23.09.2015 | Fachgruppe Verwaltungsrecht
Stellungnahme
Stellungnahme zum Gesetz zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes, des Asylbewerberleistungsgesetzes und weiterer Gesetze und zur MantelVO
Mit großem Befremden nehmen wir die den Verbänden gesetzte Frist zur Stellungnahme von einem Tag zu o.g. Referentenentwurf zur Kenntnis.
Das Tempo, dass die Bundesregierung hier vorlegt, wird der Bedeutung der in Rede stehenden Gesetzesänderungen nicht gerecht. Ganz im Gegenteil birgt es die Gefahr handwerklicher Fehler, die sich später in der Praxis kontraproduktiv auswirken.
Dabei belegen die umfangreichen Beschränkungen des 1. Entwurfs vom 14.09. gegenüber dem nun vorliegenden Entwurf vom 21.09.2015, dass die Bundesregierung durchaus bereit ist, sich für Teile des Gesetzesvorhabens mehr Zeit zu nehmen. Dass es sich dabei gerade um die Umsetzung von EU-Richtlinien handelt, die schon bis zum 20.07.2015 hätte erfolgen müssen, bestätigt für Außenstehende nur den Eindruck einer Symbolpolitik, die von der notwendigen Lösung der wahren Probleme ablenken soll.
Dies gilt insbesondere für die vorgesehenen Neuregelungen in Artikel 1 (Änderung des AsylVfG). Soweit diese eine Beschleunigung des gerichtlichen Verfahrens bewirken sollen, wird ein derart dringender Handlungsbedarf nicht gesehen. Viel dringender wäre es, zunächst das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit mehr EntscheiderInnen auszustatten, um zunächst dort die Verfahren zu verkürzen und die Entscheidungszahlen zu erhöhen. Im Übrigen wäre es in Bezug auf die gerichtlichen Verfahren deutlich effektiver, wenn die Verwaltungsgerichte von den Ländern mit mehr richterlichem Personal ausgestattet würden.
Die NRV spricht sich deshalb dafür aus, das gerichtliche Verfahren zunächst auszuklammern und insoweit zunächst die Ergebnisse der von der Justizministerkonferenz im Frühjahr d.J. eingesetzten länderoffenen Arbeitsgruppe unter der Leitung Baden-Württembergs und Niedersachsens zum Thema „Änderung des Asylverfahrensrechts“ abzuwarten, zu deren Teilnahme im Übrigen sowohl das BMJV als auch das BMI eingeladen sind (Beschluss vom 18.06.2015, TOP I.16). Hier soll insbesondere geprüft werden, ob eine Erweiterung des Rechtsmittelrechts bis hin zur „Rückanpassung“ an die Regelungen in der VwGO auf die Gesamtthematik betrachtet nicht auch einen Beschleunigungseffekt haben kann, weil mehr Rechtsfragen obergerichtlich und rechtsvereinheitlichend verbindlich geklärt würden. Ein weiterer Aspekt in diesem Zusammenhang sollte die dringend angemahnte Entlastung des Bundesverfassungsgerichts als „zweite Instanz“ in den Eilverfahren, insbesondere in den sog. „Dublin-Fällen“ sein (vgl. dazu Neidhard/Ehrbeck in NVwZ 2015, 761 ff.).
Nichtsdestotrotz soll nachfolgend vor allem auf die das gerichtliche Verfahren betreffenden Neuregelungen durch Artikel 1 eingegangen werden:
zu Nr. 4 (§ 8 Abs. 2):
Der neue Satz 3 betrifft nach seinem Wortlaut sämtliche nach dem AsylG-E zu erhebenden Daten und damit auch solche aus einem gerichtlichen Verfahren. Dies erscheint unverhältnismäßig; die übermittlungsfähigen Daten sollten inhaltlich konkretisiert werden.
zu Nr. 9 bis 11 (§§ 31 Abs. 7 Satz 1, §§ 34a Abs. 2 und 36 Abs. 3):
Hier sollen Regelungen über die Anordnung und Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) neu aufgenommen werden. Dies war bislang vornehmlich Aufgabe der Ausländerbehörde; entsprechend finden sich die maßgeblichen Regelungen in § 11 AufenthG.
