04.01.2017 | Landesverband Sachsen
Richtervertretung nach dem Sächsischen Richtergesetz 2700-I2-6822/95
Schreiben an das Sächsische Staatsministerium der Justiz
Eilenburg, den 4.1.2017
Sehr geehrter Herr ...,
der Landesverband Sachsen der Neuen Richtervereinigung (NRV) begrüßt die Möglichkeit, die gesetzlichen Grundlagen der praktischen Tätigkeit der (richterlichen) Personalvertretung erörtern zu können. Denn die Notwendigkeit von Ergänzungen sowie das Bedürfnis nach Änderungen und Klarstellungen ergeben sich häufig erst aus konkreten, aktuell zutage tretenden Problemen. Die vorliegende Auflistung von kurzfristig regelungsbedürftig erscheinenden Aspekten weicht deshalb teilweise ab von jenen Vorstellungen, die noch im Oktober – in Anlehnung an eine Stellungnahme anlässlich einer Initiative zur Änderung des Personalvertretungsgesetzes – geäußert worden waren.
Auf die Fragen nach einer ganz grundsätzlichen Revision mitbestimmungsrechtlicher Regeln – allen voran nach einer Aufhebung der Teilung der Mitbestimmungsgremien in Richterräte und Präsidialräte – soll hier indessen nicht näher eingegangen werden. Dies kann der Landesgesetzgeber allein nicht lösen. Daher soll an dieser Stelle auch die Forderung nach einer Änderung der Zusammensetzung der Präsidialräte (und des Hauptstaatsanwaltsrates) nicht intensiver verfolgt werden, obwohl eine solche Änderung für dringend erforderlich gehalten wird.
1. Mit der Behandlung aktuell regelungsbedürftiger Themen soll quasi von hinten begonnen werden – mit den Aufgaben der richterlichen Personalvertretung und dem sich daraus ergebenden Verhältnis zu den (anderen) Personalvertretungsgremien:
Im Rahmen von e-Justice erfolgt eine schrittweise Umstellung von bisher weitgehend händisch vorgenommenen und auf Papier dokumentierten Prozessen auf Datenverarbeitungsverfahren. Von solchen Umstellungen sind potentiell alle Bediensteten der Gerichte betroffen. Es wird sich daher in einer Vielzahl von Fällen die Frage stellen, ob es sich dabei jeweils um gemeinsame Angelegenheiten und damit um gemeinsame Aufgaben von Richterrat und Personalrat im Sinne des § 21 SächsRiG handelt, oder ob das Mitbestimmungsverfahren nach dem Landesrichtergesetzes einschlägig ist.
Der Wortlaut des § 21 SächsRiG, der insoweit mit § 53 DRiG übereinstimmt, gibt dafür nicht viel her. Auch eine Durchsicht der zu dieser Problematik ergangenen veröffentlichten Entscheidungen, denen zudem landesrechtlich durchaus unterschiedliche Regelungen zugrunde liegen, hilft wenig: So soll die Übertragung der Dienstaufsicht sowohl über Richter als auch gegenüber Angestellten und Beamten eines Gerichts von der Direktorin des SG auf die Präsidentin des LSG nach einer Entscheidung des Bremische OVG vom 17.1.2007 keine gemeinsame Angelegenheit darstellen. Der Beschluss des BVerwG vom 8.12.1999 zu einer gemeinsamen Schwerbehindertenvertretung ist wenig ergiebig, ebenso die Entscheidung des Hamburgischen OVG vom 8.11.1999 zur Zustimmung zur Verlegung eines Gerichts (schon wegen der nicht vergleichbaren Gesetzeslage).
Um den damit einhergehenden Zweifeln (das SMJ hatte im Rahmen der Einführung des Fachverfahrens forumSTAR den Landesrichterrat für Mitwirkungs-/Mitbestimmungsberechtigt gehalten, wohingegen die Prozessvereinbarung zur Einführung einer elektronischen Verfahrensakte vorsichtshalber zwischen allen denkbaren Beteiligten geschlossen wurde) von vornherein zu begegnen, sollte eine gesetzliche Klarstellung erfolgen. Diese Klarstellung sollte dahin gehen, dass jedenfalls dann, wenn und insoweit es bei der Angelegenheit um die Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen geht, die objektiv dazu geeignet sind, das Verhalten oder die Leistung von Richtern zu überwachen, keine gemeinsame Aufgabe von Richterrat und Personalrat gegeben ist.
Richterräte und Landesrichterräte sind dazu berufen, die (speziellen) Interessen der Richterschaft gegenüber der Gerichtsverwaltung wahrzunehmen. Wegen der besonderen Rechtsstellung der Richter (§ 25 DRiG: Der Richter ist unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen) folgt daraus nach Auffassung der NRV trotz der weitgehenden Übereinstimmung des Wortlautes der Mitbestimmungstatbestände im Richtergesetz und im Personalvertretungsgesetz, dass den Regelungen des Richtergesetztes eine mitunter erheblich weitergehende Bedeutung zukommt – nämlich über die Geltendmachung solcher Interessen, die sich aus der Betroffenheit im Rahmen eines Dienstverhältnisses ergeben hinaus die Wahrung jener speziellen Rechte, die zur Gewährleistung der unabhängigen Ausübung der richterlichen Kernaufgaben zu beachten sind. Diese spezielle Aufgabenstellung schließt es nach der hier vertretenen Auffassung aus, dass die Richterschaft allein deshalb, weil von einer Maßnahme alle Bediensteten der Gerichte betroffen sind, automatisch darauf verwiesen werden kann, ihre Anliegen durch die Entsendung zweier Vertreter in ein Gremium wahrzunehmen, das um ein vielfaches größer ist, und in dem nicht gewährleistet werden kann, dass solche speziellen Interessen Berücksichtigung finden.
