Es brennt im Richterwahlausschuss

Justizöffentliche Stellungnahme des Sprecherrates

Die jüngste Sitzung des Richterwahlausschusses führte mit dem Boykott der SPD-Abgeordneten zu einem Eklat. Der Vorgang geht uns alle an. Wir fassen die Hintergründe und Abläufe für Sie knapp zusammen und beziehen als Sprecherrat Position.

Die jüngste Sitzung des Richterwahlausschusses von Freitag, 8. November 2019 wurde – erstmals in seiner Geschichte – von den Abgeordneten einer Fraktion (SPD) geschlossen boykottiert. In der derart reduzierten Besetzung wurde über eine ganze Reihe von Ernennungen und Beförderungen entschieden. Zentrale Tagesordnungspunkte, wie etwa Entscheidungen über die künftigen Präsidenten und Vizepräsidenten des Landgerichts Lübeck, wurden hingegen (bis dato ohne Angabe von Gründen) vertagt. Die Abgeordneten der SPD-Fraktion begründeten ihre Haltung damit, dass der Ausschuss erneut in der Zusammensetzung geladen worden war, die die parlamentarischen Kräfteverhältnisse vor dem Austritt einer AfD – Abgeordneten aus ihrer Fraktion abbildet – obwohl das Richtergesetz eine die aktuellen Verhältnisse korrekt abbildende Neubesetzung vor der Ausschusssitzung ermöglicht hätte und die Justizministerin eben dies zugesagt habe. Die Ministerin hat ihr Vorgehen ihrerseits damit erklärt, dass eine Verschiebung des Termins hinter die (für diese Woche anstehende) Neuwahl des Richterwahlausschusses keine Option gewesen sei, da die Präsidien der Gerichte Planungssicherheit benötigten (<link https: www.schleswig-holstein.de de landesregierung ii presse pi justiz external-link-new-window>Presseerklärung hier). Die Grünen verwiesen ebenfalls darauf, dass „die Gerichtspräsidien für die Geschäftsverteilungspläne des kommenden Jahres Entscheidungen vor Dezember 2019“ benötigt hätten. Der CDU-Fraktionschef lies zudem verlautbaren, auf die konkrete Zusammensetzung – namentlich auf die Anwesenheit des AfD-Abgeordneten – sei es ohnehin nicht angekommen, da die SPD für die Personalien ohnehin zuvor schon Zustimmung signalisiert habe (LN vom 9.11.2019 S.6, <link https: www.cdu.ltsh.de pressemitteilung schwarzer-freitag-fuer-die-opposition.html external-link-new-window>Presseerklärung hier). Die schleswig-holsteinischen Medien haben ausführlich berichtet (Links zu <link https: www.shz.de nachrichten meldungen streit-um-neubesetzung-des-richterwahlausschusses-spd-ging-s-zu-schnell-id26289007.html external-link-new-window zur>SHZ und <link https: www.ln-online.de nachrichten norddeutschland ein-schwarzer-freitag-fuer-die-justiz-stegner-kritisiert-richterwahlausschuss-sitzung external-link-new-window>LN).

Hintergrund dieses seit Anfang des Jahres stetig schwelenden Konflikts im Richterwahlausschuss ist die Frage der korrekten Zusammensetzung des Ausschusses nach dem Ausscheiden einer AfD-Abgeordneten aus ihrer Fraktion und dem Richterwahlausschuss. Eine lesenswerte Darstellung der Sach- und Rechtslage durch Frau Prof. Dr. Sanders <link https: verfassungsblog.de mehr-als-foermelei external-link-new-window>finden Sie hier. Die Frage nach der „richtigen“ Zusammensetzung des Ausschusses ist derzeit auch in Form einer Konkurrentenklage beim Verwaltungsgericht Schleswig anhängig. Zu einer Entscheidung wird es aber nicht mehr kommen.

Zum einen hat das Oberverwaltungsgericht Schleswig in anderen Verfahren mit <link http: www.gesetze-rechtsprechung.sh.juris.de jportal portal t k6m page external-link-new-window>Beschluss vom 21. Oktober 2019 festgestellt, dass die derzeitig praktizierte  Begründungs-, Entscheidungs- und ggf. nötige Vorauswahlpraxis des Ministeriums für Justiz, Europa, Verbraucherschutz und Gleichstellung (MJEVG) in Bezug auf Richterwahlen ohnehin (und auch ohne Betrachtung der Zusammensetzung des Ausschusses) rechtswidrig ist und grundlegend überarbeitet werden muss.

Zum anderen hat mittlerweile auch der Schleswig-Holsteinische Landtag zur Auflösung der seit Jahresbeginn unaufgelösten Problematik der Zusammensetzung des Richterwahlausschusses am 4.10.2019 ein <link http: lissh.lvn.parlanet.de shlt lissh-dok infothek gvb xqqgvb1914.pdf external-link-new-window>Gesetz verabschiedet. Kernstück ist dabei die faktische Möglichkeit der Neubesetzung des vakant gewordenen Ausschusssitzes – wobei zwischen allen Akteuren soweit ersichtlich seit Monaten völlig unstreitig ist, dass der Sitz nach dem gesetzlichen Wahlmodus entsprechend der Fraktionsstärken der SPD zusteht. Praktisch durchgeführt werden soll die Neuwahl allerdings wohl erst  in dieser Woche – mit der Folge, dass der Richterwahlausschuss in der vergangenen Woche noch in der alten Zusammensetzung tagte. Genau diese Abfolge nicht zu praktizieren, soll die Justizministerin (so der von uns nicht überprüfbare Vorwurf der SPD) zugesagt haben (siehe oben).

