Nicht nur das Verfassungsgericht, die Unabhängigkeit der Justiz insgesamt muss besser geschützt werden

Johannes Fechner und Stephan Thomae haben Recht, wenn Sie die Verfassungsgerichtsbarkeit „resilienter gegen Feinde der Demokratie machen“ wollen. Die Vorgänge in Polen und Ungarn zeigen, wie leicht es rechtsradikalen Mehrheiten gelingen kann, nicht nur die Politik, sondern gleich die gesamte Demokratie aus den Angeln zu heben. Einer unabhängigen Gerichtsbarkeit kommt in solchen Zeiten eine zentrale Schutzfunktion zu, um Grundrechte, Grundfreiheiten und die zentralen Elemente der Demokratie zu bewahren. Auch ein Bundesverfassungsgericht kann diese Schutzfunktion aber nur wahrnehmen, wenn es nicht selbst zerstört werden kann. Die NRV begrüßt deswegen die Vorschläge, die Kernelemente der Organisation des BVerfG ins Grundgesetz zu übernehmen.

Aber nicht nur das Bundesverfassungsgericht, die Justiz insgesamt muss deutlich besser gegen bewusst missbräuchlichen Einfluss geschützt werden. Gerichte sind in Deutschland heute noch – wie vor über 100 Jahren – als „nachgeordnete Behörden“ organisiert. Nur die Richter*innen selbst sind in der konkreten Verfahrensgestaltung und Entscheidungsfindung unabhängig. Allerdings sind auch sie in ein grundsätzlich hierarchisch organisiertes System eingebettet. Die Anständigkeit der derzeitigen Verantwortungsträger*innen in den staatlichen Organen und ihr Respekt vor der Judikative sind derzeit wichtige Elemente bei der Sicherung der Unabhängigkeit der Justiz. Damit kann es auch schnell mal vorbei sein. Was dann? Erste Ergebnisse eines „Stresstests Justiz“ zeigen, dass Deutschland nicht gut auf derartige Tendenzen vorbereitet ist.
(vgl. https://www.neuerichter.de/details/artikel/article/strukturdefizite-im-deutschen-justizsystem-wie-wehrhaft-ist-der-rechtsstaat)

Viele Länder in Europa zeigen, dass es besser geht!

Die NRV fordert deswegen schon seit Langem:

  • Einführung einer Selbstverwaltung der Justiz,
    die zwar demokratisch verantwortlich aber organisatorisch unabhängig die Gerichte und die Staatsanwaltschaft organisiert
  • Obligatorische Richterwahlausschüsse in allen Bundesländern,
    die plural zusammengesetzt sind und mit qualifizierten Mehrheiten nach einem transparenten Verfahren aufgrund von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung (Art. 33 GG) entscheiden
  • Abflachung der Gerichtshierarchien,
    damit die Richter*innen nicht durch vermeintliche Beförderungsaussichten und gläserne Decken beeinflusst werden können

Carsten Löbbert, Mitglied des Bundesvorstandes fasst zusammen: „Es ist Zeit, dass sich die Politik in Deutschland einer sachlichen Reformdebatte öffnet. Die im Koalitionsvertrag der Bundesregierung angekündigte Reform der Bundesrichter*innenwahl wäre ein guter Einstieg dazu.“

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