2. Die NRV hält – ungeachtet der Einführung des § 87 Abs.1a Sächs. PersVG, an der Kritik fest, dass ein struktureller Mangel effektiver Mitbestimmung dann besteht, wenn die Zuständigkeit für solche Maßnahmen, die andernfalls mitbestimmungs-pflichtig wären, auf gesonderte Landesbehörden outgesourced werden. Dies gilt einerseits auf der örtlichen Ebene in Hinblick auf ungelöste Probleme bei der Nutzung von Gebäuden, insbesondere dann, wenn es mehrere Nutzer mit je eigenen Mitbestimmungsgremien gibt. Dies gilt andererseits aber auch und insbesondere in Bezug auf Entscheidungen, die, wie beispielsweise die Umstellung der Telekommunikation auf VoIP, alle Landesbediensteten betreffen. Um an dieses Beispiel anzuknüpfen: Es berührt Fragen der richterlichen Unabhängigkeit, ob und ggf. durch wen Verbindungsdaten gespeichert und eingesehen werden können (und damit ersichtlich werden kann, wann und mit wem und wie lang ein Richter telefoniert hat).
Ein effektives Mitspracherecht hat die Justiz nur dann, wenn die Beteiligung der Mitwirkungsgremien nicht nach § 15 Abs.4 auf jene Angelegenheiten beschränkt ist, für die das SMJ oder die Präsidenten der Obergerichte (oder der Gerichtsvorstand eines Gerichts) zuständig sind.
Diese Thematik wird in aller Deutlichkeit aufbrechen, wenn es um die Beschaffung der mit der Umstellung auf die E-Akte erforderlichen Technik geht: Alle diesbezüglichen, im Rahmen der Mitbestimmung durchlaufenen Verfahren sind ohne bleibenden Wert, wenn die SID sich hieran nicht – dauerhaft – gebunden fühlt. Es muss also sichergestellt sein, dass beispielweise auch bei erforderlichen Modernisierungen Mitbestimmung möglich bleibt.
An der seinerzeitig (in der Stellungnahme vom 1.6.2015) geäußerten Auffassung, dass sich dieses Problem durch die Aufwertung der Arbeitsgemeinschaft der Hauptpersonalräte nach § 69 PersVG zu einem Mitbestimmungsorgan lösen ließe, wird nicht festgehalten.
3. Die NRV begrüßt die jetzt abgeschlossene Vereinbarung über die Begleitung der Entwicklung der E-Akte im Rahmen einer sogenannten Prozessvereinbarung. Allerdings reicht es ihr nicht aus, wenn es sich dabei um punktuelle Regelungen handelt, die für vergleichbare Entwicklungsprojekte in anderen Bereichen keine Geltung beanspruchen (wie beispielsweise für das "Redesign" von forumSTAR). Ungeachtet des Umstands, dass eine entsprechende Erweiterung der Mitwirkungsrechte im PersVG keine Zustimmung fand, bleibt die Forderung bestehen, einen entsprechenden Mitwirkungstatbestand zu schaffen.
4. Für die praktische Wahrnehmung eines Amtes und für die Umsetzung der damit einhergehenden Aufgaben wie etwa der Prüfung von Gesetzentwürfen oder von mitbestimmungsrelevanten Maßnahmen ist es von entscheidender Bedeutung, wie viel Zeit den Amtsträgern für diese ihre Aufgaben (neben anderen) zur Verfügung steht. Nach Auffassung der NRV ist der Umfang der Freistellung in Anlehnung an die Freistellung der Hauptpersonalräte, die ihrerseits wiederum in Anlehnung an § 46 PersVG erfolgt, zu gewähren.
Nach Auffassung der NRV darf dies nicht vom jeweiligen Goodwill des Ministeriums abhängen, sondern muss zur Gewährleistung der Unabhängigkeit des Landesrichterrates im Gesetz festgeschrieben sein.
5. Die Rechtsstellung der (örtlichen) Richterräte ist zu verbessern. Wie auch dem (örtlichen) Personalrat sollten den Richterräten echte Beteiligungsrechte zustehen, nämlich Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte, mit entsprechenden Verfahren.
Dies würde die teilweise etwas stiefmütterliche Beteiligung aufwerten und insgesamt das Bewusstsein der Richterschaft heben, Teil des Gerichts zu sein und in die dieses betreffenden Maßnahmen aktiv eingebunden zu sein.
6. Ob die Verlängerung der Wahlperiode von 4 auf 5 Jahre, die einem allgemeinen Trend zu entsprechen scheint, sinnvoll war, sollte überprüft werden.
Dabei dürften maßgeblich sein:
- das Maß an demokratischer Legitimation (das mit der Dauer einer Amtszeit abnimmt).
- der Bedarf einer Institution nach personeller Kontinuität zum Erhalt der in den Amtsträgern kumulierten fachlichen Kompetenz (ein Erfordernis, dem aber auch anders als durch eine Verlängerung der Wahlperiode, beispielsweise durch Teilwahl, Genüge getan werden könnte).
- die Bereitschaft, für ein Amt zu kandidieren (die von Beginn an gering war und die weiter im Abnehmen begriffen ist, und die durch eine lange Amtsperiode nicht unbedingt gefördert wird).
Dem weiteren Dialog über notwendige und wünschenswerte Änderungen des Richtergesetzes des Freistaates Sachsen wird mit Spannung entgegengesehen.
Mit freundlichen Grüßen
Ruben Franzen
Sprecher des Landesverbandes Sachsen der Neuen Richtervereinigung