02.09.2011 | FG Verwaltungsrecht u.a.
Gesetzentwurf Aufenthaltsrecht - Rechtsschutz an der Grenze
Gemeinsamer Brief an den Bundesrat
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Neue Richtervereinigung, der Deutsche Anwaltverein, die Rechtsberaterkonferenz der Wohlfahrtsverbände des UNHCR und der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein nehmen das demnächst zur Beratung im Bundesrat anstehende Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex (<link file:212 download>BR-Drs. 210/11) zum Anlass für eine Stellungnahme nur zu einem einzelnen Punkt, obwohl er das geltende Recht substanziell kaum betrifft. Denn in diesem Punkt ist das Gesetz verfassungswidrig.
Der Entwurf sieht in Artikel 1 Nummer 46 Buchstabe a eine Änderung des Aufenthaltsgesetzes vor, die § 83 Absatz 1 Satz 1 den folgenden Wortlaut gibt: "Die Versagung eines nationalen Visums und eines Passersatzes an der Grenze sind unanfechtbar." Diese Regelung entspricht der Sache nach dem bereits geltenden § 83 Absatz 1 Satz 1 Aufenthaltsgesetz sowie der Vorläufervorschrift des § 71 Ausländergesetz. § 83 Absatz 1 Satz 1 in der Fassung, die das Gesetz ihm geben will (wie auch die geltende Fassung) ist evident mit Artikel 19 Absatz 4 GG unvereinbar. Denn die Ablehnung des Visums ist eine innerstaatliche behördliche Entscheidung, in Bezug auf die die Rechtsschutzgarantie greift. Genau dem stellt die Vorschrift sich entgegen.
Der Gesetzentwurf hält daran fest, im nachfolgenden Satz 2 der Vorschrift den Hinweis auf die Möglichkeit einer Antragstellung bei der zuständigen Auslandsvertretung anzuschließen. Allerdings ist die Möglichkeit, einen neuen Antrag bei einer anderen Behörde (einer Außenstelle des Auswärtigen Amtes) als bei der Entscheidungsbehörde (Bundespolizei) zu stellen kein Weg, um Rechtsschutz im Sinne von Artikel 19 Absatz 4 GG zu gewährleisten. Denn Rechtsschutz im Sinne des Grundgesetzes können nur Gerichte gewähren. Die Möglichkeit, den soeben abgelehnten Antrag andernorts neu stellen zu können, nimmt der Ablehnung durch die Grenzschutzbehörde weder die Verbindlichkeit noch den rechtlich belastenden Charakter. Der Umstand, dass die Entscheidung nur in der Ablehnung einer Begünstigung besteht, ist für das Eingreifen der Rechtsschutzgarantie des Artikels 19 Absatz 4 GG ebenfalls unerheblich und zweifelsfrei gilt dieses Justizgrundrecht auch für Ausländer.
Dementsprechend ist in der Literatur praktisch einhellig die Verfassungswidrigkeit der geltenden Vorschrift anerkannt (statt aller: Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 9. Auflage 2011, Rdr. 2 zu § 83), Rechtsprechung zu der Vorschrift ist nicht ersichtlich. Würde die Neufassung von § 83 Absatz 1 Satz 1 wie entworfen beschlossen, dürfte das Gesetz nicht ausgefertigt werden. Aus diesem Grunde geben wir zu erwägen, die Zustimmung zu dem Gesetz zu versagen. Eine Abschrift dieses Schreibens stellen wir dem Bundespräsidialamt zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
gez.
Richter am Verwaltungsgericht Ferdinand Georgen
Fachgruppe Verwaltungsrecht der Neuen Richtervereinigung (NRV)
gez.
Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolfgang Ewer
Präsident des Deutschen Anwaltvereins
gez.
Rechtsanwalt Michael Koch
Die Rechtsberaterkonferenz der mit den Wohlfahrtsverbänden und dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen zusammenarbeitenden Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte
gez.
Franziska Nedelmann
stellvertretende Vorstandsvorsitzende
Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV)