Änderung des Zuständigkeitsstreitwertes der Amtsgerichte, zum Ausbau der Spezialisierung der Justiz in Zivilsachen sowie zur Änderung weiterer prozessualer Regelungen

Vorbemerkung:

Die NRV begrüßt grundsätzlich die durch den Entwurf geplante Anhebung des Zuständigkeitsstreitwerts für die Amtsgerichte, da angesichts der Geldentwertung und Inflation der letzten Jahre Kosten und Preise für Wertgegenstände, Dienstleistungen, etc. gestiegen sind. Die Preisentwicklung bildet deswegen bei einer Streitwertgrenze von 5.000 € nicht mehr angemessen das Verhältnis zwischen Amts- und Landgerichten ab. Die mit der Anhebung des Streitwertes einhergehende Stärkung der Amtsgerichte, insbesondere derjenigen in den Flächen-Bundesländern sind zu befürworten. Auch die Idee, weitere streitwertunabhängige Zuständigkeiten zu etablieren, wird unterstützt, sie sollte jedoch konsequenter verfolgt werden.

Zu den einzelnen Regelungsgegenständen ist anzumerken, dass die vorgeschlagenen Änderungen nicht hinreichend und prozessual ausreichend flankiert sind.

 

 

I.  Anhebung des Zuständigkeitsstreitwerts

Wir halten eine Anhebung des Zuständigkeitsgrenzwertes für die Amtsgerichte auf 10.000 Euro aufgrund der stetig anhaltenden Entwicklung der Geldentwertung grundsätzlich für geboten. Dieses Argument würde zwar eine stete Anpassung des Zuständigkeitsstreitwertes erforderlich machen, spricht aber nicht dagegen, jedenfalls nach der langen Zeit jetzt eine Anpassung vorzunehmen.

Bei fortlaufender Geldentwertung wäre ein Anstieg der Fallzahlen bei den Landgerichten zu erwarten, der, zumindest anhand der Zahlen des Landes Berlin (Stand 1. Quartal 2024), jedoch nicht bestätigt werden kann. Nach einem weiteren Absinken der Eingangszahlen in den Corona-Jahren sowohl bei den Amts- als auch bei den Landgerichten steigt die Anzahl der Verfahren nunmehr wieder. Hinzu kommt, dass mit Blick auf die letzten 10 Jahre die Fallzahlen der Amtsgerichte und teilweise sogar der Landgerichte kontinuierlich zurückgegangen sind, aber die steigende Anzahl von Masseverfahren (Fluggastrechte-, „Mietpreisbremse-“, „Diesel“-Verfahren) zugleich eine erhebliche Belastung für die (Amts-)Gerichte darstellen.

Bei einer Anhebung der Streitwertzuständigkeit auf 10.000 Euro ist von einer Steigerung der Fallzahlen an den Amtsgerichten von 20-30 % auszugehen. Daraus ergibt sich, dass Personalverschiebungen von den Landgerichten zu den Amtsgerichten erforderlich werden (und sicher auch von den Oberlandesgerichten zu den Landgerichten) und zwar nicht nur im richterlichen Bereich. Bei der in vielen Gerichten zeitgleich erfolgenden Einführung der elektronischen Akte, die derzeit in allen Bereichen erhebliche Ressourcen bindet, bedarf es einer kurz- und langfristigen personellen Aufstockung beider Personalbereiche sowie der ausreichenden Zurverfügungstellung räumlicher und arbeitstechnischer Ressourcen durch die Länder.

Wesentlich ist dabei, dass auch die Minutenwerte in der Pebbsy-Personalbedarfsberechnung angepasst werden, da die derzeitigen Werte noch auf der alten Zuständigkeitsverteilung beruhen. Es ist sicherzustellen, dass zeitgleich mit dem Inkrafttreten der Änderungen durch die Bundespensenkommission eine zunächst rechnerische Anpassung der Werte vorgenommen wird. Keinesfalls darf damit bis zu der nächsten Erhebung 2027 gewartet werden, da dann diese Erhebung auf keiner realistischen Grundlage erfolgt.

 

 

II. Streitwertunabhängige, sachgebietsbezogene Zuständigkeit der Zivilgerichte

  1. Die NRV unterstützt die Idee streitwertunabhängiger und sachgebietsbezogener Zuständigkeiten der Amts- und Landgerichte. Insbesondere eine spezielle Zuständigkeit der Landgerichte für Heilbehandlungen ist angesichts der Komplexität dieser Fälle, die unabhängig vom Streitwert besteht sinnvoll. Die Spezialkammern der Landgerichte können hier eine besondere Expertise anbieten.
    Ebenso ist es sinnvoll, dass nachbarschaftsrechtliche Streitigkeiten aufgrund ihrer Ortsverbundenheit eine ausschließliche Zuständigkeit der Amtsgerichte begründen.
    Allerdings sollte dieser Gedanke konsequenter umgesetzt werden. Insbesondere für Rechtsstreitigkeiten in Verkehrsunfallsachen, bei denen eine dem Nachbarschaftsrecht vergleichbare Ortskenntnis erforderlich ist, könnte eine streitwertunabhängige Zuständigkeit der Amtsgerichte eingeführt werden.
    Dagegen erscheint für Rechtsstreitigkeiten in Bausachen eine tiefergehende Expertise zielführend und aufgrund der zumeist langen Verfahrensdauer notwendig, diese in der Spezialzuständigkeit eines Spruchkörpers zu verorten, bei dem für die Parteien zugleich ein Anwaltszwang herrscht. Streitigkeiten in Bausachen bedürfen zudem in vielen Fällen gutachterlicher Expertise und mithin einer Verfahrenslänge, die nach den aktuell vorherrschenden Umständen besser an den Land- als an den Amtsgerichten zu verhandeln sind. Regelmäßige Verfahrensdauern von mehreren Monaten oder Jahren sind am Amtsgericht aufgrund der Vielzahl der Fälle nicht zu bewerkstelligen.

