Ermöglichung des Hinausschiebens der Regelaltersgrenze für Richterinnen und Richter auf Antrag

Stellungnahme zum Gesetzentwurf zur Änderung des Berliner Richtergesetzes

 

I. Vorbemerkung

Den vorliegenden Gesetzentwurf zur Eröffnung des freiwilligen Hinausschiebens der gesetzlichen Altersgrenze für Richterinnen und Richter auf das vollendete 68. Lebensjahr bewertet die Neue Richter*innenvereinigung (NRV) kritisch. Zwar stimmen wir mit dem Landesgesetzgeber angesichts der demographischen Entwicklung grundsätzlich darin überein, dass dringend erforderliches Personal gesichert werden muss, jedoch steht die geplante Regelung in mehrfacher Hinsichti im Konflikt mit normhierarchischen (II.), personalpolitischen (III.) und praktischen (IV.) Erwägungen.

II. Verfassungs- und europarechtliche Bedenken

Durchschlagenden Bedenken im Hinblick auf höherrangiges Recht begegnet die Regelung in § 3 Abs. 2 Satz 1 RiG-E, wonach dem Antrag auf Verlängerung des aktiven Dienstes zu entsprechen ist, „soweit zwingende dienstliche Gründe nicht entgegenstehen“. Die Gesetzesbegründung weist zutreffend darauf hin, dass eine Ermessensentscheidung mit der verfassungsrechtlich garantierten richterlichen Unabhängigkeit unvereinbar ist. Das vorgesehene „tatbestandliche Korrektiv“ unterläuft just dieses Verbot, da es weder konkretisiert noch gegen missbräuchliche Eingriffe in die richterliche Unabhängigkeit abgesichert ist. Im Gegenteil scheint die Formulierung auf einen Beurteilungsspielraum der Justizverwaltung – mithin der Exekutive – abzuzielen, der gerichtlich noch weniger als eine Ermessensentscheidung kontrolliert werden kann. Doch auch im Falle uneingeschränkter gerichtlicher Kontrolle dürfte eine abschlägige Entscheidung faktisch nicht wirksam angegriffen werden können, da die Verfahrenslaufzeit eines entsprechenden (ggf. mehrinstanzlichen) gerichtlichen Verfahrens die Zeit der Dienstverlängerung regelmäßig übersteigen dürfte.

Soweit auf „stellenplanmäßige Zwänge“ Bezug genommen wird, erscheint dies nicht nachvollziehbar: Antragsteller*innen haben  eine Planstelle inne, die mit Erreichen der Altersgrenze nicht entfällt, sondern lediglich vakant wird. Es bleibt unklar, welche Zwänge hier eine Ablehnung rechtfertigen könnten. Sofern hiermit eine stellenübergreifende Planung der Karrieren von jüngeren Kolleg*innen gemeint sein soll, darf zunächst auf die Ausführungen unter III. verwiesen werden. Zugleich geben wir zu bedenken, dass angesichts der Pflicht zur offenen Auswahl unter mehreren Bewerbungen insbesondere auf Beförderungsstellen eine stellenübergreifende Laufbahn- und Karrierenplanung verfassungskonform nicht erzielt werden und deshalb § 3 Abs. 2 Satz 1 RiG-E nicht zugrunde gelegt werden kann. Diese Unbestimmtheit birgt das Risiko willkürlicher Entscheidungen. Dies wäre rechtsstaatlich nicht hinnehmbar.

In diesem Zusammenhang sei auf die zunehmende Diskussion um die „Resilienz des Rechtsstaats“ verwiesen: Es ist dringend erforderlich, Regelungen zu vermeiden, die rechtsstaatskritischen Akteur*innen eine Einflussnahme auf die richterliche Unabhängigkeit ermöglichen. Der Europäische Gerichtshof hat in seinen Entscheidungen zu Polen (Urteil vom 19.10.2018, C-619/18) sowie zu Ungarn (Urteil v. 06.11.2012, C-286/12) unmissverständlich festgestellt, dass exekutive Entscheidungskompetenz über das Pensionsalter die Unabhängigkeit der Justiz gefährdet. Jedwede Eingriffe der Justizverwaltung in die Amtsausübung von Richter*innen gegen ihren Willen sind zu unterlassen, weshalb die Dauer der Übertragung des Richter*innenamtes durch abstrakt-generelle Regelung abschließend zu entscheiden ist (vgl. Generalanwalt beim EuGH (Spielmann), Schlussantrag v. 11.03.2025, C-448/23 Rn. 97 ff.; https://verfassungsblog.de/in-the-name-of-primacy/). Der Gesetzentwurf bedarf daher einer verfassungs- und unionsrechtskonformen Überarbeitung.

 

III. Beeinträchtigung der Nachwuchsgewinnung

Die NRV verkennt nicht die Herausforderung, dem altersbedingten Ausscheiden zahlreicher Richter*innen in den kommenden Jahren angemessen zu begegnen. Ein erheblicher Personalbedarf ist zu erwarten. Die vorliegende Regelung ist jedoch nicht in der Lage, diese Herausforderung zu meistern, sondern verschiebt das Problem höchstens kurzfristig. Nachhaltig kann die Rechtspflege in Berlin nur durch Neueinstellungen qualifizierter Assessor*innen und Beförderung profilierter Richter*innen gesichert werden.

