05.09.2012 | LV Schleswig-Holstein
Exekutive missachtet richterliche Unabhängigkeit

Am 01.09.2012 berichteten die Kieler Nachrichten, nach eindringlichen Hinweisen aus der Landesregierung habe das Amtsgericht Neumünster am 31.08.2012 die Überwachung eines 72jährigen Triebtäters erneut angeordnet. Zuvor habe die zuständige Amtsrichterin den Beschluss „verweigert“, indem sie zunächst einen Anhörungstermin anberaumt habe. Innenminister Andreas Breitner (SPD) wird mit der Ansicht zitiert, rechtlich sei es überhaupt nicht nötig, den Mann anzuhören: „Auf Anhörung kann verzichtet werden, wenn der Zweck der Maßnahme gefährdet wird.“, lautet das wörtliche Zitat. Weiter wirft der Bericht die Frage auf, ob die erneute Anordnung der Beobachtung “auf sanften Druck” der Justizministerin geschehen sei. Die NRV SH ist dem damit im Raume stehenden Vorwurf eines Eingriffs in die richterliche Unabhängigkeit durch das Justizministerium nachgegangen.
Fakt ist, dass die zuständige Richterin auf den Antrag der Polizei, der erst einen Tag vor Ablauf der angeordneten Observation bei dem Amtsgericht einging, Termin zur Anhörung des Betroffenen für den 7.9.2012 anberaumt hatte. Auch in Ansehung einer Gegenvorstellung der Polizei hielt die Richterin an dieser — rechtlich korrekten — Vorgehensweise fest.
Fakt ist weiter, dass der Abteilungsleiter aus dem Justizministerium am Freitag wegen dieses Falles bei dem Direktor des Amtsgerichts angerufen hat.
Fakt ist schließlich, dass sich der Direktor des Amtsgerichts Neumünster nach diesem Telefongespräch veranlasst sah, selbst als Vertreter der zuständigen Richterin einen Beschluss über eine einstweilige Anordnung zu erlassen, und zwar obwohl die zuständige Richterin im Dienst war (wenn auch nicht im Gerichtsgebäude) und sich mit der Sachlage bereits befasst hatte.
Nach der NRV SH vorliegender Information soll der Leiter der Abteilung III dem Amtsgerichtsdirektor bei seinem Anruf am Freitag in Aussicht gestellt haben, dass, falls die Observation nicht umgehend einstweilen angeordnet werden würde, das Justizministerium in der Folgewoche sich der Presse gegenüber erklären werde und dabei den Namen der zuständigen Richterin nennen wolle.
Die Neue Richtervereinigung Schleswig Holsteins sieht hierin einen deutlichen Fall der Missachtung richterlicher Unabhängigkeit durch die Exekutive.
Das Ministerium weist die Vorwürfe zurück. Die Entscheidung beruhe ausschließlich auf einer unabhängigen Bewertung der Sach- und Rechtslage bei einer veränderten prozessualen Situation. Die entscheidenden Richterinnen und Richter hätten ohne jegliche Einflussnahme der Landesregierung oder der Dienstaufsicht entschieden. Der Wortlaut der Stellungnahme des Ministeriums ist <link file:1898 download>hier zu finden.
Dazu erklärte Hartmut Schneider, 1. Sprecher der nrv Schleswig-Holstein: “Auch nach der Medieninformation des Justizministeriums vom 4.9.2012 bleiben Unklarheiten. Der zeitliche Zusammenhang zwischen dem Anruf des Abteilungsleiters im Justizministerium beim Direktor des Amtsgerichts am Freitag und dem Erlass einer offenbar gewünschten einstweiligen Anordnung durch den Direktor des Amtsgerichts als Vertreter ist sehr ungewöhnlich, zumal die zuständige Richterin im Dienst war, wenn auch nicht am Schreibtisch.”
Weshalb sah sich der Amtsgerichtsdirektor gezwungen selbst, als Vertreter der zuständigen Richterin, einen Beschluss zu erlassen, unmittelbar, nachdem er dem Abteilungsleiter des Justizministeriums berichten musste? Der sich aus dem Gesamtzusammenhang wie insbesondere dem zeitlichen Ablauf ergebende Verdacht eines Eingriffs in die richterliche Unabhängigkeit, wie er auch in der Berichterstattung der Kieler Nachrichten enthalten ist, ist durch die Medien-Information des Justizministeriums vom 4.9.2012 überhaupt nicht entkräftet. Der Sachverhalt wird darin nicht aufgearbeitet. Das Eingehen auf Details wird ersichtlich vermieden. Liegt z.B. ein schriftlicher und mit einer Begründung versehener Antrag der Polizei auf Erlass einer Anordnung zu dem verfahrensgegenständlichen Aktenzeichen vor und wann ist dieser Antrag auf der Geschäftstelle eingegangen?
Es ergibt sich im Übrigen aus der Natur der Sache, dass sich der Abteilungsleiter bei seinem Telefonat mit dem Direktor des Amtsgerichts am Freitag den aktuellen Sachstand hat berichten lassen.
Verständlich und nachvollziehbar ist, dass weder der Innenminister noch die Justizministerin erfreut sind etwa über Demonstrationen von Anwohnern und Nachbarn, denen der Abbruch der Observation aufgefallen war. Das aber rechtfertigt einen Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit nicht.
Hier ist die Justizministerin in der Pflicht. — Aufklärung und Transparenz sind das Gebot der Stunde.