 

  1. Unabhängig von diesen Überlegungen weist die NRV darauf hin, dass die Diskussion um die Anhebung des Zuständigkeitsstreitwerts Veranlassung sein sollte, grundsätzlich der Frage nachzugehen, ob es einer Aufspaltung der Zuständigkeit in Amts- und Landgericht überhaupt bedarf. Der ursprüngliche Gedanke, dass Streitigkeiten mit höheren Gegenstandswerten komplexer und/oder rechtlich diffiziler sein und daher einer kollegialen Entscheidung bedürfen, ist nicht nur im Ansatz zweifelhaft, sondern entspricht auch nicht mehr der Rechtspraxis an den Landgerichten, wo oftmals Streitigkeiten bis zu Millionenstreitwerten regelmäßig den Einzelrichter*innen (und damit nicht selten Assessor*innen) zugewiesen werden.
    Das derzeitige System eines Nebeneinanders von Amts- und Landgerichten als Eingangsinstanzen folgt damit keiner inneren Logik: Aufgrund des nahezu umfassenden Einzelrichterprinzips an den Landgerichten werden in den nicht einer Spezialkammer zugeordneten Fällen praktisch alle Verfahren von Einzelrichter*innen entscheiden, die sich bis auf die Kammervorsitzenden sämtlichst im richterlichen Eingangsamt befinden. Hängt man der These an, dass ein Beförderungsamt auch eine höhere rechtliche Qualifikation belegt, dann ist die Unterscheidung zwischen Amts- und Landgericht nicht nachvollziehbar. Diese Widersprüchlichkeit setzt sich darin fort, dass häufig auch Berufungsentscheidungen von Einzelrichter*innen getroffen werden. Für den Rechtssuchenden erschließt sich nicht, welche höhere Richtigkeitsgewähr eine Entscheidung hat, die von der im hierarchischen System gleichgestellten Kolleg*in gefasst wird. Wir schlagen daher vor, eine umfassende Reform des Prozessrechts zu erwägen, mit einer einheitlichen Eingangsinstanz, wobei hinsichtlich der Spezialmaterien Konzentrationen zu bestimmten Gerichtsstandorten möglich sein sollten und Entscheidungen in diesen Spezialmaterien sowie in der Rechtsmittelinstanz durch einen Spruchkörper die Regel sind.

 

III.  Prozessual flankierende Maßnahmen

  1. Streitwert für Rechtsmittel und vereinfachte Verfahren

Bei einer konsequenten Berücksichtigung der zunehmenden Geldentwertung und steigender Kosten sind dann aber auch die Rechtsmittelstreitwerte im Zivilverfahren anzupassen. Die Beschwer für die Einlegung von Rechtsmitteln wie der Berufung, der (sofortigen) Beschwerde (§§ 511 Abs. 2 Nr. 1, 567 Abs. 2 ZPO und 68 Abs. 1 Satz 1 GKG) und der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 544 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) ist in einem angemessenen Verhältnis anzuheben, um einen Gleichlauf mit der Anhebung des Zuständigkeitsstreitwertes zu erzielen. Hier könnte ein Betrag von 1.000 € eine plausible Grenze sein. Eine Einschränkung des Rechtsmittelweges ist deshalb nicht zu erwarten, weil sich die Geldentwertung auf diese Regelungsgegenstände ebenso auswirkt.

Unter Berücksichtigung einer möglichen effektiven Rechtsverfolgung erscheint es uns indes nicht geboten eine Anhebung des Wertes für das vereinfachte Verfahren nach § 495a ZPO zu erhöhen. Die Erfahrung ist, dass diese Verfahren sehr oft von den Bürgerinnen und Bürgern nicht verstanden werden und deswegen gerade in diesen Verfahren sehr leicht das Gefühl entsteht, kein ausreichendes rechtliches Gehör erhalten zu haben. Auch wenn es unter dem Gesichtspunkt der Geldentwertung konsequent erscheinen mag, auch diesen Wert anzupassen, sollte das im Sinne des Rechtsstaates aus unserer Sicht nicht erfolgen.

 

  1. Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit, § 708 Nr. 11 ZPO

In diesem Regelungszusammenhang ist auch über eine Anpassung des in § 708 Nr. 11 ZPO genannten Betrages zu erwägen. Die Grenze, bis zu der dem Titelgläubiger eine vorläufige Vollstreckung ohne Sicherheitsleistung möglich sein soll, wäre angemessen zu erhöhen.

 

Für den Bundesvorstand

Marianne Krause

Carsten Löbbert

Dr. Sven Kersten

 

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