05.03.1994 | Bundesmitgliederversammlung

Grundsatzerklärung

“Sine spe ac metu II”

konkrete Schritte zur Demokratisierung der Justiz

Seit der Gründung der NRV diskutieren wir die Strukturen einer unabhängigen und demokratischen Justiz. Im Beschluß der Mitgliederversammlung vom 3.3.1991 "sine spe ac metu" (ohne Hoffnung und Furcht) haben wir unsere Zielvorstellungen zusammengefaßt.

Danach gehen wir von dem Grundsatz aus, daß die RichterInnen in einem demokratischen Rechtsstaat von der Exekutive - also der Regierung und der Justiz- und Gerichtsverwaltung -- nichts zu hoffen (Beförderung) und nichts zu fürchten (Dienstaufsicht) haben sollen.

Leitlinien des Beschlusses sind die Einrichtung von parlamentarischen Richterwahlausschüssen in allen Bundesländern, die Schaffung einer "gewaltengeteilten Landesgerichtsverwaltung", der Ausbau der Selbstverwaltung an den Gerichten sowie die Abschaffung des Beurteilungs- und Beförderungssystems.

Hauptorgan der Justizverwaltung soll danach der zu zwei Dritteln aus RichterInnen bestehende "Landesgerichtsbarkeitsrat" (dem italienischen "Consiglio Superior della Magistratura" vergleichbar) sein. Er übernimmt die derzeit von der Exekutive ausgeübte Verwaltung der Gerichte.

Solange diese Selbstverwaltung noch nicht erreicht ist, gilt es, die richterliche Mitbestimmung auszubauen. Dabei müssen über bloße Anhörungs- und Mitwirkungsrechte hinaus echte Mitbestimmungsrechte in allen Personalangelegenheiten durchgesetzt werden.

Konkrete Schritte auf dem Weg zu einer unabhängigen und demokratischen Justiz sind:

I. Die Richterversammlung

Die Richterversammlung ist ein Organ der Richterschaft. Sie entspricht der mitbestimmungsrechtlichen Personalversammlung im öffentlichen Dienst.

Die Richterversammlung wird vom Richterrat einberufen und geleitet. Sie muß vom Richterrat einberufen werden, wenn - nach entsprechender Regelung der Landesrichtergesetze - ein Quorum der Richterschaft die Richterversammlung verlangt. Sämtliche Angelegenheiten der Richterinnen können in Richterversammlungen behandelt werden.

Die Richterversammlung ist ein zur Zeit zu wenig genutztes Instrument der Richterräte und der Richterschaft.

II. Das Präsidium

Die Arbeit des Präsidiums sollte transparenter gestaltet werden. Von besonderer Bedeutung ist die Richteröffentlichkeit der Präsidiumssitzungen. Das Präsidium sollte nicht nur die Betroffenen anhören, sondern allen in den richteröffentlichen Sitzungen anwesenden Kollegen ein Rederecht gewähren. Die Einladung zu den Präsidiumssitzungen, die eine Tagesordnung enthalten soll, muß allen RichterInnen des Gerichts zugehen. Die Einladungsfrist sollte - von Eilfällen abgesehen - eine Woche betragen. Das sogenannte Umlaufverfahren ist auf unumgängliche Ausnahmefälle zu beschränken. Die Anhörung der Betroffenen sollte stets durch das Präsidium erfolgen und nicht vorab durch sogenannte PräsidialrichterInnen oder PräsidentInnen.

Die sogenannten Präsidialrichterlnnen sind keine gewählten Präsidiumsmitglieder, sondern lediglich Verwaltungsreferenten. In dieser Funktion steht ihnen kein Recht zur Vorbereitung und zur Mitwirkung an den Präsidiumssitzungen zu. Soweit Sonderaufgaben zu erfüllen sind, kann das Präsidium eines seiner Mitglieder mit diesen Aufgaben betrauen.

Diese Modalitäten, die bereits bei der bestehenden Gesetzeslage verwirklicht werden können, sollten vom Präsidium in einer Geschäftsordnung geregelt und abgesichert werden.

Im Wege der Gesetzesänderung sollte angestrebt werden, daß sowohl PräsidentInnen als auch Vizepräsidentlnnen weder Sitz noch Stimme im Präsidium haben.

Sie sind im wesentlichen Repräsentanten der Justizverwaltung, während das Präsidium ein Gremium der richterlichen Selbstverwaltung ist. Sie können an den Sitzungen des Präsidiums beratend teilnehmen.

Da das Präsidium die Besetzung der Spruchkörper bestimmt und die Geschäfte verteilt, fehlt es an jeder inneren Rechtfertigung dafür, daß die PräsidentInnen bestimmen, welche richterlichen Aufgaben sie wahrnehmen. § 21 e Abs. 2 Satz 3 GVG ist daher ersatzlos zu streichen.

