13.01.2017 | Fachgruppe Verwaltungsrecht
Stellungnahme
Stellungnahme Umweltverträglichkeitsprüfung
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Rechts der Umweltverträglichkeitsprüfung
Entwurf einer Ersten Verordnung zur Änderung der Verordnung über das Genehmigungsverfahren – 9. BImSchV
I.
Die Absicht des Gesetzentwurfs, mit der europarechtlich bedingten Novelle die Regelungen zur Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) auch „insgesamt zu vereinfachen, zu harmonisieren und anwenderfreundlicher auszugestalten“ (S. 1), ist sehr zu begrüßen. Damit dies gelinge, ist vorab auszuführen:
Anscheinend soll vor Verabschiedung der Novelle ein Gesetz zur Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer Vorschriften an europa- und völkerrechtliche Vorgaben erlassen werden (Entwurf vom 12.8.2016, BR-Drs. 422/16, bzw. 5.9.2016, BT-Drs. 18/9526), welches auch Änderungen der mit dieser Novelle wiederum zu ändernden Gesetze enthält (etwa UVPG, BImSchG, BNatSchG, UmwRG). Darauf wird bei dieser Anhörung nicht hingewiesen, sondern erst in der Begründung der einzelnen Vorschriften beiläufig Bezug genommen. Dies erschwert nicht nur die Orientierung über den Gegenstand der Novelle, sondern wirft auch die Frage auf, warum man insbesondere das bisherige UVPG sehenden Auges trotz des vorliegenden Entwurfs nochmals ändert, statt beide Entwürfe in einem Gesetzesvorhaben zu vereinigen.
Bezüglich der Änderungen der 9. BImSchV fragt es sich, warum darin weiterhin der Regelungskomplex des UVPG nachgebildet und folglich jeweils angepasst werden muss, wobei dennoch streckenweise auf das UVPG verwiesen wird, statt dass man die Novelle zum Anlass nimmt, in der 9. BImSchV nur die wirklich notwendigen fachrechtlichen Abweichungen vom UVPG zu regeln. Es ist keineswegs anwenderfreundlich, die Umweltverträglichkeit parallel nach zwei ähnlichen Regelungen prüfen zu lassen. Dies bestätigt sich, wenn Sie die folgenden Anmerkungen zum UVPG auf die entsprechenden Regelungen der 9. BImSchV übertragen, was wir uns ersparen. Dementsprechend sollte auch die Doppelgleisigkeit der UVP-Regelungen in Raumordnungs-, Bauleitplan- und bergrechtlichen Verfahren (Art. 1 Nr. 22 bis 24 des Entwurfs) sowie im Wasserhaushaltsgesetz, in der Atomrechtlichen Verfahrensordnung und der Deponieverordnung (Art. 2 Nr. 20, 21 und 24 des Entwurfs) abgebaut und auf solche fachrechtliche Anforderungen beschränkt werden, die über das UVPG hinausgehen.
II.
Bei der „grundlegenden Überarbeitung und Neufassung intransparenter, missverständlicher oder nicht vollzugsgerechter Bestimmungen“ (S. 2) drängt es sich auf, dies an der umzusetzenden EU-Richtlinie auszurichten und nicht am bisherigen UVPG. Das gilt insbesondere für die Begriffsbestimmung der Schutzgüter, zu denen nach § 2 UVPG auch „sonstige Sachgüter“ gehören:
Sind Sachgüter materielle in Abgrenzung zu immateriellen Gütern oder Gebrauchs- und Verbrauchsgüter in Abgrenzung zu Dienstleistungen, also auch Bauwerke, Straßen, Verkehrsmittel, Waffen, Bekleidung und sonstige Waren, und was hat dies alles mit Umweltschutz zu tun? Wenn in § 2 Abs. 1 UVPG eine gesonderte Ziffer „Kulturgüter und sonstige Sachgüter“ nennt, sind dann auch Kulturgüter (also auch immaterielle Güter) Sachgüter?
Solche Fragen wirft die Richtlinie 2014/52/EU nicht auf, wenn sie in Art. 3 Abs. 1 b) „Sachgüter, kulturelles Erbe und Landschaft“ nennt. Diese werden dort auch nicht als Schutzgüter bezeichnet, sondern als „Faktoren“, die erheblichen Auswirkungen eines Projekts ausgesetzt sind. Ihr Schutz bedarf nicht der Erhebung zu Schutzgütern, sondern unterliegt der Bewertung als eine der Aufgaben, welche die UVP zu leisten hat. Demgemäß verneint etwa der Europäische Gerichtshof ein Schutzgut Grundstückswert, sieht aber Vermögensschäden als vom Schutzzweck der Richtlinie umfasst (EuGH, Urteil vom 14. 3. 2013 - C-420/11 -).