Die bereits erfolgte Anhebung der allgemeinen Regelaltersgrenze auf 67 Jahre stellt in diesem Kontext eine substanzielle Maßnahme der Personalsicherung dar. Weitere Verlängerungsmöglichkeiten über dieses Maß hinaus sind nicht angezeigt. Sie würden den ohnehin schleppenden, aber angesichts der Zusammensetzung der Richter*innenschaft unvermeidlichen Generationswechsel zusätzlich bremsen und langfristig die Innovations- und Erneuerungsfähigkeit der Justiz schwächen. Die mit dem geplanten Entwurf vorgesehene Möglichkeit des Hinausschiebens der Altersgrenze ist jedenfalls nicht geeignet, der Personalknappheit zu begegnen, da sie die notwendige Neubesetzung der Stellen lediglich um ein Jahr hinauszögert. Dass in diesem einen zusätzlichen Jahr nicht vorhandener Nachwuchs abschließend ausgebildet werden könnte, ist ersichtlich illusorisch. Allerdings müssten in diesem einen Jahr ggf. geeignete Bewerber*innen mangels Planstelle abgelehnt werden und gehen so der Justiz verloren.

Denn nach wie vor ist die Bewerberlage in Berlin gut. Nach Angaben der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz werden weiterhin ausschließlich Bewerber*innen mit überdurchschnittlichen Staatsexamina zu Auswahlgesprächen eingeladen. Vor diesem Hintergrund würde eine weitere Verlängerung der Altersgrenze die Neubesetzung von Planstellen blockieren und hochqualifizierten Nachwuchskräften den Eintritt in den Justizdienst erschweren. Dies ist weder mit Blick auf die Personalentwicklung noch im Wettbewerb um Talente vertretbar.

 

IV. Praktische Bedenken

Hinzu kommt, dass altersbedingte Pensionierungen planbar sind. Durch die Pflicht zur Erstellung von Gleichstellungs- und Altersstrukturberichten ist bereits heute absehbar, wann welche Planstellen konkret vakant werden. Eine gezielte Nachwuchsplanung ist daher möglich und notwendig. Die vorgeschlagene Regelung unterläuft diese Planbarkeit und schafft administrativen Mehraufwand und Unsicherheit durch potenzielle kurzfristige Verlängerungen bestehender Dienstverhältnisse.

Besonders kritisch ist in diesem Zusammenhang zu sehen, dass voraussichtlich Richter*innen auf sehr gut besoldeten Beförderungsstellen, etwa Präsident*innen und Vizepräsident*innen der Gerichte, überproportional von der Verlängerungsmöglichkeit Gebrauch machen dürften, obwohl sie häufig nicht mehr oder nur in sehr geringem Umfang unmittelbar in der Spruchpraxis tätig sind. Damit wird ein dringend gebotener personeller Neuanfang in der Leitungsebene behindert und strukturelle Erneuerung verhindert. Dies wiederum kann die Frustration über mangelnde Aufstiegschancen in der Justiz weiter erhöhen und die Abwanderung qualifizierter Richter*innen in die weit besser vergütete Anwaltstätigkeit verstärken.

Soweit der Gesetzentwurf zudem anführt, es werde ein „Gleichlauf“ mit der Rechtslage in Brandenburg geschaffen, erlaubt sich die NRV den Hinweis, dass dies keineswegs zutrifft: § 3 Abs. 2 des dortigen Richtergesetzes lautet:

„Abweichend von Absatz 1 ist auf Antrag einer Richterin oder eines Richters auf Lebenszeit der Eintritt in den Ruhestand um einen oder mehrere Monate, höchstens jedoch bis zur Vollendung des 68. Lebensjahres, hinauszuschieben, wenn dies im dienstlichen Interesse liegt und der Antrag spätestens ein Jahr vor dem Erreichen der Altersgrenze nach Absatz 1 gestellt wird. Über den Antrag entscheidet das für Justiz zuständige Mitglied der Landesregierung.“ (Hervorhebung nur hier).“

Diese Regelung, die nach dem oben Gesagten aus unserer Sicht erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet, ist keineswegs identisch mit der geplanten Berliner Regelung. Denn dem Antrag der Richterin / des Richters ist nur bei Vorliegen eines „dienstlichen Interesses“ zu. Ein Gleichlauf ist deshalb keinesfalls erstrebenswert.

 

V. Fazit

Die im Gesetzentwurf vorgesehene Möglichkeit, die gesetzliche Altersgrenze für Richterinnen und Richter über das vollendete 67. Lebensjahr ein Jahr hinauszuschieben, ist aus unserer Sicht weder erforderlich noch sachgerecht. In der Ausgestaltung bestehen erhebliche verfassungs- und europarechtliche Bedenken. Die Regelung gefährdet die richterliche Unabhängigkeit, behindert die Gewinnung qualifizierten juristischen Nachwuchses und verzögert notwendige Reformprozesse in der Justiz.

Wir sprechen uns daher gegen zusätzliche Verlängerungsmöglichkeiten über das bereits angehobene Regelmaß hinaus aus. Jedenfalls aber bedarf es einer verfassungskonformen Präzisierung der im Gesetzentwurf enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe unter Zuweisung eines erkennbaren, begrenzenden Regelungszwecks, insbesondere hinsichtlich des – verfassungswidrig – unklaren Merkmals der „zwingenden dienstlichen Gründe“.

 

Bei Rückfragen:

Marianne Krause

Marianne.Krause@neuerichter.

Datei zum Download: PDF herunterladen
Alle Meldungen