Die Privilegierung der Vorsitzenden, die bei der bestehenden Rechtslage in Kollegialgerichten die Hälfte der gewählten Präsidiumsmitglieder stellen, obwohl sie weit weniger als die Hälfte der Mitglieder des Gerichts repräsentieren (sogenanntes "Vorsitzendenquorum", vgl. § 21 a Abs. 2 Satz 2 und § 21 b Abs. 2 GVG), widerspricht einer Demokratisierung der Justiz und ist als eine Form des "Zwei-Klassen-Wahlrechts" abzuschaffen. Es gibt keinen sachlichen Grund für die Privilegierung von (beförderten) Richterinnen.

Das Wahlrecht zum Präsidium sollte auch dahin geändert werden, daß die Mitglieder des Präsidiums nach den Grundsätzen des Verhältniswahlrechts gewählt werden, um Pluralität und Minderheitenschutz zu gewährleisten (Änderung des § 21 b Abs. 3 Satz 2 GVG). Lediglich bei kleineren Gerichten unter 20 RichterInnen verbleibt es beim Mehrheitswahlrecht.

III. Geschäftsverteilung innerhalb von Spruchkörpern

Die bisherige Regelung in § 21 g Abs. 2 GVG widerspricht der Gleichwertigkeit der Richterämter und führt in der Praxis zu einer ungerechtfertigten Privilegierung der Vorsitzenden.

Die Geschäftsverteilung innerhalb von Kollegialgerichten muß künftig durch alle Mitglieder des Spruchkörpers - und nicht mehr durch den Vorsitzenden bzw. die Vorsitzende allein - erfolgen. Ein überstimmtes Mitglied des Spruchkörpers kann die Geschäftsverteilung dem Präsidium zur Entscheidung vorlegen.

IV. Erprobungsverhältnisse

Die Rechtsprechung durch unabhängige RichterInnen muß ohne jede Einschränkung gewährleistet sein. Dieses grundgesetzliche Postulat ist in Erprobungsverhältnissen gefährdet. Richterinnen in Erprobungsverhältnissen sind - wie auch das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat - nicht persönlich unabhängig!

Die Abordnung zur Erprobung der Eignung im Hinblick auf Beförderungsämter (sogenanntes Drittes Staatsexamen) ist daher abzuschaffen.

Der Status des "Richters auf Probe" bzw. des "Richters kraft Auftrags" mit der eingeschränkten persönlichen Unabhängigkeit darf nicht dazu mißbraucht werden, daß diese Richterinnen als Verfügungsmasse der Justizverwaltung zur Lösung von Personalproblemen dienen. Abordnungen dürfen allenfalls im Rahmen des § 37 Abs. 3 DRIG bei hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellten Richterinnen erfolgen.

Über die allgemeine Beibehaltung des Proberichter-Status ist noch unter Berücksichtigung einer Neugestaltung der Juristenausbildung grundsätzlich zu diskutieren und zu entscheiden.

V. Einheitliche Richterbesoldung

Ausgehend von der Einheit und Gleichwertigkeit des Richteramtes fordern wir eine einheitliche Richterbesoldung. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes stellt klar, daß dem von dem Beamtenrecht abweichenden besonderen Richterrecht ein entsprechendes Besoldungsrecht folgen muß. Dabei sollte, mit Rücksicht auf die richterliche Unabhängigkeit, jede vermeidbare Einflußnahme der Exekutive auf die rechtsprechende Gewalt, insbesondere im Wege der Einweisung in Beförderungsämter, ausgeschlossen werden. Dem Richteramt ist der Laufbahngedanke fremd. Die geltende Besoldungsordnung für Richter mit ihren insgesamt zehn Besoldungsgruppen entspricht diesen Grundsätzen in keiner Weise. Verfassungsanspruch und Verfassungswirklichkeit klaffen weit auseinander.

Das Gehalt der Richterinnen hat sich grundsätzlich nach ihrer richterlichen Aufgabe, nicht nach den mit ihrem Amt verbundenen Verwaltungsaufgaben zu richten. Zur Zeit ist die Besoldung der Richter höher, je mehr Verwaltungsaufgaben und je weniger richterliche Tätigkeit sie ausüben.

Eine diesen Grundsätzen entsprechende einheitliche Richterbesoldung sollte so gestaltet sein, daß sie bei Durchstufung nach Lebensaltersgruppen bis zum 55. Lebensjahr das Niveau der Besoldungsgruppe R 2 erreicht.

Die zusätzliche Übernahme besonderer Verwaltungsaufgaben auf Zeit kann - soweit unumgänglich - durch Zulagen vergütet werden.

zurück