04.03.2007 | Bundesmitgliederversammlung

Plädoyer für den unabhängigen Staatsanwalt

Plädoyer für den unabhängigen Staatsanwalt


I. Es ist allgemein anerkannt, dass die Strafrechtsprechung nur durch unabhängige, von politischen Einflüssen freie Richter und Richterinnen wahrgenommen werden kann. Aus den gleichen Gründen kann eine effektive Strafverfolgung nur durch unabhängige Staatsanwälte und Staatsanwältinnen stattfinden.

Die Staatsanwälte entscheidet allein über

  • den Anfangsverdacht: Soll ein Ereignis mit einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren aufgeklärt werden oder soll es auf sich beruhen?
  • den hinreichenden Tatverdacht: Sollen die Gerichte den Fall einer Entscheidung zuführen oder wird das Verfahren eingestellt?
  • die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen Auflagen oder ohne Auflagen bei den meisten Vergehen.


Damit entscheiden sie insgesamt 60 % bis 70 % aller Fälle abschließend, ohne dass Gerichte mit ihnen befasst werden.

Für die übrigen Fälle entscheiden sie, ob Anklage erhoben und damit ein öffentliches Gerichtsverfahren durchgeführt oder ob die Sache mit Strafbefehl schriftlich erledigt werden soll.

Die Staatsanwaltschaft ist Frühwarnsystem für gesellschaftliche Fehlentwicklungen (z. B. rechte Gewalt, Korruption im öffentlichen Dienst, Menschenhandel), versagt aber gerade bei dieser Aufgabe.

Die Staatsanwälte wachen darüber, dass die Polizei als Teil der Exekutive bei ihren Ermittlungen die Rechte der Bürger wahrt. Sie wachen damit auch darüber, ob die Exekutive sich an die Strafgesetze hält. Es ist widersinnig, dass der Justizminister, selbst ein Teil der Exekutive, mit Hilfe des Weisungsrechts den Wächter überwacht.

Die Gerichte und die Staatsanwaltschaften sind in gleicher Weise dafür verantwortlich, dass sich der Geltungswille und der Geist des Rechts in allen Abschnitten des Verfahrens behaupten und alle aus dem Bereich der politischen Macht kommenden, die Sache der Justiz störenden Einflüsse abgewehrt werden.

Die Staatsanwaltschaft ist nicht Recht sprechende Gewalt in dem Sinn, dass sie in einem kontradiktorischen Verfahren Konflikte auch gegen den Willen der Beteiligten rechtskräftig beendet. Aber sie filtert, kanalisiert und steuert die Konflikte, die überhaupt vor den Strafgerichten zur Entscheidung kommen. Die übrigen beendet sie selbst. Deshalb übt sie Recht sprechende Gewalt aus und ist damit Teil der Judikative.

Das Mittel, mit welchem das Grundgesetz die Gerichte befähigt, die aus dem Bereich der Macht kommenden, die Justiz störenden Einflüsse abzuwehren, ist die Unabhängigkeit. Diese Mittel fehlt der Staatsanwaltschaft. Weil sie so intensiv an der Strafrechtspflege teil hat, müssen, damit die Recht sprechende Gewalt ihre Aufgabe erfüllen kann, die Staatsanwälte so unabhängig werden wie die Richter.

Der NRV ist bewusst, dass es ein grundsätzliches Umdenken erfordert, die Staatsanwaltschaft genauso unabhängig zu konzipieren wie die Gerichte. Neu ist ein solches Modell allerdings nicht. Schon die deutsche bürgerliche Freiheitsbewegung im 19ten Jahrhundert forderte einen unabhängigen Staatsanwalt als „Richter im Vorverfahren“.

Im europäischen Vergleich hinkt das Amtsrecht der Staatsanwälte in Deutschland hinterher. In Frankreich und in der Schweiz wird die Strafverfolgung maßgeblich von unabhängigen Untersuchungsrichtern gestaltet. In Portugal und Italien sind die Staatsanwälte noch unabhängiger als bei uns die Richter.

Der Europarat nimmt es hin, dass seine einzelnen Mitgliedsstaaten teils unabhängige, teils abhängige Staatsanwaltschaften haben. Auch im Fall einer von der Exekutive abhängigen Staatsanwaltschaft müsse aber auch sichergestellt sein, „dass die Staatsanwaltschaft ohne jede Behinderung wegen aller Straftaten gegen diejenigen ermitteln könne, die für den Staat handeln, insbesondere wegen Korruption, Amtsmissbrauch, offensichtlicher Verletzung der Menschenrechte und wegen Verstoß gegen das Völkerstrafrecht.“1

Es kann keine Rede davon sein, dass diese Forderung in Deutschland erfüllt ist. Das (externe) Weisungsrecht der Justizminister steht dem entgegen.