Der Sprecherrat der Neuen Richtervereinigung bedauert es ausgesprochen, dass es nicht gelungen ist, das Vertrauen in die Integrität der Abläufe im Richterwahlausschuss zu stärken und den Richterwahlausschuss aus dem Fahrwasser offenkundig parteipolitischer Kämpfe um Einfluss auf Richterwahlen herauszuhalten.

Primär verantwortlich für die Abläufe im Richterwahlausschuss ist die Justizministerin. Sie hat die Terminshoheit (§ 20 LRiG), führt den Vorsitz und ist „gegenüber dem Parlament und den Bewerberinnen und Bewerbern (…) für das ordnungsgemäße Verfahren verantwortlich“ (Wissenschaftlicher Dienst des Schleswig-Holsteinischen Landtages, Stellungnahme vom 10. 3. 2015, Az. L 202 – 176/18). Vornehmste Aufgabe der Ministerin ist es daher, die Ausschusssitzungen derart vorzubereiten und zu leiten, dass sowohl die Öffentlichkeit als auch die Bewerber*innen Vertrauen haben können, dass sich der Ausschuss zumindest nach Kräften bemüht, seiner Aufgabe gerecht zu werden, eine den Anforderungen des Art. 33 Abs. 2 GG genügende Bestenauslese vorzunehmen. Dies umfasst unseres Erachtens auch, dass sich die Ministerin bereits im Vorfeld von Sitzungen bemüht, seit Monaten schwelende Konflikte möglichst aufzulösen, jedenfalls aber nicht ohne triftigen Grund weiter zu eskalieren.

Wir bedauern, dass dies hier nicht gelungen ist. Dass eine Ladung des Richterwahlausschusses in alter – die derzeitigen Kräfteverhältnisse im Parlament nicht mehr widerspiegelnde – Besetzung parteipolitische Verwerfungen auslösen würde, war allen Beteiligten, auch der Ministerin, klar. Trotzdem wurde dieser Weg beschritten – und zwar ohne jede Not. Der Jamaika-Koalition wäre es seit Monaten möglich gewesen, den seit dem Frühjahr schwelenden Konflikt um die zunächst <link https: verfassungsblog.de mehr-als-foermelei external-link-new-window>offenkundig rechtswidrige (und nicht nur von der SPD beanstandete) Praxis der Nachbesetzung des vakanten AfD-Sitzes durch eine zügigere Reform des Landesrichtergesetzes aufzulösen. Der Handlungsbedarf war spätestens seit Mai 2019 evident. Ebenso wäre es für die Ministerin möglich gewesen, die von ihr zu verantwortete Terminierung des Richterwahlausschusses so auf den Zeitplan des parlamentarischen Prozesses abzustimmen, dass keine erneute Sitzung in der konfliktbehafteten Zusammensetzung mehr nötig werden würde. Mit der angeblichen Rücksichtnahme auf die Jahresgeschäftsverteilung in den Gerichten hat all dies nichts zu tun – bei rechtzeitiger Reaktion und konsensorientierter Terminplanung verfügte Schleswig-Holstein schon längst wieder über einen Richterwahlausschuss in allseits anerkannter Zusammensetzung.

Zumindest nachdenklich stimmen muss im Übrigen auch die oben wiedergegebene Äußerung des CDU-Fraktionsvorsitzenden, nach der die SPD „für die Personalien (…) zuvor schon Zustimmung signalisiert“ haben soll. Allein hinsichtlich der Präsidenten und Vizepräsidentenstellen in Lübeck waren eine ganze Reihe von Bewerberinnen und Bewerbern zur persönlichen Vorstellung vor den Richterwahlausschuss geladen worden. Diese haben einen Anspruch auf eine ergebnisoffene Anhörung und anschließende Ausschussentscheidung anhand der Kriterien allein des Art. 33 Abs. 2 GG. Was sollen diese Bewerberinnen und Bewerber denken, wenn Ihnen jetzt per Tageszeitung bescheinigt wird, dass eigentlich doch ohnehin schon alles im Vorfeld geklärt worden sei?  Gleiches gilt für das Argument, auf die Stimme des immer noch vertretenen Abgeordneten der AfD sei es ohnehin nicht angekommen. Wie will man dies beurteilen, wenn man – wie es Art. 33 Abs. 2 GG gebietet – unvoreingenommen in die Anhörungen der Bewerber geht und die Aussprache über die Ernennungen pflichtgemäß erst nach den Anhörungen erfolgt?

Die Äußerung bietet leider just jenes Bild parteipolitischer Hinterzimmerabsprachen, das niemand mehr sehen will.

Öffentliches Vertrauen in eine funktionierende Bestenauslese nach rechtlichen, nicht politischen, Kriterien entsteht so nicht. Es wird Zeit, dass alle Beteiligten den Weg zu einer auf Konsens und Konfliktbereinigung abzielenden Geschäftsführung im Richterwahlausschuss zurückfinden.

Es ist Zeit, die Feuer im Richterwahlausschuss zu löschen. Der erste und unentbehrliche Schritt hierzu ist, den Richterwahlausschuss endlich wieder ordnungsgemäß zu besetzen.

 

Der Sprecherrat der Neuen Richtervereinigung, Landesverband Schleswig-Holstein

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