08.11.2013 | Bundesvorstand

Thema für die Koalitionsvereinbarung: Evaluation der Justizstrukturen

An Herrn
Thomas Oppermann, MdB

Thema für die Koalitionsvereinbarung: Evaluation der Justizstrukturen

Sehr geehrter Herr Oppermann,

wir treten als Vereinigung von Richterinnen und Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten an Sie heran mit der dringenden Bitte, in die Koalitionsverhandlungen eine Evaluierung der Justizstrukturen einzufügen.

Die deutschen Justizstrukturen sind im europäischen Vergleich nahezu aus der Zeit gefallen: allerorten – mit Ausnahme von Österreich und Tschechien – gibt es in Europa eine organisatorisch eigenständige Judikative mit dem einen oder anderen Selbstverwaltungsmodell. In Deutschland gehören alle Gerichte (bis auf das Bundesverfassungsgericht) als nachgeordnete Behörden in den Geschäftsbereich eines Ministeriums (überwiegend eines Justizministeriums, mitunter auch eines Sozial- oder Innenministeriums). Personal- und Karriereentscheidungen für Richter werden in den Ministerien getroffen, was zu informellen Abhängigkeitsstrukturen führt, die einer wirklichen Unabhängigkeit der Judikative abträglich sind. Sie waren selbst Verwaltungsrichter und kennen es daher genau: Das Grundgesetz garantiert in Artikel 97 Absatz 1 GG („Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen.“)  in der maßgeblichen Auslegung des Bundesverfassungsgerichts lediglich die Unabhängigkeit der Richter bei der spruchrichterlichen Tätigkeit, nicht auch die Unabhängigkeit der Gerichte oder gar der Judikative als Ganzes (immerhin besteht Einigkeit, dass die Verfassung dem auch nicht entgegenstünde, wenn auch Modifikationen hilfreich wären).

Europa sieht die grundlegenden Erfordernisse der Rechtsstaatlichkeit anders: Kommissarin Reding hat erst unlängst wieder betont, dass zur Rechtsstaatlichkeit eine unabhängige Justiz gehört, die auch unabhängig agiert („The rule of law means that justice is upheld by an independent judiciary, acting impartially.“ Rede vom 4. September 2013, <link http: europa.eu rapid press-release_speech-13-677_en.htm external-link-new-window zur notwendigkeit einer unabhängigen>

europa.eu/rapid/press-release_SPEECH-13-677_en.htm

, Hervorhebung auch im Original). Die Diktion zeigt deutlich, dass sowohl strukturelle Unabhängigkeit, als auch Unabhängigkeit in der Entscheidungsfindung gemeint sind. Frau Reding fordert ein Instrumentarium, im europäischen Raum der Rechtsstaatlichkeit gemeinsame Standards zu implentieren, statt nur in Beitrittsverhandlungen darauf zu achten. Da in allen Beitrittsverhandlungen der letzten Jahre von den Kandidaten die Einführung von Selbstverwaltungsstrukturen der Judikative gefordert wurde, wäre es nicht überraschend, wenn Europa an Deutschland ähnliche Forderungen stellen würde. Darauf sollte Deutschland nicht warten, sondern aktiv werden.

Die deutschen Verbände von Richtern und Staatsanwälten sind sich darin einig (!), dass die Judikative als eigenständige Staatsgewalt neu aufgestellt werden muss. Das sehen also nicht nur wir so, sondern auch Ver.di und der Richterbund, wenn auch Differenzen in unseren Lösungsvorschlägen bestehen. Die Politik ist skeptisch, wohl weil verfassungsrechtliche Argumente vorgeschützt werden oder weil die Personalentscheidungen über hohe Richterposten politisch interessant sind. Alle Koalitionsverträge der letzten Jahre haben in der einen oder anderen Form einen Prüfungsauftrag enthalten, die Justizstrukturen hinsichtlich Selbstverwaltung oder organisatorischer Eigenständigkeit zu evaluieren und die europäischen Lösungen zu prüfen. Wir bitten Sie, hier auch für den Bund, der die maßgebliche Ebene ist, um den Weg für die Modernisierung der Verfasstheit der Judikative als Staatsgewalt zu weisen, eine entsprechende Klausel aufzunehmen. Nicht zuletzt wäre in der kommenden Legislaturperiode ggf. auch eine Modifikation des Grundgesetzes möglich, an der sonst eine so wichtige Reform scheitern könnte. Jetzt eine Evaluierung vorzusehen ist nicht nur höchste Zeit, es enthält auch keine Festlegung, die für Sie später politisch unangenehm werden könnte. Daher bitten wir Sie herzlich, das Thema aufzugreifen.

Wir schlagen für den Text der Koalitionsvereinbarung folgenden Wortlaut vor:

„Wir werden Modelle prüfen, die Judikative organisatorisch mit Eigenständigkeit und mit Selbstverwaltungsstrukturen auszustatten.“


Bei dem Vorhaben stehen wir selbstverständlich gerne unterstützend bereit und sind uns sicher, dass das für alle Richterverbände gilt.

Mit bestem Dank und freundlichen Grüßen

gez. Werner Kannenberg
Mitglied des Bundesvorstands

zurück