II. Ausgehend von dem Ziel einer unabhängigen Staatsanwaltschaft beschreiben wir in der Folge ein Modell, das durch Änderungen des Grundgesetzes von Gesetzen und einzelnen Rechtsverordnungen nicht nur in sich geschlossen, sondern auch mit dem NRV-Modell eines „Gemeinsamen Justizkorps“ kompatibel ist.

Dieses Modell stellt ausdrücklich nur einen ersten (kleinen) Schritt dar. Notwendig ist auf Dauer, eine wirklich unabhängige Staatsanwaltschaft zu schaffen. Das ist eine selbst verwaltete Staatsanwaltschaft mit eigenem Haushaltsforderungsrecht, die in das von der NRV entwickelte Modell der selbstverwalteten Gerichte (sine spe ac metu) integriert wird.

Dieser erste kleine Schritt soll aussehen wie folgt:

1. Grundsatz

Die unabhängige Staatsanwaltschaft bedarf des unabhängigen, einem Richter gleichen Staatsanwaltes. Dementsprechend sind sowohl Änderungen des Grundgesetzes (Art. 92, 97) als auch Änderungen dort notwendig, wo der Staatsanwalt als Beamter definiert ist (GVG, StPO, StGB etc.).

Zudem bedarf es der Abkoppelung der Staatsanwaltschaft von der Exekutive (Abschaffung des externen Weisungsrechts) und der Neugestaltung des internen Weisungsrechts (Weisungsrecht der Präsidien) teilweise durch Abänderung und teilweise durch Streichung der §§ 145 – 148 GVG.

2. Organisation der Staatsanwaltschaft

Für diesen staatsrechtlichen Status des Staatsanwalts und der Staatsanwaltschaft ist die Organisation/Struktur der Staatsanwaltschaft im Sinne der §§ 21 a ff. GVG zu reformieren.

Entsprechend § 21 a GVG wird ein Präsidium gebildet mit dem Leiter der Staatsanwaltschaft als Vorsitzenden, das im Übrigen von den Staatsanwälten der Behörde gewählt wird. Das Präsidium regelt den Einsatz der einzelnen Staatsanwälte in den Abteilungen und die Geschäftsverteilung unter den Abteilungen. Diese Regelung schafft keinen „gesetzlichen Staatsanwalt“. Sie entspricht vielmehr der Übertragung von Zuständigkeiten auf Spruchkörper bei einem Gericht. Es gibt nicht den „gesetzlichen Staatsanwalt“, sondern die „gesetzliche Abteilung“. Das Präsidium weist außerdem den Abteilungen das Personal zu und beauftragt eine Person mit der Sitzungseinteilung, die für die einzelnen Staatsanwälte verbindlich ist.

Das Präsidium entscheidet außerdem in bestimmten Fällen des Dissenses zwischen Abteilungsleiter und Abteilung bzw. einzelnen Dezernenten. Präsidium und Behördenleiter stehen zueinander wie Vorstand und geschäftsführender Vorstand.

Dem Behördenleiter werden darüber hinaus Entscheidungsbefugnisse im Verwaltungsbereich zugewiesen (OrgStA). Die Abteilung besteht aus dem Abteilungsleiter und den Dezernenten. Sie bekommt ihre Aufgabe vom Präsidium zugeteilt. Die grundlegende Verteilung der Geschäfte erfolgt zum Jahresbeginn durch Beschlussfassung der gesamten Abteilung (entsprechend § 21 Abs. 1 g GVG). Den Vorsitz in den Sitzungen der Abteilungen führt entsprechend §§ 21 ff. GVG der Abteilungsleiter. Um jedoch auf Einfälle, besonders schwierige oder umfangreiche Verfahren, Vertretungsfälle usw. flexibel reagieren zu können, kann die Geschäftsverteilung innerhalb der Abteilung durch Beschluss der Abteilung geändert werden. Entsprechend § 21 g Abs. 5 i. V. m. § 21 g Abs. 2 GVG kann der Abteilungsleiter in Eilfällen die Aufgabe einem Dezernenten zuweisen. Diese Anordnung bleibt solange in Kraft, bis eine Entscheidung der Abteilung ergangen ist. Jeder Staatsanwalt hat einen Abwesenheitsvertreter. Für den Fall, dass ein nach der generellen Geschäftsverteilung zuständiger Dezernent mit der Nichtzuteilung oder dem Entzug eines Verfahrens durch die Abteilung nicht einverstanden ist, kann er das Präsidium anrufen.

Die Unabhängigkeit des einzelnen Staatsanwaltes verlangt eine verstärkte Innenkontrolle. Im laufenden Ermittlungsverfahren wird der „übereifrige“ Staatsanwalt dadurch ausreichend kontrolliert, dass er für Zwangsmaßnahmen in der Regel einen richterlichen Beschluss benötigt.