Als Ausnahme dazu sieht § 11 Abs. 7 AufenthG schon jetzt vor, dass das BAMF die Anordnung und Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots übernimmt, soweit der Asylantrag eines Ausländers aus einem sicheren Herkunftsstaat bestandskräftig als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde oder dessen Folge- oder Zweitantrag bestandskräftig wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat. Hinzu kommt die Zuständigkeit des BAMF gemäß § 75 Nr. 12 i.V.m. § 11 Abs. 2 AufenthG für die Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots schon im Fall einer Abschiebungsandrohung nach den §§ 34, 35 AsylVfG oder einer Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylVfG.
Die vorgesehenen Regelungen bauen die in diesem Bereich ohnehin schon vorhandene Unübersichtlichkeit nur noch weiter aus; es fehlt insoweit an jeglicher Systematik. Inhaltlich zusammengehörende Regelungen fänden sich dann sowohl im AufenthG als auch im AsylG und es kommt zu Überschneidungen. Darüber hinaus werden die Ergänzungen in verschiedenen Absätzen wiederholt (§§ 34a Abs. 2 und 36 Abs. 3 AsylG-E) und jeweils an andere Regelungsgegenstände angehängt. § 36 Abs. 3 AsylG-E etwa hätte dann elf (!) Sätze.
Unverständlich ist schließlich, weshalb die im Referentenentwurf vom 14.09.2015 vorgesehene Klarstellung, dass auch insoweit das Rechtsmittelrecht des AsylVfG Anwendung findet - § 83d AsylG-E - wieder entfallen soll. Hieran sollte auf jeden Fall festgehalten werden, solange Zuständigkeiten des BAMF auch im Aufenthaltsgesetz geregelt sind. Eine solche Klarstellung wäre für die gerichtliche Praxis schon jetzt dringend geboten.
Aus gesetzessystematischen Gründen empfiehlt es sich allerdings dringend, den gesamten Bereich der Anordnung und Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots durch das BAMF noch einmal zu überarbeiten und vollständig dort zu regeln, wo es hingehört: im AsylVfG (AsylG).
zu Nr. 29 (§ 74 Abs. 1):
Statt „34a,“ muss es heißen „§ 34a Abs. 2,“.
zu Nr. 30 (§ 77 Abs. 1):
Bei Streitigkeiten über die Anordnung und Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots sollte der gleiche maßgebliche Zeitpunkt für die gerichtliche Entscheidung gelten wie bei den übrigen Verfahren (Rechts- und Sachlage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung). Bei zwischenzeitlich geänderter Sachlage wäre das Gericht sonst gezwungen, sehenden Auges eine behördliche Entscheidung zu bestätigen, die so nicht mehr erlassen werden könnte. Dies widerspräche dem sonst stets betonten Beschleunigungsgrundsatz. Im Übrigen ist auch der Verweis in der Entwurfsbegründung auf das behördliche Verfahren nach § 11 Abs. 4 AufenthG nicht zielführend, da die Zuständigkeit des BAMF insoweit nur für Fälle nach § 11 Abs. 7, nicht aber nach § 11 Abs. 2 AufenthG vorgesehen ist (siehe dazu schon die allgemeinen Ausführungen zu den Nrn. 9 bis 11). Schließlich bleibt unklar, ob sich der derzeitige § 77 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG auch auf § 77 Abs. 1 Satz 3 AsylG-E beziehen soll.