III.
Zu weiteren einzelnen Vorschriften liegt uns an folgenden Hinweisen:
In § 2 Abs. 1 Nr. 2 der Neufassung (UVPG-E) ist durch geeignete Umformulierung sicherzustellen, dass die letzten Worte „und ihrer Lebensräume“ nicht nur auf die dort genannten Vogelarten bezogen werden, sondern auch auf die zuvor genannten Arten von gemeinschaftlichem Interesse.
Die erfreulicherweise ausdrücklich vorgegebene Einbeziehung des Faktors „Fläche“ (weiteres Schutzgut nach § 2 Abs. 1 Nr. 3, Anlage 2 Nr. 1, Anlage 3 Nr. 1 und 2, Anlage 4 Nr. 1 und 4 UVPG-E) ist als reines Ausmaß des Flächenverbrauchs zu wenig aussagekräftig. Der UVP-Bericht sollte gemäß § 16 Abs. 3, Anlage 4 Nr. 4 UVPG-E auch Art und Veränderung der konkret betroffenen Fläche enthalten (z.B. geplant: versiegelt; bisher: landwirtschaftlich/bewaldet/überbaut/brachliegend).
Die Begriffsbestimmung für eine Windfarm (§ 2 Abs. 4 UVPG-E) setzt für Windkraftanlagen außer dem sich überschneidenden Einwirkungsbereich abweichend von § 10 Abs. 4 Nr. 2 UVPG-E für kumulierende Vorhaben nur einen funktionalen und keinen engen funktionalen Zusammenhang voraus. Die anschließende Definition des funktionalen Zusammenhangs ist wenig hilfreich und zudem fragwürdig. Die dort ohne weitere Erläuterung genannten Konzentrationszonen haben den Zweck, die im Außenbereich privilegierten Windkraftanlagen auf ausgewiesene Gebiete zu beschränken, ohne dass unter ihnen irgendein Zusammenhang bestehen müsste. Näher läge ein Bezug zur Umschreibung des engen funktionalen Zusammenhangs in § 10 Abs. 4 Nr. 2 Satz 2 UVPG-E, also [insbesondere] die Verbindung durch gemeinsame betriebliche oder bauliche Einrichtungen. Diesen Gemeinsamkeiten fehlt aber noch das eigentliche funktionale Element, und betriebliche und bauliche Verbindungen von Einrichtungen lassen sich vermeiden, ohne dass sich am Prüfungsbedürfnis etwas ändert. Der Zweck von Umweltprüfungen wegen Auswirkungen dürfte es rechtfertigen, den sich überschneidenden Einwirkungsbereich von Vorhaben in räumlichem Zusammenhang für die Annahme sowohl einer Windfarm als auch kumulierender Vorhaben ausreichen zu lassen (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 30.06.2004 – 4 C 9.03 -).
Die Pflicht zur Durchführung einer UVP (§ 5 Abs. 1 UVPG-E) sollte nicht nur „auf der Grundlage geeigneter Angaben des Vorhabenträgers sowie eigener Informationen“ festgestellt werden, sondern auch auf der Grundlage ggf. erforderlicher Ermittlungen der Behörde (vgl. auch für Fälle der Vorprüfung etwa BVerwG, Urteil vom 18.12.2014 - 4 C 36.13 - BVerwGE 151, 138; VGH Baden-Württemberg, Beschl. vom 6.7.2016 – 3 S 942/16 -).
Die UVP auf Antrag des Vorhabenträgers gemäß § 7 Abs. 3 UVPG-E wird begrüßt und sollte nicht nur bei Neuvorhaben, sondern auch bei Änderungsvorhaben in § 9 UVPG-E vorgesehen werden. Behörden neigen bei Vorprüfungen dazu, die UVP zu vermeiden, was oft fragwürdig und riskant ist. Abgesehen von vernachlässigten Erkenntnisquellen über die Umweltauswirkungen lässt das Fehlen einer Öffentlichkeits- und Verbandsbeteiligung den Projektträger mindestens ein Jahr lang im Ungewissen, ob seine Genehmigung Bestand hat (vgl. § 2 Abs. 4 UmwRG). Ein erfolgversprechender Rechtsbehelf bringt inzwischen getätigte Investitionen in Gefahr, und meist bleibt der Umweltschutz wegen vollendeter Tatsachen auf der Strecke.