Dem „untereifrigen“ Staatsanwalt setzt die Abteilung eine angemessene Frist zur Durchführung bestimmter Ermittlungshandlungen. Dagegen kann er das Präsidium anrufen. Bei der Fristsetzung ist zu gewährleisten, dass die Qualtität der Ermittlungstätigkeit gewahrt bleibt und nicht unter dem Deckmantel der Beschleunigung sachfremde Erwägungen gefördert werden. Die Abteilung kann einen Dezernenten aus sachlichen Gründen ein Verfahren entziehen. Auch hiergegen kann der Betroffene das Präsidium anrufen.

Die verfahrensbeendende Entscheidung ohne Mitwirkung des Gerichts treffen Dezernent und Abteilungsleiter einvernehmlich (Vier-Augen-Prinzip). Im Falle des Dissenses entscheidet ein vom Geschäftsverteilungsplan bestimmter Dritter mit.

Gleiches soll für Entscheidungen gem. §§ 153, 154 StPO, 45 JGG und 31 a BtMG gelten. Das Klageerzwingungsrecht bleibt unverändert. Grundsätzlich hat jeder Anzeigeerstatter, der Geschädigte und jede für die jeweilige Gefährdung zuständige Behörde entsprechend Nr. 90 RiStBV ein Beschwerderecht, insoweit ist der Generalstaatsanwalt Rechtsmittelinstanz.

Da bei einer Entscheidung gem. § 153 a StPO die Strafklage verbraucht wird, soll sie nur mit Zustimmung des Gerichts möglich sein. Die Ablehnung der Zustimmung kann von der Staatsanwaltschaft mit der Beschwerde angefochten werden.

3. Ein externes Weisungsrecht ist nicht zwingend erforderlich, um eine gleichmäßige Gesetzesanwendung zu gewährleisten. Die NRV hält Empfehlungen durch die Generalstaatsanwaltschaft für ausreichend. Da der Wunsch nach Orientierung in einfachen Fällen größer ist, als das Bedürfnis individuelle Begründungen zu schreiben, werden diese Empfehlungen auch von unabhängigen Staatsanwälten angenommen werden. Vergleichbares zeigt sich im richterlichen Bereich etwa bei den Unterhaltsrichtlinien der Oberlandesgerichte, welche flächendeckend angewandt werden.

Ferner muss im GVG eine Ermächtigung für die Generalstaatsanwaltschaften zur Vereinbarung von örtlichen Zuständigkeiten enthalten sein bei überschneidender Zuständigkeit.

Regelungen entsprechend der RiStBV und der OrgSta müssten auf der landesgesetzlichen Ebene oder durch Rechtsverordnung ergehen. Auch hier wäre eine vorherige Einigung der Generalstaatsanwälte auf ein möglichst einheitliches Regelwerk denkbar.

4. Kapazitätserhöhung bei den Staatsanwaltschaften

Nicht nur wegen der dann veränderten Struktur der Staatsanwaltschaft, die mehr Kommunikation und Verantwortung innerhalb der Abteilung erfordert, sondern auch wegen der gestiegenen Herausforderungen durch international verflochtene Wirtschafts- und globale organisierte Kriminalität ist eine Neubestimmung und Neuorganisation des staatsanwaltschaftlichen Arbeitsfeldes erforderlich. Dazu wird zu diskutieren sein, inwieweit der Staatsanwaltschaft derzeit übertragene Aufgaben durch andere oder anders erledigt werden können (Bsp.: Implementation verschiedener Massendelikte in das Ordnungswidrigkeitenrecht; Ausweitung die Ministerpräsidenten).


5. Staatsanwaltschaft und Polizei

Die tatsächliche Herrschaft der Staatsanwaltschaft über das Ermittlungsverfahren verlangt Veränderungen im Verhältnis Staatsanwaltschaft – Polizei (und anderer „Ermittlungspersonen“). Das soll erreicht werden durch:

Bildung eines Pools von Kriminalbeamten, die an die Staatsanwaltschaften auf Zeit abgeordnet werden. Über den Einsatz dort entscheiden die Präsidien.

Wie bisher schon werden Sonderkommissionen im Zusammenwirken mit der Staatsanwaltschaft eingerichtet.

Geschäfts- und Personalverteilungspläne der Polizei werden im Zusammenwirken mit den Leitenden Oberstaatsanwälten erstellt, und zwar nicht nur im Hinblick auf Abordnungen an die Staatsanwaltschaft sondern auch im Hinblick auf Einsatz und Auswahl von Ermittlungsbeamten.




Mit der Durchsetzung dieses Modells würde Deutschland wenigstens einen Teil der Forderungen erfüllen, welchen der Europarat in der genannten Recommandation 19, 2000 aufgestellt hat.

Dateien zum Download

zurück