Bericht über die Internationale Konferenz von MEDEL am 28.2.2025 in Berlin
Nach Begrüßung durch Nils Kammradt und Thorsten Beck von ver.di gab es Ansprachen von Frank Werneke, Vorsitzender von ver.di, Sabine Stuth, NRV, und Mariarosaria Guglielmi, Vorsitzende von MEDEL. Alle Redner*innen beschworen die Gefährdung der europäischen Demokratien und deren Justiz durch rechten Populismus und forderten stärkere Maßnahmen der politischen Bildung (z.B. Demokratiefördergesetze und -finanzierung, Schutz der vulnerablen Personengruppen).
Anschließend referierte Prof. Dr. Schubert, Universität Lüneburg, ehrenamtlicher Richter am BAG, über die Mindestlohnrichtlinie der EU und ihre Umsetzung in den einzelnen Ländern. Er betonte zunächst, wie wichtig die Lösung sozialer Probleme zur Bekämpfung von Populismus sei. Auch Teilnehmer*innen ohne arbeitsrechtlichen Hintergrund lernten über die Notwendigkeit der Regulierung und auch die Kompetenz der EU aus der Charta of fundamental rights. Es ging um die Umsetzung der Richtlinie in einzelnen Staaten – wobei Dänemark, Italien, Österreich, Finnland und Schweden keinen Mindestlohn haben. Die Richtlinie wird dort nicht umgesetzt, weil ihr Text als Möglichkeit, nicht als Verpflichtung verstanden wird. Deshalb werde es auf eine Entscheidung des EuGH ankommen.
Im zweiten Panel „Far right populism and ist effects on justice” ging es um die Situation in den Mitgliedsländern Deutschland, Polen, Ungarn, Italien und den Niederlanden. Max Steinbeis vom Verfassungsblog meldete sich als Hauptreferent kurzfristig krank, daher stellte Thorsten Beck die Situation in Deutschland kurz vor, erwähnte die Versuche, die AfD zu verbieten, und beschrieb anhand der Pressemitteilung der NRV zum thüringischen Richterwahlausschuss dessen Blockade durch die Sperrminorität der AfD. Ein solches Szenario kennen auch viele europäische Kolleg*innen seit Jahren. Durch solche Sperrminoritäten können rechtspopulistische Parteien Zugeständnisse erzwingen. Das zeigt die Möglichkeiten rechtsgerichteter Parteien, personellen Einfluss auf die (Nicht-)Besetzung zahlreicher Richterstellen zu nehmen, zumal viele aufgrund von Pensionierungswellen in der Zukunft neu vergeben werden.
Monika Frackowiak, Vizepräsidentin von MEDEL, berichtete über die Situation in Polen und die Schwierigkeiten, nach Abwahl der PiS wieder zu rechtsstaatlicher Besetzung der Gerichte, insbesondere des Verfassungsgerichts, zurückzukehren. Die polnische Geschichte zeigt, wie schnell sich die Situation in der Justiz durch die Strategien populistischer Parteien ändern kann. Entscheidend sei für die demokratischen polnischen Richter*innen die Unterstützung der Bevölkerung gewesen, dazu müssten die Richter*innen und Staatsanwält*innen mit ihr ins Gespräch kommen, in die Schulen gehen und besonders auf den sozialen Plattformen erklären, warum die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit notwendig sei. So hätten die öffentlichen Proteste im Jahr 2017 die Richter*innen und insbesondere die Richterorganisation Iustitia dazu gebracht, sich besser zu organisieren und verschiedene neue Formen – wie Legal Cafes oder Moot Courts – erstaunlich erfolgreich zum Austausch mit den Menschen auszuprobieren. Sie waren auf Rock-Festivals und Sportevents unterwegs, entwickelten T-Shirts und veranstalteten Pressekonferenzen. Es sei sehr wichtig, die Gesellschaft zu erreichen, auch durch Authentizität und verständliche Sprache. Die deutschen Richter*innen sollten vorbereitet sein, dass sie und Kolleg*innen evtl. sanktioniert oder diszipliniert werden. Sie dann zu unterstützen sei immens wichtig.
Adrienn Laczo, ehemalige Richterin in Budapest, teilte unter Tränen mit, dass sie nach 34 Jahren den Richterdienst quittiert hat, weil unter der Orban-Regierung die Selbstverwaltung der Justiz durch eine nationale Justizbehörde abgelöst wurde, die eng mit der autoritären Politik verbunden ist. Der nationale Justizrat hatte nur noch marginale Kompetenzen und keinen Einfluss auf die gesamt Justizpolitik. Außerdem wurde das Rentenalter von 70 auf 62 Jahre herabgesetzt, so dass zahlreiche Stellen in der Gerichtsadministration und den Obergerichten für Parteigänger*innen Orbans frei wurden. Auf Druck der europäischen Institutionen wurden Änderungen vorgenommen, dann kam die Justizreform 2023. Angesichts der weiter bestehenden zahlreichen Einschränkungen auch der Meinungsäußerung und der schlechten Bezahlung, die jährlich wechseln kann, verlassen viele Richter*innen und Justizbedienstete die Justiz, wodurch es in Ungarns Zentralregion nahezu unmöglich geworden ist, zeitnah Anhörungen und Verhandlungen durchzuführen. Im November 2024 wurde von allen Justizbehörden eine Vereinbarung geschlossen, gegen die sich 2000 Richter*innen und Gerichtsbedienstete wehrten. Der Verein Res Iudicata sammelte alle Beschwerden und es gab Demonstrationen, organisiert vom ungarischen Richterverband MABIE. Der Satzungszweck des Vereins Res Iudicata besteht darin, durch eine (professionelle) Öffentlichkeitsarbeit und Bildungsaktivitäten das Rechtsbewusstsein und die Akzeptanz der Werte der Rechtsstaatlichkeit in der Gesellschaft zu fördern, die Bedeutung der Unabhängigkeit der Richter*innen entgegen den regierungsamtlichen Schmierenkampagnen zu erklären und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz zu stärken.