zu Nr. 31 (§ 83 Abs. 3):
Die Regelung ist an den jüngst in den Bundesrat eingebrachten Brandenburger Vorschlag angelehnt. Sie stößt in der Praxis schon deshalb auf Bedenken, weil sie den Ländern keine Rechtfertigungsmöglichkeit dafür bieten kann und darf, von den notwendigen Personalaufstockungen an den Verwaltungsgerichten abzusehen. Im Übrigen mag die konzentrierte Zuweisung für Herkunftsländer mit konstant geringen Antragstellerzahlen effizient sein. Sobald man diese Option aber für „Hauptherkunftsländer“ nutzen würde, wäre damit die Belastungssituation an einzelnen Gerichten noch stärker als bisher der "Kampagnenpolitik" des BAMF unterworfen und damit noch weniger voraussehbar. Im Übrigen führt die Konzentration bei einem Verwaltungsgericht in den Flächenstaaten bei Teilnahme an der mündlichen Verhandlung zu einem erhöhten Zeit- und Kostenaufwand für die AsylbewerberInnen und die regelmäßig beauftragten Prozessbevollmächtigten. Jedenfalls letzterer dürfte in zahlreichen Fällen auf die öffentliche Hand zurückfallen.
Sofern die Öffnungsklausel trotz dieser Bedenken eingeführt werden soll, empfiehlt sich auf jeden Fall, die Zuweisung von Verfahren bestimmter Herkunftsstaaten an einzelne Gerichte nicht durch eine Rechtsverordnung, sondern durch ein Landesgesetz vorzusehen, damit die Landesregierung nicht in den Verdacht gerät, einzelne Verwaltungsgerichte wegen ihrer Rechtsprechung gezielt auszunehmen (vgl. nur § 3 Abs. 1 VwGO).
Das Kriterium der „Sachdienlichkeit“ für einen exekutiven oder legislativen Normsetzungsakt sollte im Übrigen entfallen, da sich dies von selbst versteht und die Erwähnung nur Anlass zu rechtlichen Auseinandersetzungen gibt.
Schließlich wäre zu prüfen, ob eine solche Regelung aus systematischen Gründen ohnehin nicht besser in § 3 Abs. 1 VwGO aufgenommen werden sollte; einer Änderung des § 52 Nr. 2 VwGO (wie in Artikel 7 vorgesehen) bedürfte es dann erst recht nicht mehr (sie erscheint schon jetzt überflüssig).
zu Nr. 34 (Anlage II zu § 29a):
Eine Erweiterung der Liste sog. sicherer Herkunftsstaaten „trotz noch vorhandener Defizite“ ist abzulehnen. Sie täuscht darüber hinweg, dass auch insoweit ein vollständiges Asylverfahren durchzuführen ist und insbesondere die Prüfung von Abschiebungshindernissen durch das BAMF oder das Gericht weder erleichtert noch gar erspart wird.
Über den vorliegenden Entwurf hinaus wird angeregt:
- Beibehaltung der im Referentenentwurf vom 14.09.2015 noch vorgesehenen Fristverlängerung von drei Tagen auf eine Woche in § 18a Abs. 4 AsylG-E aus den im Vorentwurf genannten Gründen (Angleichung an die sonstigen im Asylverfahren geltenden Fristen); ein besonderer Beschleunigungseffekt ist demgegenüber nicht dargelegt.
- Streichung des § 36 Abs. 3 Satz 5 bis 7 AsylVfG. Diese Bestimmungen erzeugen unnötigen Aufwand und gehen an der gerichtlichen Praxis vorbei. Eine Entscheidung binnen Wochenfrist scheitert zumeist schon daran, dass die erforderlichen Akten des BAMF nicht zeitgerecht vorgelegt werden.
- Streichung der in § 73 Abs. 2a AsylVfG vorgesehenen turnusmäßigen Prüfung der Asylberechtigung / Flüchtlingseigenschaft zwecks Widerruf oder Rücknahme. Sowohl die darauf gerichteten Verfahren beim BAMF als auch die gegen Widerruf oder Rücknahme gerichteten Klageverfahren sind regelmäßig sehr arbeitsaufwändig.
- Prüfung der vollständigen Abschaffung des Widerrufs nach § 73 Abs. 1 AsylVfG. Abgesehen von der zuvor schon genannten Aufwändigkeit des Verfahrens liefe der Widerruf einer regelmäßig schon vor Jahren ausgesprochenen Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung der im öffentlichen Interesse geförderten und zwischenzeitlich erreichten Integration zuwider.