, doch die Vernetzung schreitet unbeirrt voran
  • 6 Thesen und Forderungen zur Einführung einer elektronischen Akte

Liebe Leserinnen und Leser,
frisch aus der Erinnerung der jüngsten Lesung von Petra Morsbachs JUSTIZPALAST am Amtsgericht  Frankfurt am Main erscheint dieses NRV-Hesseninfo. Wenn die Autorin meinte, unter  ihren zahlreichen  Interviewpartnern durchgängig Richter*innen begegnet zu sein, die ihren Beruf mit Freude  und Engagement wahrnähmen,  stellt sich doch die Frage nach der Kompatibilität dieser Außenwahrnehmung mit den vielen, als authentisch beschriebenen Fundstellen aus dem Roman (derselben Autorin!), als da wären: „Wir sind nur Durchlauferhitzer“ (S. 35), … „Das ist also unsere Gerechtigkeitsfabrik: Am Ende hoher, höhlenartiger Zimmer sitzen Richter wie Grottenolme auf Papierbergen, jeder für sich“ (S. 101), … „Bloß kein Urteil, bloß kein Urteil“ (S. 108), … „Wo bleibt das große, bunte Leben, das dir doch auch irgendwie versprochen gewesen war?“ (S.109), … oder: „Wie können wir die Würde des Gerichts überzeugend vertreten, wenn uns die Verwaltung so würdelos behandelt?“ (S.139).

Ist dieser Widerspruch Ausdruck eines inneren Bluffs, verborgener Selbsttäuschung, beginnender Schizophrenie, ständiger Anpassung und Bescheidung, Leidensfähigkeit, Existenzangst oder eher dem von Ministerialen gerne zitierten „Jammern auf hohem Niveau“?
Die Beiträge dieses Heftes sprechen eher für die Grottenolm-Theorie. Der Kollege Ingo Tiefmann hat sich mit dem abgedruckten und wirklich lesenswerten Beitrag in seiner frischen Art zu den Basisproblemen der heutigen Justiz positioniert. Den in vielen Facetten beschriebenen „Steinbruch für Finanzen“ können wir teilweise an unseren Gerichten selbst erleben und nachvollziehen. Wir sollten dem Kollegen dankbar sein, für den Versuch der Dechiffrierung von KuK, KiP, pebb§y, PersyLH, IT-KoKo, ESS-System und anderen Versteckkürzeln.

Weil sich Frau Morsbach mit den Richtermenschen in direkter Ansprache beschäftigt hat, konnten bei ihr die vielfältigen Probleme zum Thema „Elektronische Akte“ außer Blick bleiben. Wer sich aber zu den Tücken, Ri- siken und Nebenwirkungen von e-justice updaten will, kann sich mit der Lektüre des Artikels von Karl-Heinz Held auf den nächsten Cyber-Angriff von russischen Trollen vorbereiten. Ganz ausgeblendet werden allerdings die klaren Vorteile der modernen Technik. So hat ein Schweizer Kollege, der schon seit vielen Jahren mit elektronischer Akte arbeiten darf, einmal freudig erklärt: „Wenn die IT abstürzt, geh’n wir halt ne Woche Skifahrn“.
Der Erlebnisbericht der Kollegin Doris Walter aus dem Bauch des LG Mannheim schöpft auch nicht gerade Spontansympathien für die E-Welt.

Mit den Wirren und Ängsten um das Weiterkommen im Dschungel der Justiz und dem labyrinthisch anmutenden Postulat der Unabhängigkeit („Ich kann überall hingehen, keiner hindert mich daran!“) hat sich Petra Morsbach wiederum vielfältig befasst und manche Karriere beschrieben. Der Kollege Rolf Hartmann verbindet die Gesamtproblematik des Beurteilens, Förderns und Beförderns mit einem deutlichen Appell, auch außerhalb der Robe aktiv zu sein.

Die zugegeben komplexe, aber justizintern nur als Skandal zu beschreibende Posse um einen (im Ergebnis wohl zu Recht) entlassenen Proberichter legt uns Guido Kirchhoff nochmals nahe. Sie übertrifft den von Morsbach dokumentierten Fall eines unberechtigten Vorhalts wegen nicht durchschnittsquotenmäßiger Erledigung auf dem Disziplinarweg. Natürlich gibt es auch das: Falsch verstandene Unabhängigkeit, Verschleuderung von Ressourcen, persönliche Eitelkeiten.

Jetzt, wo der bekannteste Justizvernichter der westlichen Hemisphäre, Herr Recep Tayyip Erdogan, ohne eine Gelegenheit der Aufforderung zur Forstsetzung der Parallelgesellschaft in seinen Sultanspalast, zugleich Justizministerium, zugleich Büro aller Presseorgane, zugleich Bankenaufsicht, zugleich Strafvollstreckung und dergleichen mehr zurückgeflogen ist, soll in diesem Heft nochmals an die fortlaufende Repression gegenüber türkischen Richtern erinnert werden, denen auch der Präsident der (selbstredend) verbotenen türkischen Richtervereinigung YARSAV ausgesetzt ist.

Im politischen Kontext dazu sei auf die Besprechung des Kollegen Ulf Frenkler hingewiesen, der sich mit dem Buch des ehemaligen OLG-Richters Georg Falk beschäf- tigt, dem eine intensive Recherche des dunkelsten Kapi- tels am Justizstandort Frankfurt am Main zugrunde liegt. Ob maximal 25% Verdächtige den Standort in der Ge- schichtsbetrachtung sympathischer machen? Die Ansätze von Frau Morsbach zu bayerischen Karrieren durften, weil Roman, hinter der Studie von Falk klar zurückbleiben. So erfahren wir dort nichts über Prozente.

Und natürlich am Schluss: Der 44. Richterratschlag 2019 ist aufgerufen mit dem Titel „TRaumschiff Justiz“. Es geht – natürlich – um unser aller Zukunft, jedenfalls justizintern. Diesmal in Frankfurt am Main. Schon wieder eine Gelegenheit, sich aus der Robe zu schälen!

Volker Kaiser-Klan
für das Sprechergremium der NRV Hessen

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