Gualtiero Michelini, Richter am Supreme Court, erklärte die Situation in Italien. Die Philosophie der gegenwärtigen Koalition behauptet, dass die Wahl durch das Volk die einzige Legitimation sei, so dass die Kontrolle durch andere Gewalten und Organe des Staates und die gegenseitige Kontrolle häufig als Hindernis oder als unangemessener Widerstand gegen das Handeln der Regierung verurteilt wird. Die beabsichtigte Reform der Justiz betrifft die Trennung der Laufbahnen von Richter*innen und Staatsanwält*innen mit der Einrichtung von zwei getrennten Hohen Räten, deren Mitglieder durch Wahlen bestimmt werden, sowie einem besonderen hohen Disziplinargerichts für (ordentliche) Richter*innen und Staatsanwält*innen mit der Möglichkeit der Berufung nur vor demselben Organ. Der Dachverband der italienischen Richter*innen und Staatsanwält*innen (ANM), der rund 90 % der Kolleg*innen vertritt, spricht sich entschieden gegen eine solche Reform aus, da sie zu einer Kontrolle der Exekutive über die Staatsanwaltschaft und damit indirekt über die Justiz führt (wo kein Kläger, da kein Richter!). Nach den Parlamentswahlen wurden in Albanien zwei spezielle Strukturen für Migrant*innen errichtet. Dreimal erklärten die italienischen Richter*innen, dass die Herkunftsländer der Migrant*innen nicht als sicher im Sinne des EU-Rechts angesehen werden können und ersuchten den EuGH um eine Vorabentscheidung. Als Reaktion darauf änderte die Regierung das Gesetz zweimal: das erste Mal, indem sie die Liste der sicheren Länder von einem Ministerialerlass in ein Gesetz umwandelte, und das zweite Mal, indem sie die Entscheidungskompetenz von spezialisierten Kammern für internationalen Schutz auf Berufungsgerichte mit Einzelrichter*innen verlagerte. Häufig werden Richter*innen von Mitgliedern der Regierung, der politischen Mehrheit und den Medien scharf angegriffen. Einige Richter*innen brauchten Schutz vor Hassreden in den sozialen Medien und vor evtl. noch schlimmeren Angriffen, da sie in der Öffentlichkeit namentlich genannt und beschämt wurden. Eine Richterin, die an der ersten Entscheidung beteiligt war, trat nach einer harten Kampagne gegen sie zurück, die auch ihr Privatleben betraf.
Im Ergebnis könne die Straf- und Sicherheitspolitik der italienischen Regierung mit der Formulierung „Stärke gegenüber Schwachen und Schwäche gegenüber Starken“ zusammengefasst werden. Das so genannte Sicherheitspaket, das derzeit im Parlament erörtert wird, sehe rund 30 (!) neue Straftatbestände im Zusammenhang mit Widerstand gegen die Polizei, ungenehmigten Demonstrationen und Protesten, einschließlich passiven Widerstands (!) und Protesten in Gefängnissen vor. Zudem wurde der Straftatbestand des Amtsmissbrauchs abgeschafft und der Anwendungsbereich des Straftatbestandes der Einflussnahme erheblich eingeschränkt. Der Foltertatbestand wurde abgeschafft (!), ein so genannter Schutzschild für Polizeikräfte (d.h. Immunität oder Einschränkung der Strafverfolgung für von ihnen begangene Straftaten) werden derzeit diskutiert.
Zur Lage in den Niederlanden berichtete Tamara Trotmann, Richterin am obersten Gericht, über die Situation nach den Wahlen in 2023 und die Schwierigkeiten einer Regierungsbildung der Parteien PVV, VVD, NSC, BBB. Die Regierung meint, sie habe ein Mandat, einen Notstand auszurufen im Hinblick auf Migration. Der Justizminister hat sehr großen Einfluss auf den Justizrat und die Gerichtsverwaltungen. Bisher hat er allerdings wenig Gebrauch davon gemacht. Die Justiz wird aber als Hindernis angesehen, die Richter*innen hätten zu viel Einfluss. Sie schilderte ein Beispiel für öffentliche Justizschelte: Die Behörden hatten ein Verbot für den Auftritt von drei islamistischen Sprechern im Ramadan am 22.2.2025 ausgesprochen. Der angerufene Richter hob das Verbot auf, weil zu wenig Beweismaterial vorhanden waren. Daraufhin wurde sein Bild veröffentlicht und es gab einen Shitstorm gegen ihn. Auch Justizminister Faber sprach von einem schwarzen Tag für die Justiz. Daraufhin hat sich der Vorsitzende des Justizrats vor den Richter gestellt und dies in einem Artikel gerechtfertigt.