Die zeitlichen Vorgaben nach § 7 Abs. 6 UVPG-E entsprechen nicht dem neuen Art. 4 Abs. 6 der umzusetzenden Richtlinie 2014/52/EU. Gerät die Behörde bei der Vorprüfung unter Zeitdruck, müsste sie „im Zweifel pro UVP“ entscheiden (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 9.11.2016 - 13 LC 71/14 -). Das entspricht aber nicht der Praxis, weshalb die Richtlinienregelung vorzuziehen ist.
Der Wegfall der §§ 9 Abs. 4, 10 Abs. 6, 11 Abs. 5 und 12 Abs. 5 UVPG-E wird aufgrund der Begründung S. 66 f befürwortet. Stattdessen könnte es dort oder an anderer Stelle heißen: „Die Vorschriften dieses Gesetzes gelten auch für Änderung von Vorhaben nach den UVP-Richtlinien (85/337/EWG, 97/11/EG).“
Die in § 10 Abs. 5 und § 13 UVPG-E übernommenen Privilegierungen für den Straßenbau und für Industriezonen zu Lasten der Umwelt sind abzuschaffen. Die Gemeinden achten ohnehin zu wenig auf den Flächenverbrauch. Durch die Nichtanwendung der Nr. 18.8 der Anlage 1 werden zudem alle Bauvorhaben der Vorprüfung entzogen.
Bei der Festlegung des Untersuchungsrahmens „soll“ (nicht „kann“) die Behörde die in § 15 Abs. 4 UVPG-E Genannten hinzuziehen.
In § 16 Abs. 1 UVPG-E zum Umweltbericht gehört bei der Reihenfolge der Angaben entsprechend der Richtlinie 2014/52/EU die Beschreibung der zu erwartenden erheblichen Umweltauswirkungen (Nr. 5) vor die Vermeidungs-, Minderungs- und Ausgleichsmaßnahmen (Nr. 3 und 4).
Zur Äußerungsfrist nach § 21 Abs. 3 UVPG-E schlagen wir wegen der gravierenden Folgen einer Fristversäumnis (Abs.4) nach Satz 1 vor: Wird ein Antrag auf Verlängerung dieser Frist gestellt, so endet sie frühestens eine Woche nach Ablehnung des Antrags.
Die Mindestangaben im Zulassungsbescheid nach § 26 Abs. 1 UVPG-E sollten ergänzt werden um die Festsetzung einer Sicherheitsleistung für einen erforderlichen Rückbau sowie um einen Vorbehalt für nachträgliche Anordnungen, die wegen unzureichender Nebenbestimmungen und aufgrund der Überwachungsmaßnahmen erforderlich werden.
Entgegen § 28 Abs. 3 UVPG-E sollte die Überwachung hoheitliche Aufgabe der Behörde bleiben, die jedoch dem Vorhabenträger Vollzugs- und Funktionsberichte in festzulegenden zeitlichen Abständen aufgeben kann.
Der mit § 52 UVPG-E übernommene Verzicht auf strategische Umweltprüfungen (SUP) für Bundesverkehrswegeplanungen, die bereits Gegenstand einer SUP waren, ist abzulehnen. Er segnet eine solche SUP ohne Rücksicht auf ihre Qualität ab, also auch die SUP zum Bundesverkehrswegeplan 2030, die wenig mit den festgeschriebenen Wunschlisten von Straßenbauvorhaben zu tun hat.
In § 65 UVPG-E dürfte statt der neuen Absätze 4 und 5 ein Verweis auf § 26 genügen, statt der Einfügung des § 66a UVPG-E ein Verweis auf § 28.
§ 70 Abs. 1 Nr. 4 UVPG-E ist der neuen Absatzfolge in § 65 anzupassen (jeweils Abs. 6 statt 4 und Abs. 7 statt 5).
Bei der Änderung des Bundesfernstraßengesetzes (Art. 2 Nr. 7 des Entwurfs) regen wir als zusätzliche Regelung an: „In § 17c Nr. 1 wird ‚zehn‘ durch ‚fünf‘ ersetzt.“ Die Verkürzung der (verlängerbaren) Gültigkeitsdauer der Planfeststellungsbeschlüsse auf fünf Jahre wie im VwVfG erscheint geboten, damit die zugrundeliegende UVP beim Baubeginn nicht über 20 Jahre zurückliegen kann.
Konrad Kramer